Instanzenzug: LG Görlitz Az: 9 KLs 550 Js 27852/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus zwei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung der Maßregelentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts).
21. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann keinen Bestand haben, weil die hierfür in § 64 StGB normierten Voraussetzungen durch das Urteil nicht hinreichend belegt werden. Dies gilt jedenfalls insoweit, als nach § 64 Satz 2 StGB eine Anordnung nur ergehen darf, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein hinreichender Therapierfolg zu erwarten ist.
3a) Nach den Feststellungen versetzte der vielfach, unter anderem wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte sowie wegen schwerer Brandstiftung vorbestrafte und in offener Bewährung handelnde Angeklagte im August 2019 dem auf einer Bordsteinkante sitzenden Nebenkläger plötzlich und unerwartet zwei Tritte mit dem beschuhten Fuß, wobei der erste Tritt gegen den Unterkiefer, der zweite – für den der Angeklagte eigens Anlauf nahm – gegen den Brustkorb gerichtet war. Ein Tatmotiv hat die Strafkammer nicht festgestellt. Der Nebenkläger erlitt hierdurch eine doppelte Fraktur des Unterkiefers, einen Jochbeinbruch und eine Verletzung des Gesichtsnervs. Im März 2020 entzündete der Angeklagte in der Wohnung seiner damaligen Lebensgefährtin nach einem Streit aus Wut die Matratze des Doppelbetts. Das Schlafzimmer brannte komplett aus; die Wohnung wurde durch Hitze, Rauch und Ruß unbewohnbar.
4Dem in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen folgend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten der Hang vorliege, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Bei ihm bestehe eine bislang unbehandelte Abhängigkeit von multiplen Substanzen (Alkohol, Stimulanzien, Cannabinoide). Daneben verstärke eine dissoziale Persönlichkeitsstörung die schon durch die Suchterkrankung bewirkte Veränderung des Verhaltens. Sie führe beim Angeklagten etwa zu einem Drang nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung sowie zu Distanzlosigkeit und hochmanipulativem Verhalten.
5Beide abgeurteilte Taten seien, wenngleich auch die dissoziale Persönlichkeitsstörung eine Rolle gespielt habe, Folge erheblicher Alkoholisierung und daher symptomatisch für die Suchterkrankung. Der Zusammenhang zwischen den Taten und dem übermäßigen Konsum von Alkohol sei deutlich größer als der Einfluss der dissozialen Persönlichkeit auf die Taten. Von dem Angeklagten seien infolge seines Hangs auch in Zukunft erhebliche, den Anlasstaten vergleichbare Taten zu erwarten, was aus der Kombination beider Erkrankungen resultiere. Im Zustand erheblicher Alkoholisierung sei der Angeklagte überaus aggressiv, gewaltbereit und enthemmt.
6Die ausreichenden Erfolgsaussichten für die Maßregel hat es wie folgt begründet: Der Suchterkrankung könne jedenfalls mit langjähriger Verhaltenstherapie begegnet werden. In diesem Rahmen könne etwa normgerechtes Verhalten eingeübt werden, indem man den Angeklagten mit Konfliktsituationen konfrontiere. Dabei sei auch eine Aufarbeitung der Sucht wichtig. Das sei „sehr, sehr anspruchsvoll“. Der Angeklagte bringe aber trotz seiner dissozialen Persönlichkeit gute Voraussetzungen für einen Erfolg mit. Er zeige sich zumindest seit seiner erneuten Inhaftierung teilweise einsichtig und behandlungsbereit. Sein Verhalten in der Haft habe gezeigt, dass er auf ganz enge Bedingungen, wie sie auch im Maßregelvollzug gegeben seien, gut reagiere, und dass ihm die dort herrschenden, eng gesetzten Grenzen helfen könnten; er könne sich an solche Situationen gut adaptieren und sei allgemein ein sozialkompetenter Mann. Insbesondere seine Teilnahme an Suchtberatungsterminen in der Vollzugsanstalt, die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit und die erklärte Bereitschaft zum Abschluss einer Berufsausbildung zeugten von einer guten Ausgangsposition für eine erfolgreiche Therapie.
7b) Nach § 64 Satz 2 StGB in der seit geltenden Fassung ergeht die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein Behandlungserfolg in der dort näher bestimmten Form zu erwarten ist. Dieser Voraussetzung ist mit den vorstehenden Ausführungen des Landgerichts nicht Genüge getan.
8aa) Mit der Änderung des § 64 Satz 2 StGB durch das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – vom (BGBl. I Nr. 203) hat der Gesetzgeber eine restriktivere Anwendungspraxis bezweckt, die gewährleistet, dass die Kapazitäten des Maßregelvollzugs zielgerichteter genutzt werden als bisher (BT-Drucks. 20/5913, S. 48). Für eine Unterbringung genügt es nun nicht mehr, dass eine „hinreichend konkrete Aussicht“ besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. In der Neufassung setzt § 64 Satz 2 StGB vielmehr voraus, dass ein solcher Effekt „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“. In Anlehnung etwa an die Regelung des § 63 Satz 1 StGB soll dafür eine durch Tatsachen belegte „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ erforderlich sein (BT-Drucks. 20/5913, S. 48). Der Gesetzgeber hat damit bewusst erhöhte prognostische Anforderungen statuiert, wodurch sich der Einfluss ungünstiger Risikofaktoren wie der Therapieunwilligkeit erhöht (BT-Drucks. 20/5913, S. 49; vgl. bereits , StV 2024, 436).
