Aussetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO
Leitsatz
1. Gegen eine Aussetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO ist die Beschwerde nach § 114 Abs. 1 WDO statthaft.
2. Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren ist ein anderes gesetzlich geordnetes Verfahren im Sinne von § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO.
Gesetze: § 55 Abs 4 S 2 SG, § 55 Abs 4 S 3 SG, § 55 Abs 5 SG, § 56 Abs 2 SG, § 83 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 83 Abs 3 S 1 WDO 2002, § 84 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 84 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 84 Abs 2 WDO 2002, § 99 Abs 2 WDO 2002, § 99 Abs 3 WDO 2002, § 114 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 143 Abs 1 S 1 WDO 2002
Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 3 VL 25/23 Beschluss
Tatbestand
1Die Beschwerde des früheren Soldaten richtet sich gegen die Aussetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO.
2Der frühere Soldat trat am im Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers mit dem Dienstgradzusatz Feldwebelanwärter, vorgesehen für die Laufbahn der Feldwebel des allgemeinen Fachdienstes, wieder in die Bundeswehr ein und wurde am Zeitsoldat. Seine Dienstzeit wurde auf sechs Jahre zwischenfestgesetzt und hätte mit Ablauf des geendet. Zuletzt besetzte er ein dienstpostenähnliches Konstrukt in der ...
3Das Amtsgericht ... verhängte gegen den strafrechtlich nicht vorbelasteten früheren Soldaten mit Urteil vom wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) in Tateinheit mit Nötigung (§ 240 StGB) bei einer am durchgeführten Verkehrskontrolle eine Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis, zog seinen Führerschein ein und wies die Verwaltungsbehörde an, dem früheren Soldaten vor Ablauf von noch vier Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Berufung des früheren Soldaten wurde vom Landgericht ... mit Urteil vom mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Sperrfrist auf noch drei Monate verkürzt wurde. Das Urteil wurde am rechtskräftig.
4In dem am eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat am beim Truppendienstgericht sachgleich wie folgt angeschuldigt:
"Am gegen 13:55 Uhr, als der frühere Soldat auf dem Gelände der Aral-Tankstelle an der ... in ... durch die Zeuginnen Polizeioberkommissarin ... und Polizeihauptkommissarin ... wegen von diesen zuvor festgestellter auffälliger Fahrweise kontrolliert wurde, startete der frühere Soldat, obwohl die Kontrolle, was ihm klar war, noch nicht beendet war, den von ihm geführten Volkswagen (VW) Bora mit dem amtlichen Kennzeichen ..., fuhr zunächst rückwärts und zwang dabei die nun hinter dem Fahrzeug befindliche Zeugin ..., die ihn mit deutlichen Handzeichen zum Anhalten aufforderte und zudem laut 'Stopp' rief, was er auch erkannt hatte, zur Seite zu springen, um nicht angefahren zu werden, fuhr sodann nach links lenkend vorwärts und zwang dabei die nun links vor seinem Fahrzeug stehende Zeugin ..., die ihn nun ebenfalls mit deutlichen Handzeichen zum Anhalten aufforderte, was er ebenfalls gesehen hatte, schnell zur Seite zu gehen, um nicht angefahren zu werden, und verließ schließlich mit seinem Fahrzeug die Örtlichkeit der Kontrolle."
5Zwischenzeitlich war der frühere Soldat mit Bescheid vom gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG mit Ablauf des aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen worden, weil er sich nicht für die Laufbahn der Feldwebel des allgemeinen Fachdienstes eigne. Dies wurde auf die strafrechtliche Verurteilung sowie darauf gestützt, dass ein Sicherheitsbeauftragter des Bataillons in einem Nachbericht zur Sicherheitsüberprüfung Ü 3 des früheren Soldaten festgestellt hatte, dass sich sicherheitserhebliche Veränderungen/Umstände ergeben hätten, die es erforderlich machten, die eingeleitete Sicherheitsüberprüfung unverzüglich einzustellen, wodurch der frühere Soldat nicht mehr die formalen Voraussetzungen für den Einsatz auf seinem Dienstposten erfülle. Eine Rückführung nach § 55 Abs. 4 Satz 3 SG in die Laufbahn der Unteroffiziere sei nicht möglich, da der frühere Soldat bisher nicht in der Laufbahn der Unteroffiziere gedient habe. Eine Überführung in die Laufbahn der Fachunteroffiziere des allgemeinen Fachdienstes sei nicht möglich, weil er auch dafür nicht geeignet sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des früheren Soldaten wurde mit Bescheid vom zurückgewiesen. Dagegen führt der frühere Soldat unter dem Aktenzeichen ... ein Klageverfahren beim Verwaltungsgericht ...
6Mit Beschluss vom hat der Vorsitzende der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd nach Anhörung der Beteiligten das gerichtliche Disziplinarverfahren gemäß § 83 Abs. 3 WDO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens beim Verwaltungsgericht ... (...) ausgesetzt, weil vom Ausgang des Verwaltungsrechtsstreits abhänge, welche Maßnahme ggf. im disziplinargerichtlichen Verfahren gegen den früheren Soldaten verhängt werden könne.
