BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 1552/23

Nichtannahmebeschluss: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Beschränkung des Leistungsanspruchs nach § 2 Abs 1a SGB V (RIS: SGB 5) auf Fälle mit hoher Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Krankheitsverlaufs

Gesetze: § 2 Abs 1a SGB 5, Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Instanzenzug: Az: B 1 KR 3/23 C Beschlussvorgehend Az: B 1 KR 7/22 R Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 4 KR 318/18 Urteil

Gründe

I.

1Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versorgung der Beschwerdeführerin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung mit einem nicht zur vorbeugenden Behandlung ihres ungeborenen Kindes während der Schwangerschaft zugelassenen Arzneimittel.

21. Bei der gesetzlich krankenversicherten Beschwerdeführerin wurde in der neunten Schwangerschaftswoche eine akute Primärinfektion mit Cytomegalie-Viren (CMV) festgestellt. Bei einer Primärinfektion während der Schwangerschaft besteht die Möglichkeit der Übertragung des Virus auf das ungeborene Kind. Die Infektion des Kindes kann asymptomatisch verlaufen, sie kann aber auch einen Abort oder ein postnatales Versterben oder teils schwerwiegende dauerhafte Schäden wie kognitive Störungen, mentale Retardierung, Hörstörungen bis hin zum Hörverlust und Mikrozephalie verursachen.

3Die Beschwerdeführerin beantragte die Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Cytotect CP®, das zur Vorbeugung einer CMV-Infektion für Patienten unter immunsuppressiver Behandlung insbesondere nach Organtransplantationen, nicht aber für den Einsatz bei Schwangeren zur Prävention von CMV-Infektionen des ungeborenen Kindes zugelassen ist. Die Krankenkasse der Beschwerdeführerin lehnte die Übernahme der Kosten der Arzneimitteltherapie ab. Die Beschwerdeführerin beschaffte sich das Arzneimittel daraufhin selbst, wodurch ihr Kosten in Höhe von 8.753,55 Euro entstanden.

42. Mit ihrem Begehren auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten ist die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren erfolglos geblieben.

5Die Zurückweisung der Revision hat das Bundessozialgericht darauf gestützt, dass der geltend gemachte Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V nicht bestanden habe. Die Beschwerdeführerin und ihr ungeborenes Kind hätten zwar an einer behandlungsbedürftigen Krankheit gelitten, da die vorliegende Gefahr einer Infektion des ungeborenen Kindes und deren potentiell schwerwiegenden Folgen wegen der naturgemäß bestehenden wechselseitigen Abhängigkeit von Mutter und ungeborenem Kind und dem verfassungsrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens wie eine mögliche Gesundheitsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin selbst zu behandeln seien. Für das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im Rechtssinne reiche hierbei aus, dass die ernste Gefahr einer Erkrankung bestehe und es nicht zumutbar sei, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen. Diese Erkrankung sei aber weder lebensbedrohlich noch regelmäßig tödlich oder hiermit wertungsmäßig vergleichbar. Lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich sei eine Erkrankung, wenn nach den konkreten Umständen des Falls bereits drohe, dass sich mit großer beziehungsweise – gleichbedeutend – hoher Wahrscheinlichkeit der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums verwirklichen werde. Diese Maßstäbe gälten auch für die Behandlung von Schwangeren zum Schutz des ungeborenen Lebens. Im Falle einer für das ungeborene Kind gefährlichen Infektion der Schwangeren liege jedenfalls dann keine notstandsähnliche Lage vor, wenn – wie hier – die Wahrscheinlichkeit der Geburt eines gesunden Kindes deutlich überwiege. Die Wahrscheinlichkeit, dass das ungeborene Kind durch die CMV-Infektion keinen schweren Schaden erleide, sei mit 84 Prozent deutlich höher gewesen als die Wahrscheinlichkeit einer schweren oder gar tödlichen CMV-bedingten Schädigung.

63. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, indem sie durch die Anforderung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Versterbens eine „Mindest-Todeswahrscheinlichkeit“ von mehr als 50 Prozent als konstitutive und starre Anspruchsvoraussetzung implementiere und damit die Umstände des Einzelfalls ignoriere. Stattdessen sei ein gleitender Prüfungsmaßstab unter Berücksichtigung der konkreten Umstände geboten. Es verstoße zudem gegen Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, wenn Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausfielen, die dann regelmäßig privat beschafft würden und so eine soziale Unwucht und eine Spaltung der medizinischen Versorgung entstehe. Auch würden die aus der Schwangerschaft resultierenden Besonderheiten sowie die verfassungsrechtlich geschützten Interessen und Rechte der Beschwerdeführerin als austragende Frau (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 4 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht gewürdigt. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem durch die Übertragung der bisherigen Grundsätze auf die Konstellation einer Schwangeren wesentlich Ungleiches willkürlich gleichbehandelt werde. Es müsse berücksichtigt werden, dass aus ethischen, regulatorischen und ökonomischen Gründen im Bereich der Arzneimitteltherapie von Ungeborenen beziehungsweise Schwangeren ein Mangel an Evidenz bestehe und kaum Arzneimittel für Schwangere zugelassen seien.

