Instanzenzug: OLG Dresden Az: 8 U 2083/22vorgehend LG Chemnitz Az: 6 O 500/21
Gründe
1I. Die Beklagte ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts C. unter HRB eingetragene Aktiengesellschaft. Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Aktionärseigenschaft an der Beklagten.
2Am 6. Januar 1872 wurde die Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft mit Sitz in S. -S. (Sachsen) mit einem Grundkapital von 1.086.000 Reichsmark gegründet. Nach dem zweiten Weltkrieg war die Gesellschaft in der ehemaligen DDR vermögensrechtlichen Schädigungen im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG ausgesetzt. Nachdem am beim Kreisgericht D. ein Konkursverfahren eröffnet worden war, wurde der Betrieb 1956 unter Wert an den VEB Papierfabrik L. -S. verkauft. Das Kreisgericht D. stellte das Konkursverfahren am ein, eine Löschung im Handelsregister erfolgte nicht. Die Gesellschaft, die das ihr nach Beendigung des Konkursverfahrens zugeflossene Restvermögen verwaltete, wurde danach durch verschiedene Abwickler in Liquidation fortgeführt. Zu einer Liquidation kam es auch nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 nicht.
3Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft am wurde ein Beschluss über eine Satzungsänderung gefasst, der die Auflösung der Aktiengesellschaft, die Bestellung eines Abwicklers und eine Sitzverlegung von S. -S. nach W. zum Gegenstand hatte. Im Handelsregister des Amtsgerichts W. erfolgte am die Eintragung der "Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft in Abwicklung". Eine Löschung in dem vom Kreisgericht D. geführten Handelsregister erfolgte nicht.
4Im Zuge der westdeutschen Wertpapierbereinigung wurde am10. Februar 1965 gemäß den Vorgaben des Wertpapierbereinigungsgesetzes je eine Sammelurkunde für die Stamm- und die Vorzugsaktien der "Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft i.L. W. (früher S. -S. )" ausgegeben. Der Kläger erwarb im Mai 1967 von dem Bundesausgleichsamt aus dem Bodensatz der Wertpapierbereinigung Aktienanteilsrechte an einer Sammelurkunde im Wert von 327.200 Reichsmark. Die "Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft in Abwicklung" wurde im Handelsregister des Amtsgerichts W. am gelöscht.
5Mit Bescheid des Sächsischen Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom wurde festgestellt, dass die Vermögensveränderungen im Zusammenhang mit dem 1953 eröffneten Konkursverfahren die Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft berechtigen, die Rückübertragung der verbliebenen Vermögensgegenstände zu verlangen. Es fanden im weiteren Verlauf Restitutionen zugunsten der Gesellschaft statt.
6Auf der Hauptversammlung der "Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft i.L. S. -S. " wurde am mit Nachtrag vom die Fortsetzung der Gesellschaft, eine Neufestsetzung des Grundkapitals, dessen Umstellung auf Euro und eine Neufassung der Satzung beschlossen. In der neugefassten Satzung ist festgelegt, dass die Gesellschaft die Firma Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft führt und Sitz der Gesellschaft H. bei D. ist. Die Satzungsänderung wurde am im Handelsregister des Amtsgerichts C. eingetragen. In den Jahren 2009 und 2012 führte die Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft ausweislich der Eintragungen im Handelsregister Kapitalmaßnahmen durch. Der Jahresabschluss 2020 wies ein Anlagevermögen von 2.328.429,35 € aus.
7Das Landgericht hat die Klage auf Feststellung der Aktionärseigenschaft des Klägers an der beklagten Aktiengesellschaft abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
8II. Die Revision ist durch Beschluss zurückzuweisen. Die Revision des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg und die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 552a ZPO).
91. Das Berufungsgericht (OLG Dresden, Urteil vom - 8 U 2083/22, BeckRS 2023, 43889; Berichtigungsbeschluss vom - 8 U 2083/22, BeckRS 2023, 44656) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Aktienanteilsrechte an der Sammelurkunde betreffend die Papierfabrik L. -S. AG i.L. vermittelten dem Kläger nur aktienrechtliche Teilhaberechte an der in W. ansässigen Spaltgesellschaft Papierfabrik L. -S. AG in Abwicklung, nicht aber an der im Gebiet der ehemaligen DDR im Handelsregister des Kreisgerichts D. eingetragen gebliebenen, zunächst als Liquidationsgesellschaft weitergeführten Papierfabrik L. -S. AG mit Sitz in S. -S. . Die Spaltgesellschaft mit Sitz in W. sei mit der am beschlossenen Sitzverlegung in Bezug auf die in der alten Bundesrepublik zugänglichen Vermögenswerte geschaffen worden. Da diese Spaltgesellschaft mit der Löschung am22. Dezember 1969 im Handelsregister des Amtsgerichts W. gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 6, § 273 Abs. 1 AktG ihre Vollbeendigung gefunden habe, hätten die Teilhaberechte aus der Sammelurkunde ihre Gültigkeit und Legitimationswirkung verloren. Die Legitimationswirkung der Sammelurkunde auch auf die am Ursprungssitz weiterbestehende Beklagte zu erstrecken, sei nicht gerechtfertigt. Vielmehr müsse nach herrschender Auffassung zwischen den verschiedenen Rechtsträgern, also der Ursprungsgesellschaft mit Sitz in S. -S. und der Spaltgesellschaft mit Sitz in W. , differenziert werden.
