BGH Beschluss v. - VII ZR 195/22

Instanzenzug: Az: I-23 U 209/21vorgehend LG Kleve Az: 2 O 462/11

Gründe

I.

1Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz und die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht wegen Mängeln an einem Flachdach.

2Das Bauvorhaben "B.                        " der Klägerin umfasste einen großen, aus mehreren Bauteilen bestehenden Hallenkomplex mit einer gesamten Dachfläche von 114.388 m². Die Klägerin beauftragte im Oktober 2001 die mittlerweile insolvente G.    H,   & Co. GmbH (nachfolgend: H.        ) mit der Ausführung der Dachtrapezbleche und der Abdichtungsarbeiten auf sämtlichen Hallen.

3Die - im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr beteiligten - Beklagten zu 4 bis 6 wurden von der Klägerin für das Bauvorhaben mit Vertrag vom 20./ mit Architektenleistungen beauftragt, wobei eine Haftungsbeschränkung für Sachschäden auf 255.645,94 € vereinbart wurde.

4Die F.                      GmbH & Co. KG (nachfolgend: F.  ) bot auf dem Markt das "Dachbahnsystem Rhepanol fk" an. Die Beklagte zu 1 ist die Rechtsnachfolgerin der F.  . Die Beklagte zu 2 und die Rechtsvorgängerin des Beklagten zu 3 waren persönlich haftende Gesellschafterinnen der F.  .

5Bei der Angebotsverhandlung zu den Dachabdichtungsarbeiten der H.         im September 2001 waren auch Mitarbeiter der F.   zugegen. Es wurde vereinbart, dass zwei Schreiben der F.   (Anlagen 1 und 2 zum Protokoll) Vertragsbestandteil werden. Dies betraf eine "individuelle und objektbezogene Materialgarantie" und "Leistungsbausteine der Rhepanol FK - Objektbetreuung". Letztere enthält unter anderem eine "individuelle und - falls vom Baufortschritt erforderlich - tägliche Objektbetreuung durch den F.  -Objektbetreuer" "über die gesamte Verlegezeit von Rhepanol fk". Ob die Mitarbeiter der F.   darüber hinaus mündliche Zusagen machten, ist streitig.

6Die Verlegung des Daches wurde von einem Mitarbeiter der F.   von Anfang an begleitet. Die Klägerin nahm die Dachabdichtungsarbeiten der H.         am unter Vorbehalt von Mängeln ab.

7In Bezug auf Beschädigungen an der Dachabdichtung hat die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet. Der gerichtliche Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass durch eine unsachgemäße Verlegung einer verwendeten Dampfbremsfolie durch die H.         Wasser in die Dachkonstruktion gelangen konnte. Die Mängelbeseitigungskosten hat er mit "grober Kostenschätzung" auf 7.970.918,90 € beziffert.

8Die Klägerin hat die Beklagten zu 1 bis 3 unter Anrechnung von erhaltenen Versicherungsleistungen auf Zahlung von 7.740.964,80 € nebst Zinsen, hinsichtlich eines Teilbetrages von 255.645,94 € als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 4 bis 6, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und auf Feststellung der Ersatzpflicht aller weiteren durch die Beseitigung der Mängel der Dachabdichtung entstehenden Schäden in Anspruch genommen. Das Landgericht hat durch Grund- und Teilendurteil gegenüber den Beklagten zu 1 bis 3 festgestellt, dass sie als Gesamtschuldner dem Grunde nach verpflichtet sind, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die ihr durch die Beseitigung der in den Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen beschriebenen Mängel der Dachabdichtung der Hallen entstanden sind und noch entstehen werden. Die Beklagten zu 4 bis 6 hat es als Gesamtschuldner zur Zahlung von 255.645,94 € nebst Zinsen verurteilt.

9Auf die Berufung der Beklagten zu 1 bis 3 hat das Berufungsgericht das Grundurteil gegen die Beklagten zu 1 bis 3 aufgehoben und die Klage gegen diese abgewiesen. Die Berufung der Beklagten zu 4 bis 6 hat es zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.

10Die Klägerin verfolgt im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde das Ziel der Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

II.

11Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

121. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse - ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagten zu 1 bis 3 kein werkvertraglicher Schadensersatzanspruch aus § 635 BGB in der bis zum geltenden Fassung zustehe, weil es an einer Pflichtverletzung mangele. Die der F.   aus dem Vertrag obliegende Verpflichtung zur Objektbetreuung, welche zwar die mängelfreie Verlegung des Dachaufbaus gewährleisten solle, sei nicht verletzt, weil sich diese Verpflichtung nur auf die oberste Schicht des Dachaufbaus mit der Bezeichnung "Rhepanol fk" bezogen habe.

13Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der schriftlichen Erklärung der F.  , wonach sich die Objektbetreuung auf die "Verlegezeit von Rhepanol fk" beziehe. Es treffe zwar zu, dass der Dachaufbau ein System darstelle, zu dem auch eine - nach dem Gutachten aus dem selbständigen Beweisverfahren letztlich schadensursächliche - Dampfbremsfolie gehöre. Daraus - und aus der Erforderlichkeit bestimmter Vorarbeiten vor der Befestigung von "Rhepanol fk" sowie aus konkreten Empfehlungen zur Dampfsperr- und Wärmedämmschicht im Handbuch der F.   - folge jedoch nicht, dass die F.   nach verständiger Empfängersicht auch für die Mängelfreiheit anderer Arbeitsphasen habe einstehen wollen, die nicht die letzte Schicht beträfen. Die Erklärung sei so zu verstehen, dass die F.   zwar über die Auftragsentscheidung zur Dichtung informiert werden und mit dem Bedachungsunternehmen einen Objekt-Ablaufplan erstellen habe sollen, die eigentliche Objektbetreuung habe sich dagegen nur auf die oberste Deckschicht bezogen.

14Dies entspreche der Interessenlage der Parteien. Die F.   habe nur ein Interesse am Verkauf ihres Materials, was sich damit nur auf "Rhepanol fk" beziehe. Die Durchführung von Trainingsmaßnahmen für die Verlegekolonnen, die Betreuung der Verlegephase und die Erstellung von Statusberichten dienten den Absatzbemühungen und der Absicherung der abgegebenen Materialgarantie. Ein weitergehendes Interesse an einer umfassenden Baubetreuung lasse sich nicht feststellen und werde durch die Klägerin auch nicht aufgezeigt. Die F.  habe keinen Einfluss auf die Materialauswahl gehabt und sie sei für die Baubetreuung auch nicht gesondert vergütet worden. Das weitreichende Haftungsrisiko spreche dagegen, dass sich die F.   habe verpflichten wollen, auch für andere Schichten einzustehen, wenn das zu liefernde Material nicht von ihr stamme.

15Zwar sei ein Mitarbeiter der F.   schon ab November 2001 vor Ort gewesen, noch bevor "Rhepanol fk" verlegt worden sei, und könne nachträgliches Verhalten bei der Ermittlung des tatsächlichen Willens von Bedeutung sein. Jedoch seien die Statusberichte erst detailliert in Bezug auf die Verlegung von "Rhepanol fk". Dies erlaube nicht den Schluss auf eine umfassende Baubetreuung.

16Die Klägerin habe auch nicht substantiiert dargetan, dass die F.   abweichend von der schriftlichen Vereinbarung mündlich weitergehende Zusagen gemacht habe. Sie trage unter Beweisantritt lediglich vor, dass die Vertreter der F.   seinerzeit zu verstehen gegeben hätten, bereit zu sein, die Arbeiten der H.        zu beaufsichtigen, und zudem die Frage nach der Bereitschaft bejaht hätten, für die Abdichtungsarbeiten in gleicher Weise wie die H.         einzustehen. In Bezug auf die Objektbetreuung lasse sich dem Vortrag der Klägerin danach nicht eindeutig entnehmen, dass die Vertreter der F.   damit alle Verlegearbeiten hätten einbeziehen wollen. Hinzu komme, dass diese Aussagen im Zusammenhang mit den Angebotsverhandlungen vom getroffen worden seien, welche dann zur schriftlich abgegebenen Materialgarantie und der Verpflichtung gemäß den "Leistungsbausteinen" geführt hätten. Schriftlich habe sich die F.   jedoch nur zu einer Objektbetreuung hinsichtlich ihres eigenen Materials verpflichtet. Aus dem Klägervortrag ergebe sich gerade nicht, dass die mündliche Vereinbarung über das hinausgehen sollte, was als Ergebnis der Verhandlungen schließlich schriftlich festgehalten worden sei.

