BGH Urteil v. - X ZR 92/23

Patentrecht: Formulierung des technischen Problems - Mirabegron

Leitsatz

Mirabegron

Das einer Erfindung zugrunde liegende technische Problem ist so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt. Insbesondere darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung im Stand der Technik nahelag (Bestätigung von , GRUR 2015, 352 Rn. 16 f. - Quetiapin; , GRUR 2022, 67 Rn. 10 - Stereolithographiemaschine).

Gesetze: Art 52 Abs 1 EuPatÜbk, Art 87 Abs 1 EuPatÜbk, § 1 Abs 1 PatG

Instanzenzug: Az: 3 Ni 2/21 (EP) Beschluss

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 559 427 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer japanischen Priorität vom angemeldet worden ist und ein Mittel zur Behandlung von Blasenhyperaktivität betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den fünf weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

A remedy for use in the treatment of overactive bladder comprising (R)-2-(2-aminothiazol-4-yl)-4'-[2-[(2-hydroxy-2-phenylethyl)amino]ethyl]acetic acid anilide or a salt thereof as an active ingredient.

3Auf der Grundlage des Streitpatents ist zugunsten der Beklagten das ergänzende Schutzzertifikat 12 2013 000 047 (Streitzertifikat) für das Erzeugnis Mirabegron mit einer Laufzeit bis erteilt worden.

4Die Klägerin hat das Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit und das Streitzertifikat wegen Schutzunfähigkeit des Streitpatents angegriffen. Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt und das Streitpatent wie erteilt und in drei geänderten Fassungen verteidigt.

5Das Patentgericht hat das Streitpatent und das ergänzende Schutzzertifikat für nichtig erklärt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Soweit die Klage gegen das Streitpatent gerichtet ist, haben die Parteien den Rechtsstreit in zweiter Instanz übereinstimmend für erledigt erklärt. Hinsichtlich des Streitzertifikats verfolgt die Beklagte ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

6Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage im noch anhängigen Umfang.

7I. Das Streitpatent betrifft die Verwendung eines Medikaments zur Behandlung der überaktiven Blase, das als Wirkstoff (R)-2-(2-Aminothiazol-4-yl)-4'-[2-[(2-hydroxy-2-phenyethyl)amino]ethyl]essigsäureanilid (internationaler Freiname: Mirabegron) oder ein Salz davon enthält.

81. Mirabegron ist ein ß3-Adrenozeptor-Agonist.

9Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die Blase auf zwei Wegen mit Nervenreizen angeregt. Durch die Stimulation von adrenergen Rezeptoren (Adrenozeptoren) sympathischer Nerven wird sie entspannt. Durch Stimulation von Muskarinrezeptoren parasympathischer Nerven wird eine Kontraktion herbeigeführt. Geraten diese gegenläufigen Prozesse aus dem Gleichgewicht, kann es zu übersteigertem Harndrang kommen.

10Im Stand der Technik seien zur Behandlung einer überaktiven Blase meist anticholinerge Wirkstoffe eingesetzt worden, d.h. Stoffe, die Acetylcholin-Rezeptoren hemmen und dadurch einer Kontraktion der Muskulatur entgegenwirken. Solche Wirkstoffe brächten aber Nebenwirkungen mit sich und führten nicht immer zu befriedigenden Resultaten (Abs. 2).

11Ferner seien verschiedene Wirkstoffe offenbart, die auf einen ß3-Adrenozeptor stimulierend wirkten und zur Prävention bei Übergewicht und zu hohem Blutzucker eingesetzt würden, aber auch bei Krankheiten, die durch häufigen Harndrang oder Harninkontinenz verursacht würden (Abs. 5-11).

122. Vor diesem Hintergrund ist das technische Problem darin zu sehen, ein wirksames Heilmittel für die Behandlung einer überaktiven Blase bereitzustellen.

13a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das technische Problem so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt.

14Deshalb dürfen Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören, grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insbesondere darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Befassung mit einer bestimmten Aufgabenstellung im Stand der Technik nahelag. Soweit diesbezüglich begründete Zweifel bestehen, ist das technische Problem abstrakter zu formulieren (, GRUR 2015, 352 Rn. 16 f. - Quetiapin; Urteil vom - X ZR 60/19, GRUR 2022, 67 Rn. 10 - Stereolithographiemaschine).

15b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe darf das technische Problem im Streitfall nicht schon vor der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit dahin formuliert werden, neue Anwendungsgebiete oder Indikationen für Mirabegron zu finden.

16aa) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts kann diese Aufgabenstellung nicht schon deshalb als naheliegend angesehen werden, weil das Streitpatent eine zusätzliche Indikation für einen bekannten Wirkstoff betrifft.