II.

7Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Anforderung einer großen beziehungsweise hohen Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung eines voraussichtlich tödlichen Krankheitsverlaufs als Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet (1.). Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen der § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG genügt (2.).

81. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, den Leistungsanspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V auf Fälle zu beschränken, in denen sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf mit großer beziehungsweise hoher Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird.

9a) § 2 Abs. 1a SGB V setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Leistungsansprüchen gegen die gesetzliche Krankenversicherung in Fällen lebensbedrohlicher Erkrankung um. Nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung folgt aus den Grundrechten regelmäßig kein Anspruch gegen die Krankenkasse auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen (vgl. BVerfGE 77, 170 <215>; 79, 174 <202>; 115, 25 <44>). Ein ausnahmsweise aus den Grundrechten abzuleitender Anspruch auf bestimmte Leistungen hat das Bundesverfassungsgericht nur für notstandsähnliche Situationen im Sinne einer extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr bejaht (vgl. BVerfGE 115, 25 <49>; 140, 229 <236 f.>). Diese notstandsähnliche Lage hat das Bundesverfassungsgericht dahingehend konkretisiert, dass sie die Gefahr voraussetzt, dass die Krankheit in überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben beenden kann. Fehlt es an einer notstandsähnlichen Lage, fehlt es auch an hinreichenden Gründen, um den gesetzgeberischen Spielraum bei der Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch einen unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Anspruch zu überspielen (vgl. BVerfG, Beschluss der. 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 452/17-, Rn. 25). Diese Maßstäbe kodifiziert § 2 Abs. 1a SGB V.

10b) Die Anforderung an eine extreme notstandsähnliche Gefährdungslage einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung kann nur unter Einbeziehung einer Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt werden. Die bloße Möglichkeit eines letalen Krankheitsverlaufs ausreichen zu lassen, würde dem Ausnahmecharakter des grundrechtsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht. Die Möglichkeit eines letalen Verlaufs muss sich daher in einer Weise verdichtet haben, dass Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (vgl. BVerfGE 140, 229 <236 Rn. 18>). Insofern begegnet es keinen Bedenken, wenn das Bundessozialgericht in der angegriffenen Entscheidung aus § 2 Abs. 1a SGB V das Kriterium der „regelmäßig“ tödlichen Erkrankung aufgreift und hieraus ableitet, dass der tödliche Ausgang die Regel und der nicht tödliche Verlauf die Ausnahme darstellen müsse. Auch wenn die im Rahmen des grundrechtsunmittelbaren Leistungsanspruchs gebotene Betrachtung der Umstände der individuellen Lage (vgl. BVerfGE 140, 229 <236 Rn. 18>) gegen eine ausschließlich schematische Betrachtung nach statistischen Wahrscheinlichkeitswerten spricht, lässt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und dem dort stets betonten Ausnahmecharakter eines grundrechtsunmittelbaren Anspruchs die Anforderung einer großen oder hohen Wahrscheinlichkeit eines letalen Verlaufs ableiten. Das Bundessozialgericht hat § 2 Abs. 1a SGB V auch nicht mit Blick darauf einschränkend ausgelegt, dass es hier um die Vermeidung einer Infektion des ungeborenen Kindes geht.

11c) Diese Voraussetzung nicht als gegeben anzunehmen, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Verlaufs ohne schwerwiegende Schädigung deutlich überwiegt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Allein auf diese Erwägung hat das Bundessozialgericht insoweit die angegriffene Entscheidung gestützt und das Vorliegen dieser Voraussetzung für den zu entscheidenden Einzelfall abgelehnt. Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin hat es hingegen keine „Mindest-Todeswahrscheinlichkeit“ von mehr als 50 Prozent als konstitutive und starre Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs. 1a SGB V implementiert. Eine solche Aussage kann der angegriffenen Entscheidung weder ausdrücklich noch sinngemäß entnommen werden.

122. Die weiteren Grundrechtsrügen der Beschwerdeführerin sind nicht hinreichend substantiiert.

13a) Soweit die Verfassungsbeschwerde rügt, die Beweiswürdigung missachte verfassungsrechtliche Schranken, zeigt sie eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht hinreichend auf. Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 34, 384 <397>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>). Dass, diesen Maßstab zugrunde gelegt, die Beweiswürdigung verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre, legt die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend dar.