7Der frühere Soldat hat gegen den ihm am zugestellten Beschluss am Beschwerde erhoben. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Gründe
8Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
91. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht § 114 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht entgegen. Danach unterliegen Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen - abgesehen von wenigen, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - nicht der Beschwerde, sondern gemeinsam mit der Sachentscheidung allein der Nachprüfung im Berufungsverfahren. Insoweit ist in der Senatsrechtsprechung geklärt, dass es nicht Sinn der Vorschrift sein kann, jede Entscheidung der Anfechtung zu entziehen, die rein zeitlich der Urteilsfällung vorausgeht. Vielmehr sollen nur solche Entscheidungen nicht mit der Beschwerde anfechtbar sein, die in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfindung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung der nochmaligen Prüfung des Gerichts unterliegen und durch Rechtsmittel angefochten werden können (vgl. 2 WDB 1.98 - BVerwGE 113, 259 <259 f.> zu § 109 Abs. 1 Satz 2 WDO a. F.).
10Nach Maßgabe dessen ist die Aussetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemäß § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO ebenso wie eine Aussetzung nach § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO (vgl. 2 WDB 4.21 - juris Rn. 11; siehe auch 2 WDB 1.96 - NZWehrr 1996, 213 <213> zu § 76 Abs. 1 Satz 1, § 109 Abs. 1 Satz 2 WDO a. F.) sowie nach § 99 Abs. 3 WDO (vgl. 2 WDB 1.98 - BVerwGE 113, 259 <259 f.> m. w. N. zu § 96 Abs. 3, § 109 Abs. 1 Satz 2 WDO a. F.) und § 99 Abs. 2 WDO ( 2 WDB 6.24 - Rn. 12) mit der Beschwerde anfechtbar. Denn die Entscheidung nach § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO hat eine Bedeutung, die über einen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung hinausgeht. Der Aussetzungsbeschluss wirkt sich hemmend auf das Verfahren aus, um dessen möglichst baldigen Abschluss sich der frühere Soldat mit seinem Begehren bemüht.
112. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO liegen nicht vor. Danach kann das gerichtliche Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, wenn in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist.
12Zwar handelt es sich bei einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren um ein anderes gesetzlich geordnetes Verfahren im Sinne von § 83 Abs. 3 Satz 1 WDO. Denn die Verwaltungsgerichte ermitteln den von ihnen festgestellten Sachverhalt in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren und die Prozessbeteiligten können durch die Vorlage von Beweismitteln, die Stellung von Beweisanträgen und die Abgabe von Stellungnahmen auf die Tatsachenfeststellung des Gerichts Einfluss nehmen (vgl. 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 14 m. w. N. zu § 84 Abs. 2 WDO). Daher können die in einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen im disziplinargerichtlichen Verfahren nach § 84 Abs. 2 WDO ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden, sofern dagegen keine substantiierten Einwendungen erhoben werden (vgl. 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 14 m. w. N.; siehe auch § 143 Abs. 1 Satz 3 WDO).
13Jedoch ist in dem vom früheren Soldaten beim Verwaltungsgericht ... geführten Klageverfahren gegen seine auf § 55 Abs. 4 Satz 2 SG gestützte Entlassungsverfügung nicht über eine Frage zu entscheiden, deren Beurteilung für die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung wäre:
14Für das gerichtliche Disziplinarverfahren besteht keine Sperrwirkung nach § 143 Abs. 1 Satz 1 WDO, weil der frühere Soldat nicht nach § 55 Abs. 5 SG, sondern nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG entlassen wurde.
15In tatsächlicher Hinsicht ist das Truppendienstgericht nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO an die Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts ... vom gebunden. Umstände, die Anlass für einen Lösungsbeschluss nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO geben könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der frühere Soldat die tatsächlichen strafgerichtlichen Feststellungen nicht bestritten.
16Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ... ist auch nicht im Hinblick auf die im gerichtlichen Disziplinarverfahren zu erwartende Disziplinarmaßnahme vorgreiflich. Insbesondere geht es dort nicht um eine Aberkennung des Ruhegehalts des Klägers, die sich mit einer bestandskräftigen Entlassungsverfügung nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG wegen des dadurch entfallenden Anspruchs auf Versorgung mit Ausnahme der Beschädigtenversorgung (vgl. § 56 Abs. 3 SG) erledigen würde. Vielmehr steht eine - von der Wehrdisziplinaranwaltschaft ausweislich ihrer Verfügung vom auch lediglich angestrebte - Dienstgradherabsetzung im Raum. Denn der verfahrensgegenständliche außerdienstliche tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit einer Nötigung dürfte entweder im Ausgangspunkt oder auf der zweiten Seite der Zumessungserwägungen lediglich zu einer Dienstgradherabsetzung führen (vgl. 2 WD 1.20 - juris Rn. 23 und Beschluss vom - 2 WDB 9.20 - juris Rn. 42 sowie 2 WD 19.67 - BVerwGE 83, 300 Rn. 20 und vom - 2 WD 11.21 - juris Rn. 33).
17Das verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen die Entlassungsverfügung ist im Hinblick auf die im gerichtlichen Disziplinarverfahren zu erwartende Dienstgradherabsetzung nicht vorgreiflich. Denn eine bestandskräftige Entlassungsverfügung nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG hat - wie sich im Umkehrschluss aus § 56 Abs. 2 SG ergibt - nicht bereits einen Verlust des Dienstgrads zur Folge (vgl. 2 WD 5.74 - NZWehrr 1975, 69 <70 f.>, Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 11. Aufl. 2022, § 55 Rn. 16; Sohm, in: Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 55 Rn. 41).
183. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens umfasst (vgl. 2 WDB 4.21 - juris Rn. 20).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:120724B2WDB8.24.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-72796