17Das technische Problem ist zwar aus dem zu entwickeln, was das Patent tatsächlich leistet ( Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung; Urteil vom - Xa ZR 28/08, GRUR 2010, 607 Rn. 18 - Fettsäurezusammensetzung). Hieraus ergibt sich aber nicht, dass es abweichend von den oben wiedergegebenen Grundsätzen zulässig wäre, bei der Formulierung des Problems bereits Elemente der unter Schutz gestellten Lösung zu berücksichtigen.

18bb) Sonstige Umstände, die es ohne Zweifel als im Stand der Technik naheliegend erscheinen ließen, nach neuen Anwendungsgebieten oder Indikationen für Mirabegron zu suchen, sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich.

19c) Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Gegenstand des Streitpatents ausgehend von der vom Patentgericht zugrunde gelegten Aufgabenstellung nahelag.

20Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Erfindung mehrere unterschiedliche technische Probleme betreffen. In solchen Konstellationen ist die Patentfähigkeit schon dann zu verneinen, wenn die Bewältigung eines dieser Probleme zum Aufgabenkreis des Fachmanns gehört hat und die beanspruchte Erfindung von diesem Ausgangspunkt aus durch den Stand der Technik nahegelegt war (, GRUR 2015, 352 Rn. 13 - Quetiapin).

213. Zur Lösung des aufgezeigten Problems schlägt das Streitpatent folgendes Mittel vor:

234. Eine überaktive Blase im Sinne des Patentanspruchs zeigt sich nach der Beschreibung des Streitpatents in häufigem Harndrang. Als Ursache dafür kommen eine gutartige Vergrößerung der Prostata, aber auch andere Faktoren in Betracht, die nicht immer erkennbar sind (Abs. 13).

24Bei einer milden Form hat der Patient (nur) Harndrang, kann den Urin aber eine Weile halten. Bei schwereren Formen kann es zu Pollakisurie (häufigem Wasserlassen in kleinen Mengen) oder zu Harninkontinenz kommen (Abs. 13). Alle diese Erscheinungsformen sind vom Begriff der überaktiven Blase im Sinne des Streitpatents umfasst (Abs. 14).

25II. Das Patentgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

26Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die internationale Patentanmeldung 03/037881 (BB15) und deren englische Übersetzung (EP 1 440 969 A1, BB16) bildeten einen geeigneten Ausgangspunkt für die Bemühungen des Fachmanns. Sie beschäftigten sich mit Mirabegron als Wirkstoff zur Behandlung von Diabetes mellitus und enthielten den Hinweis, dass Mirabegron ein selektiver ß3-Adrenozeptor-Agonist sei. Aus BB15 und BB16 ergebe sich, dass Mirabegron die Insulinsekretion und -sensitivität beeinflusse und für die Behandlung von Adipositas und Hyperlipidämie sowie Diabetes mellitus geeignet sei. Dasselbe ergebe sich aus der internationalen Patentanmeldung 99/20607 (BB13) und deren englischer Übersetzung (EP 1 028 111 A1, BB14), in deren Anspruch 6 Mirabegron als eine von neun konkret bezeichneten Verbindungen aufgeführt sei. BB13 und BB14 sei überdies zu entnehmen, dass die dort beschriebenen Verbindungen zur Vorbeugung und Therapie bei verschiedenen Krankheiten genutzt werden könnten, die durch Stimulation des ß3-Adrenozeptors behandelbar seien. BB15 und BB16, die sich nur mit Mirabegron beschäftigten, lehrten, dass dieser Wirkstoff zu den ß3-Adrenozeptor-Agonisten gehöre.

27Hiervon ausgehend treffe der Fachmann, ein Team aus einem klinischen Urologen und einem im medizinischen Bereich tätigen Chemiker oder Pharmazeuten mit mehrjähriger Industriepraxis und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung, auf eine Reihe von Dokumenten, die den Einsatz von ß3-Adrenozeptor-Agonisten zur Behandlung von Harnblasenstörungen und überaktiver Blase erörterten, etwa die Veröffentlichungen von Tanaka (Discovery of Novel N-Phenylglycine-Derivates as Potent and Selective ß3-Adrenoceptor Agonists for the Treatment of Frequent Urination and Urinary Incontincence, J.Med.Chem. 2001, Vol. 44, S. 1436-1445, BB7a), Fujimura (Expression and Possible Functional Role of the ß3-Adrenoceptor in Human and Rat Detrusor Muscle, The Journal of Urology 1999, Vol. 161, S. 680-685, BB8) und Chancellor (New Frontiers in the Treatment of Overactive Bladder and Incontinence, Reviews in Urology 2002, Vol. 4 Suppl. 4, S. 50-56, BB11) und die internationale Patentanmeldung 02/00622 (BB20).