9bb) Gemessen an diesen Anforderungen wird eine tatsachenbasierte konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel durch die Urteilsgründe nicht belegt, da diese schon in sich widersprüchlich ausfallen und zudem mehrere prognoseungünstige Umstände nicht in den Blick genommen wurden. Je mehr Faktoren aber gegen den Therapieerfolg eines Beschuldigten sprechen, umso gewichtiger müssen die Anhaltspunkte dafür sein, dass die Hindernisse im Therapieverlauf gleichwohl überwunden werden können. Insbesondere stellt Therapiemotivation – die beim Angeklagten laut dem Sachverständigen aber ohnehin nur „teilweise“ gegeben sein soll – zwar einen günstigen Faktor dar, vermag die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht aber allein nicht zu belegen, wenn nach den Feststellungen auch gewichtige ungünstige Umstände bestehen. Es bedarf in einem solchen Fall einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen prognoserelevanten Umstände (vgl. mwN, NStZ-RR 2020, 28).
10So bleibt im Urteil schon offen, wie das für den Angeklagten gezogene Fazit, er sei „allgemein ein sozialkompetenter Mann“, mit der Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und der seit Jahrzehnten gezeigten massiven Gewaltdelinquenz vereinbar sein soll. Zwar vermag sich das Landgericht insoweit auf das derzeit angepasste Vollzugsverhalten des Angeklagten zu stützen. Diesem steht jedoch in einem nicht aufgelösten Spannungsverhältnis die gleichfalls auf die gegenwärtige Situation bezogene Feststellung gegenüber, der Angeklagte habe bisher seine Straftaten nicht aufgearbeitet und nicht aus seinen Hafterfahrungen, wohl aber aus dem für ihn erfolgreichen Einsatz von Gewalt gelernt.
11Kontrastiert das vor der Hauptverhandlung gezeigte Vollzugsverhalten des Angeklagten damit auffallend mit seiner Persönlichkeit und seinem langjährigen dissozialen Lebensstil, so wäre zudem zu prüfen gewesen, ob die momentane Anpassung Ausdruck genau jenes „hochmanipulativen Verhaltens“ sein könnte, welches der psychiatrische Sachverständige für den Angeklagten festgestellt und als typische Auswirkung seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung gewertet hat.
12Nachdem der Sachverständige – offenbar als Teil der Suchtbehandlung – eine langjährige Verhaltenstherapie für erforderlich erachtet hat, bei welcher der Angeklagte mit Konfliktsituationen konfrontiert werde, wäre ferner darzulegen gewesen, inwiefern auch dieser Teil der Behandlung realistisch durchführbar sein könnte. Hiergegen könnte die dissoziale Persönlichkeitsstörung sprechen, die allgemein als prognoseungünstiger Faktor angesehen wird ( mwN, NStZ-RR 2020, 28), so dass zu erörtern gewesen wäre, wie sie sich konkret auf die Suchttherapie auswirkt und inwieweit diese ihrerseits überhaupt darauf ausgelegt und geeignet ist, (auch) die dissoziale Persönlichkeitsstörung hinreichend zu behandeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 525/22, RuP 2023, 235; vom – 2 StR 28/22, NStZ-RR 2022, 240). Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige die Therapie einerseits als „sehr, sehr anspruchsvoll“ bezeichnet und dem Angeklagten andererseits einen Drang nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung sowie eine Empathielosigkeit attestiert hat, welche ihm selbst gegenüber einem Einsatz von Gewalt auch aus nichtigem Anlass keinerlei innere Deeskalationsfaktoren belasse. Wie der Angeklagte trotz solcher Disposition eine derart fordernde Behandlung bewältigen können soll, wird aus den Urteilsgründen nicht deutlich.
13Angesichts der vom Sachverständigen beschriebenen hohen Ansprüche, die für einen Therapieerfolg erfüllt werden müssten, wäre zudem in die Gesamtwürdigung einzustellen gewesen, dass der Angeklagte bei seiner ersten stationären Therapie schon an der Anreise scheiterte, weil er anders als geplant mit der Bahn fahren musste, was bei einem Zwischenhalt mit einem Alkoholrückfall endete.
142. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
15Das neue Tatgericht wird bei der Prüfung der Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Gelegenheit haben, sich auch zu den durch die jüngste Reform gesteigerten Anforderungen an die Annahme eines Hanges ausdrücklich zu verhalten. In der seit geltenden Fassung erfordert § 64 Satz 1 StGB hierfür eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert.
16Zudem wird das Tatgericht im Fall einer erneuten Anordnung der Unterbringung zu beachten haben, dass für die Berechnung der Dauer des Vorwegvollzugs gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB nur die Dauer der im gleichen Urteil ausgesprochenen Freiheitsstrafe maßgeblich ist und erlittene Untersuchungshaft außer Betracht zu bleiben hat (vgl. MüKo-StGB/Maier, 4. Aufl., § 67 Rn. 93 f. sowie Antragsschrift des Generalbundesanwalts).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160724B5STR227.24.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-73296