BGH Urteil v. - VIa ZR 482/21

Instanzenzug: Az: 1 U 360/21vorgehend LG Meiningen Az: 3 O 751/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Jahr 2016 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten Audi A7 Sportback, der mit einem 3.0 l TDI Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) aus der Produktion der Beklagten ausgerüstet ist.

3Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht, das sich zu einer Haftung aus § 823 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV nicht verhält, hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Es könne dahinstehen, ob in dem Fahrzeug des Klägers unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Denn es fehle an ausreichendem Vortrag zur subjektiven Seite des § 826 BGB und zur Sittenwidrigkeit.

II.

6Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

71. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB nicht verneint werden. Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist grundsätzlich indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert (vgl. VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Zutreffend nimmt das Berufungsgericht zwar an, dass die bloße Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen noch keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung indiziert (vgl. zum Thermofenster , WM 2021, 354 Rn. 13 ff.).Die Revision rügt aber zu Recht, dass sich das Berufungsgericht mit dem von der Revision insoweit aufgezeigten Vortrag des Klägers zu einer Funktion, durch die der Prüfstand erkannt und die Abgasreinigung optimiert werde, nicht auseinandersetzt. Es unterstellt im Zurückweisungsbeschluss vielmehr unzulässige Abschalteinrichtungen, hält indessen den Vortrag des Klägers zur subjektiven Seite des Anspruchs aus § 826 BGB für unzureichend, ohne sich mit der Indizwirkung der - vom Kläger behaupteten - Manipulationssoftware zu befassen.

82. Die Revision wendet sich weiter mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Daher kann dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32).

9Dabei besteht zwar aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kein Anspruch des Klägers auf Gewährung "großen" Schadensersatzes (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Doch kann dem Kläger danach ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

III.

10Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in das streitgegenständliche Fahrzeug eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 implementiert ist, welche zudem eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde indiziert, und sich gegebenenfalls mit den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB befassen müssen (vgl. , BGHZ 225, 316). Weiter wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; vgl. auch VIa ZR 635/23, juris Rn. 9 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:310724UVIAZR482.21.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-72927