14b) Nicht nachvollziehbar ist der Einwand, dass es auf die Frage der Übertragungswahrscheinlichkeit aufgrund des besonderen Umstands der vorbeugenden Behandlung zu einem Zeitpunkt, zu dem das Eintreten einer Übertragung jedenfalls eine nicht entfernt liegende Option sei, nicht weiter ankomme. Denn eine Schädigung des Fötus ohne eine Übertragung des Virus von der Mutter auf den Fötus scheidet aus. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Schädigung kann daher nur durch die Kausalkette der Übertragung und der Schädigung bestimmt werden. Damit setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht auseinander.

15c) Auch die Auffassung, dass das Spezifikum des vorbeugenden Einsatzes eine herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsschwelle bedinge, verfängt nicht. Weshalb für die Frage, ob eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Leistung begehrt werden kann, in einem Stadium des bloßen Erkrankungsrisikos eine geringere Wahrscheinlichkeit für eine letale Entwicklung ausreichen soll als in Fällen, in denen die Erkrankung bereits eingetreten ist, erschließt sich anhand des Vorbringens der Verfassungsbeschwerde nicht.

16d) Die Verfassungsbeschwerde genügt auch insoweit nicht den Begründungsanforderungen, als sie einen Leistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip wegen einer ansonsten drohenden sozialen Spaltung des Versorgungszugangs herleitet. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, inwieweit sie selbst von dieser sozialen Spaltung betroffen ist, obwohl sie sich das Medikament selbst beschaffen konnte. Unabhängig davon ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Krankenversicherung den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt (vgl. BVerfGE 115, 25 <45>). Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfGE 115, 25 <46>). Der aus den Grundrechten abgeleitete Leistungsanspruch ist auf extreme Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BVerfGE 140, 229 <236 Rn. 18>). Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Ausnahmefälle kann ein – wenn auch nachvollziehbares – Begehren auf eine verfügbare Leistung keinen aus der Verfassung abgeleiteten Leistungsanspruch begründen.

17e) Die Verfassungsbeschwerde begründet auch nicht schlüssig, inwiefern aus den Besonderheiten der Schwangerschaft weitergehende Leistungsansprüche resultieren können. Sie konstatiert selbst, dass der Schutz des ungeborenen Lebens keinen höheren Stellenwert genieße als der Schutz des geborenen Lebens. Weshalb dann gleichwohl geringere Anforderungen an die notstandsähnliche Gefährdungslage und damit eine potentielle Erweiterung der Leistungsansprüche bei einer auf das ungeborene Leben abzielenden Behandlung resultieren sollen, begründet die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar.

18f) Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht in einer den Darlegungsanforderungen genügenden Weise auf. Insoweit fehlt es bereits an Darlegungen, inwiefern aus dem Differenzierungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG weitergehende Leistungsansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung resultieren sollen, als diejenigen, die vom speziellen Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und der Heranziehung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst sind. Die Verfassungsbeschwerde legt nicht hinreichend dar, dass aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Differenzierungsgebot folgt, wonach der Schutz ungeborener Menschen vor einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung nach § 2 Abs. 1a SGB V weniger strengen Anforderungen genügen muss als der Schutz geborener Menschen bei einer entsprechenden Notlage.

19Auch die Auseinandersetzung mit naheliegenden Rechtfertigungsgründen genügt nicht den Begründungsanforderungen. Es fehlt jedenfalls eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Schutzzweck des arzneimittelrechtlichen Zulassungserfordernisses. Die Beschwerdeführerin trägt selbst vor, dass die Arzneimittelsicherheit bei der Behandlung von Schwangeren besondere Priorität hat, da das Ungeborene mitbehandelt werde, bei dem es im Gegensatz zu Erwachsenen unmöglich sei, Nebenwirkungen so rasch zu erkennen, dass Schäden vermieden werden können, und dass es besonders schwierig sei, die Wirkung von Arzneimitteln auf Ungeborene abzuschätzen, weil sich die Pharmakokinetik der eingenommenen Substanzen während der Schwangerschaft verändere. Aus diesen Umständen zu folgern, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten wäre, Leistungsansprüche für die Behandlung von Schwangeren mit nicht arzneimittelrechtlich zugelassenen Arzneimitteln zu erweitern und damit die besondere Bedeutung der Arzneimittelsicherheit für die Anwendung in der Schwangerschaft zu relativieren, ist nicht schlüssig.

203. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

21Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVERFG:2024:rk20240626.1bvr155223

Fundstelle(n):
LAAAJ-73171