17Die Ausführungen der Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz vom rechtfertigten keine andere Entscheidung und böten insbesondere aus den vorgenannten Gründen keinen Anlass zur Vernehmung des Beklagten zu 4.

182. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

19a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen - und soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung des Gerichts nur den Schluss zulässt, das sie auf einer allenfalls den Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (st. Rspr., vgl. Rn. 15, BauR 2023, 692; Beschluss vom - VII ZR 62/22 Rn. 17, BauR 2023, 124 = NZM 2022, 877; Beschluss vom - V ZR 19/20 Rn. 6, juris; Beschluss vom - VII ZR 261/19 Rn. 4, NZBau 2021, 518). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt auch dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (st. Rspr., vgl. nur Rn. 15, BauR 2023, 692, m.w.N.).

20Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag schlüssig, wenn der Anspruchsteller Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen. Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, so kann der Vortrag weiterer Einzelheiten oder Erklärungen nicht verlangt werden ( Rn. 15, BauR 2023, 692 m.w.N.).

21b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt im Zusammenhang mit den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt der Gespräche der Parteien eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor.

22aa) Die Klägerin hat in Bezug auf die zwischen den Parteien streitige Frage der Reichweite der Objektbetreuungspflicht der Beklagten zu 1 mit Schriftsatz vom vorgetragen, dass "von Anfang an" "klar besprochen" gewesen sei, "dass sich die Objektbetreuung der Beklagten zu 1 auf die Verlegung des gesamten Abdichtungspakets bezieht, nämlich beginnend mit der Verlegung der Dampfsperrschicht". Hierzu hat die Klägerin Beweis durch Parteivernehmung des Beklagten zu 4 angeboten. Auf diesen Vortrag mit Beweisangebot hat die Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz vom erneut hingewiesen und ihn wiederholt.

23Indem das Berufungsgericht diesen Vortrag der Klägerin zur Einbeziehung auch der Dampfsperrschicht in die Objektbetreuung für unsubstantiiert gehalten hat, hat es die Anforderungen an die Substantiierung offenkundig überspannt. Der Vortrag ergibt eindeutig die vom Berufungsgericht vermisste Behauptung, dass die Vertreter der F.   in der/den Besprechung(en) alle Verlegearbeiten in ihre Objektbetreuung einbeziehen wollten. Der Vortrag weiterer Einzelheiten oder Erklärungen hierzu war nicht notwendig. Die hierzu angebotene Vernehmung des Beklagten zu 4 konnte daher mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht abgelehnt werden.

24bb) Unter Berücksichtigung dieses Vorbringens hat das Berufungsgericht außerdem den bereits in der Klageschrift sowie erneut in der Berufungserwiderung gehaltenen Vortrag der Klägerin zu konkreten Erklärungen bei den Angebotsverhandlungen am allenfalls dem Wortlaut, nicht aber dem Sinn nach erfasst. Wenn von Anfang an zwischen den Parteien klar besprochen war, dass die Objektbetreuung mit der Verlegung der Dampfsperrschicht beginnen solle, ist damit auch behauptet, dass sich die weiteren behaupteten Erklärungen gerade (auch) auf diese Schicht beziehen sollten. Die Erhebung des hierzu von der Klägerin angebotenen Beweises durch Vernehmung des Zeugen G.    L.    und der Parteivernehmung des Beklagten zu 4 kann deshalb ebenfalls nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts abgelehnt werden.

25c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung dieses Vorbringens der Klägerin und gegebenenfalls nach Erhebung der von dieser angebotenen Beweise zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis bei der Auslegung des Vertrags gelangt wäre.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260624BVIIZR195.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 8 Nr. 36
NJW-RR 2024 S. 1148 Nr. 18
CAAAJ-72834