102. Die Revision hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Feststellungsanspruch des Klägers verneint. Die Begründung des Berufungsgerichts trägt dieses Ergebnis allerdings nicht.
11Der Kläger kann seine Aktionärsstellung an der Beklagten nicht aus seiner Beteiligung an der Sammelurkunde aus dem Bodensatz der Wertpapierbereinigung für die Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft i.L. W. (früher S. -S. ) ableiten.
12a) Eine rechtlich selbständige Spaltgesellschaft der 1872 gegründeten Papierfabrik Limmritz-Steina Aktiengesellschaft ist weder mit deren vermögensrechtlicher Schädigung in der DDR noch mit deren Sitzverlegung im Jahr 1963 nach W. entstanden.
13aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konnten Enteignungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR nach 1945 wegen des Territorialitätsprinzips das im alten Bundesgebiet belegene Vermögen einer Gesellschaft nicht erfassen. Eine Aktiengesellschaft mit Vermögen in der alten Bundesrepublik bestand daher bei einer solchen Enteignung hinsichtlich ihres "Westvermögens" als rechtlich selbständige Rest- oder Spaltgesellschaft im alten Bundesgebiet fort (, WM 1971, 1502, 1505; Beschluss vom - II ARZ 2/82, WM 1983, 150, 151; Urteil vom - II ZR 53/89, ZIP 1989, 1546, 1547; Beschluss vom - II ARZ 2/05, ZIP 2007, 1028 Rn. 4).
14bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es nicht zu einer territorialen (Auf-)Spaltung der 1872 gegründeten Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft in diesem Sinne gekommen.
15(1) Zum Zeitpunkt der vermögensrechtlichen Schädigung der Gesellschaft in der DDR in den Fünfzigerjahren gab es kein gesellschaftliches Westvermögen, das hätte zuordnungslos werden und zur Entstehung einer Spaltgesellschaft hätte führen können.
16(2) Durch die spätere Sitzverlegung der Gesellschaft und ihre Eintragung ins Handelsregister des Amtsgerichts W. ist keine Zuordnungslücke hinsichtlich ihres Vermögens in der DDR entstanden, die die Entstehung einer Spaltgesellschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu enteignungsbetroffenen Gesellschaften mit Ost- und Westvermögen begründen konnte.
17Mit dem Beschluss der Hauptversammlung der Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft über die Verlegung des Sitzes von S. -S. nach W. am und der Eintragung der Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft in Abwicklung in das Handelsregister des Amtsgerichts W. am wurde in W. keine neue Gesellschaft gegründet, sondern (lediglich) der Sitz der Gesellschaft von S. -S. nach W. verlegt. Das Berufungsgericht hat dazu festgestellt, dass die Beschlussfassung am über die Sitzverlegung nach W. unzweifelhaft die ursprünglich in S. -S. ansässige Papierfabrik L. -S. AG betraf, weil neben der Firma das zutreffende Gründungsdatum und der bisherige Sitz benannt wurden. Die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft schließt eine gleichzeitige Neugründung in W. aus, ohne dass es auf die Einzelheiten der damaligen Beschlussfassung zur Sitzverlegung und deren Vollzug ankommt. Mit der Eintragung der Sitzverlegung wurde diese gemäß § 38 Abs. 2 AktG 1937 (RGBl. I S. 107) unabhängig von der registerrechtlichen Mitwirkung des Handelsregisters des Kreisgerichts D. am ursprünglichen Sitz der Gesellschaft wirksam (vgl. zur eingeschränkten Mitwirkung sowjetzonaler Registergerichte , NJW 1958, 671).
