BGH Beschluss v. - 6 StR 209/24

Tatrichterliche Feststellungen bei Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld nach sexueller Nötigung

Gesetze: § 406 StPO, § 256 Abs 1 ZPO, § 177 StGB

Instanzenzug: LG Dessau-Roßlau Az: 8 KLs 32/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung sowie wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Im Adhäsionsverfahren hat es der Adhäsionsklägerin Schmerzensgeld nebst Zinsen zuerkannt und festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, ihr „alle zukünftig entstehenden Schäden aus dem Ereignis vom “ zu ersetzen, soweit diese nicht auf Träger der Sozialversicherung übergegangen sind. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Adhäsionsausspruch in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dies gilt namentlich für die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten in Fall II.2 der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung (vgl. − 1 StR 503/14, NStZ 2015, 213, 214).

32. Auch der Strafausspruch und die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen des Tatgeschehens im Fall II.1 der Urteilsgründe erweisen sich als rechtsfehlerfrei. Hingegen hält die Feststellung der Ersatzpflicht des Angeklagten für „alle zukünftig entstehenden Schäden“ der Adhäsionsklägerin rechtlicher Überprüfung nicht stand.

4a) Dem Urteil liegen insoweit folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:

5Der Angeklagte sprach die Adhäsionsklägerin an, als diese am Morgen des nach Hause ging. Nachdem er ihr gesagt hatte, dass er sich eine Freundin wünsche, umfasste er von vorn Oberkörper und Oberarme der Adhäsionsklägerin, drängte sie rückwärts in eine Nische und fasste ihr über der Bekleidung zwischen die Beine; dabei berührte er ihre Scheide. Ferner griff er ihr mehrmals fest an Brust und Gesäß und versuchte, sie zu küssen. Als es ihr gelang, mit ihrem Mobiltelefon ihren Lebensgefährten zu verständigen, ließ der Angeklagte von ihr ab und entfernte sich.

6Das Landgericht hat zur Begründung des Feststellungsausspruchs ausgeführt, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Adhäsionsklägerin in Zukunft ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müsse, um die Folgen der Tat zu verarbeiten. Dazu hat es festgestellt, dass die Adhäsionsklägerin durch die Tat keine Schmerzen erlitt und psychologische Hilfe in der Folgezeit nicht in Anspruch nahm. Im Anschluss an das Geschehen weinte sie viel und litt eine Woche lang an Schlafstörungen. Über mehrere Monate ließ sie keine Nähe in ihrer Beziehung zu. Wenn fremde Menschen sie ansprachen, bekam sie auch weiterhin „Angstzustände“.

7b) Diese Ausführungen belegen nicht das für die Feststellung der Ersatzpflicht des Angeklagten für alle zukünftigen Schäden erforderliche Feststellungsinteresse der Adhäsionsklägerin (§ 256 Abs. 1 ZPO). Dies setzt die Möglichkeit eines zukünftigen Schadenseintritts voraus, wobei eine bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit nicht genügt; erforderlich ist vielmehr, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte bei verständiger Würdigung mit dem Eintritt eines zukünftigen Schadens wenigstens zu rechnen ist (vgl. , NJW 2001, 1431, 1432; Beschluss vom – 3 StR 436/19, BGHR StPO § 406 Feststellungsurteil 1).

8aa) Die Urteilsgründe enthalten schon keine Hinweise auf die Möglichkeit anderer zukünftiger immaterieller Schäden als derjenigen, die das Landgericht bereits bei der Bemessung des zuerkannten Schmerzensgeldes in den Blick genommen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 135/21, NStZ-RR 2021, 347; vom – 6 StR 389/21) und die von diesem Ausspruch nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes bereits erfasst werden (vgl. ).

9bb) Es fehlt ferner an konkreten Anhaltspunkten für zukünftig zu erwartende materielle Verletzungsfolgen. Zwar ist dem Urteil noch zu entnehmen, dass es eine psychische Beeinträchtigung der Adhäsionsklägerin bei Kontaktaufnahmen durch Fremde gibt. Diese pauschale Feststellung reicht jedenfalls eingedenk des langen Zeitablaufs seit der Tat und des hier festgestellten Tatbildes nicht aus, um das erforderliche Feststellungsinteresse zu begründen.

10c) Der Ausspruch über die Feststellung der Ersatzpflicht des Angeklagten für zukünftige immaterielle und materielle Schäden der Adhäsionsklägerin ist deshalb aufzuheben. Insoweit ist gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von der Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen. Der Senat ergänzt das Urteil in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624B6STR209.24.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-72906