18b) Durch die Wertpapierbereinigung der von der Papierfabrik L. -S. AG i.L. W. ausgegebenen Reichsmark-Aktien in der alten Bundesrepublik wurde das weiter in der damaligen DDR belegene (Liquidations-)Vermögen der Gesellschaft nicht berührt und setzte sich daher in den durch die Wertpapierbereinigung in der Sammelurkunde neu verbrieften Titeln fort. Der Kläger hat mit seinem Kauf aus dem Bodensatz der Wertpapierbereinigung entsprechende Rechte an der Gesellschaft erworben, der auch nach ihrer Sitzverlegung dieses Liquidationsvermögen zuzuordnen war.
19c) Die Löschung der Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft in Abwicklung im Handelsregister des Amtsgerichts W. am hat nicht zum Verlust der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft geführt. Wird eine Gesellschaft im Handelsregister gelöscht, obwohl noch Restvermögen vorhanden ist, bleibt die Gesellschaft rechtsfähig, unabhängig davon, ob man auch für die Aktiengesellschaft der Lehre vom Doppeltatbestand folgt (für die GmbH: , ZIP 2010, 2444 Rn. 22; Urteil vom - II ZR 116/11, ZIP 2012, 2007 Rn. 27; Beschluss vom - VII ZB 53/13, ZIP 2015, 1334 Rn. 19) oder von der Existenz einer Nachgesellschaft ausgeht (vgl. Koch, AktG, 18. Aufl., § 262 Rn. 23a mwN). Die Gesellschaft verfügte bei der Löschung im Handelsregister des Amtsgerichts W. noch über (Liquidations-)Vermögen bzw. die später realisierten Ansprüche infolge der vermögensrechtlichen Schädigungen in der DDR im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG.
20d) Mit der Beschlussfassung der Hauptversammlung der Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft i.L. S. -S. am und der Eintragung ins Handelsregister des Amtsgerichts C. wurde eine neue Gesellschaft - die Beklagte - gegründet. Die Satzung enthält mit der neuen Firma und dem neuen Sitz, der Festlegung eines veränderten Unternehmensgegenstands, der Höhe und Zerlegung des Grundkapitals und Bestimmungen zum Vorstand die für eine Neugründung einer Aktiengesellschaft erforderlichen Festsetzungen.
21Das Berufungsgericht geht insofern rechtsirrtümlich von einer "Aktivierung" der 1872 gegründeten Papierfabrik L. -S. AG mit Sitz in S. -S. aus. Es gab entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine rechtlich eigenständige Ost-Gesellschaft mit Sitz in S. -S. , die hätte aktiviert werden können. Vielmehr gab es nur die 1872 gegründete Gesellschaft, die 1963 ihren Sitz nach W. verlegt hatte und trotz Löschung im Handelsregister im Jahr 1969 ihre Rechtsfähigkeit behalten hat (s.o.). Auf diese Gesellschaft nimmt weder die Bekanntmachung der Tagesordnung der Hauptversammlung am im Bundesanzeiger noch die neugefasste Satzung Bezug. Die Bekanntmachung im Bundesanzeiger bezieht sich vielmehr auf die "Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft i.L. S. -S. " und damit auf das rechtlich unselbständige Liquidationsvermögen der Papierfabrik L. -S. AG im Gebiet der ehemaligen DDR. Eine "Fortsetzung" oder "Aktivierung" dieses Liquidationsvermögens als werbende Gesellschaft war mangels Rechtspersönlichkeit nicht möglich. Durch die Neufassung der Satzung kam es mithin unter Verwendung des unselbständigen Liquidationsvermögens zur Neugründung der rechtlich selbständigen beklagten Gesellschaft. An der so im Jahr 2002 neu gegründeten Beklagten ist der Kläger als Aktionär nicht beteiligt.
22Ob und inwiefern der im Handelsregister des Amtsgerichts W. gelöschten Papierfabrik L. -S. Aktiengesellschaft in Abwicklung, deren Aktionär der Kläger aufgrund des Erwerbs der Aktienanteilsrechte aus dem Bodensatz der Sammelurkunde im Jahr 1967 ist, Ersatzansprüche gegen die Beklagte im Hinblick auf deren Neugründung unter Verwendung des unselbständigen Liquidationsvermögens der 1872 gegründeten und 1963 nach W. verlegten Papierfabrik L. -S. AG zustehen, kann hier dahinstehen.
233. Es liegt kein Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor. Die vom Berufungsgericht angenommene rechtsgrundsätzliche Bedeutung oder ein Erfordernis zur Fortbildung des Rechts im Hinblick auf die Rechtsbeziehungen zwischen ursprünglichem und abgespaltenem Rechtsträger sind nicht gegeben, weil es darauf für die Entscheidung aus rechtlichen Gründen nicht ankommt. Auch im Übrigen ist ein Zulassungsgrund für die hier gegebene sehr spezielle Fallkonstellation nicht ersichtlich.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:150424BIIZR82.23.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-73018