28Hieraus habe sich die Motivation ergeben zu untersuchen, ob sich Mirabegron zur Behandlung von Harnblasenstörungen und damit auch einer überaktiven Blase eigne. Die in BB15 und BB16 berichtete Wirkung auf die Insulinsekretion und -sensitivität stehe dem nicht entgegen. Im Stand der Technik habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass ß3-Adrenozeptor-Agonisten bei der Behandlung einer überaktiven Blase einen negativen Einfluss hätten. Die Veröffentlichungen zur Behandlung einer überaktiven Blase mit ß3-Adrenozeptor-Agonisten enthielten vielmehr den Hinweis, dass sie nicht mit schweren Nebenwirkungen einhergingen.

29III. Dies hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug nicht stand.

30Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war durch den Stand der Technik nicht nahegelegt. Das Streitpatent bildet damit eine geeignete Grundlage für die Erteilung des Streitzertifikats.

311. Das Streitpatent nimmt zu Recht die Priorität der japanischen Patentanmeldung 2002-323792 (BB17; deutsche Übersetzung BB17a) in Anspruch.

32a) Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann gemäß Art. 87 Abs. 1 EPÜ die Priorität einer vorangegangenen Anmeldung in Anspruch genommen werden, wenn diese dieselbe Erfindung betrifft.

33Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt, wenn die mit der späteren Anmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der früheren Anmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Der dafür maßgebliche Offenbarungsgehalt der ersten Anmeldung ist nicht auf die darin formulierten Ansprüche beschränkt; er ist vielmehr aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.

34Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Danach ist erforderlich, dass die im Anspruch bezeichnete technische Lehre der Voranmeldung unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung zu entnehmen ist (, GRUR 2014, 542 Rn. 20 f. - Kommunikationskanal).

35b) Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

36aa) Der in BB17 formulierte Anspruch 1 benennt Mirabegron allerdings nur als Mittel zur Behandlung oder Vorbeugung von Pollakisurie oder Harninkontinenz. Die Behandlung von bloßem Harndrang ist nicht ausdrücklich erwähnt.

37bb) In der Beschreibung von BB17 ist die Behandlung von Harndrang ebenfalls nicht ausdrücklich erwähnt.

38Aus dem Stand der Technik bekannte ß3-Adrenozeptoren und Mirabegron werden in der Beschreibung lediglich als Mittel zur Behandlung von Harnfrequenz (urinary frequency) und Harninkontinenz angeführt (z.B. Abs. 2-4; Abs. 6).

39cc) Wie bereits die Rechtbank Den Haag (Urteil vom - C/09/625472 HA ZA 22-183, Abs. 4.3 bis 4.8) ausgeführt hat, lässt sich den Ausführungen zur Wirkungsweise von Mirabegron in BB17 jedoch hinreichend deutlich entnehmen, dass es über die Behandlung dieser beiden ausdrücklich benannten Symptome hinaus auch um die Behandlung anderer Symptome geht, die auf einem Ungleichgewicht der gegenläufigen Nervenstimulation beruhen.

40(1) BB17 nimmt ebenso wie das Streitpatent Bezug auf Patentanmeldungen, in denen angegeben ist, dass Wirkstoffe, die den ß3-Adrenozeptor stimulieren, für die Prävention und Therapie von häufigem Harndrang (urinary frequency) und Harninkontinenz taugen, weil sie zu einer Entspannung der Blase führen (Abs. 3).

41BB17 erläutert ferner, die Blase werde durch zwei unterschiedliche Arten der Nervenstimulierung gesteuert. Mittel, die im Stand der Technik zur Behandlung einer aus einem Ungleichgewicht dieser Steuerung resultierenden Harnfrequenz und Harninkontinenz eingesetzt würden, etwa anticholinerge Wirkstoffe, führten nicht immer zum gewünschten Erfolg und seien teilweise mit Nebenwirkungen verbunden (Abs. 6). Es habe sich gezeigt, dass Mirabegron als Wirkstoff für die Prävention und Behandlung von Harnfrequenz und Harninkontinenz nützlich sei (Abs. 7).

42(2) Aus diesen Ausführungen ergibt sich hinreichend deutlich, dass die beiden erwähnten Symptome behandelt werden sollen, indem mit Hilfe von Mirabegron der ß3-Adrenozeptor stimuliert und damit eine Entspannung der Blasenmuskulatur bewirkt wird.

43Die Ausführungen lassen einerseits erkennen, dass nicht der Anspruch erhoben wird, eine Therapie von Pollakisurie oder Harninkontinenz auch für solche Fälle bereitzustellen, in denen diese Symptome auf einer anderen Ursache als einem Ungleichgewicht der gegenläufigen Nervenstimulation beruhen (Abs. 6). Andererseits ist ihnen als zu der angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen, dass Mirabegron nicht auf die Behandlung der beiden ausdrücklich genannten Symptome beschränkt ist, sondern sich allgemein als Mittel zur Entspannung der Blasenmuskulatur eignet und damit zur Vorbeugung und Behandlung von Störungen, die auf einem Ungleichgewicht der gegenläufigen Nervenstimulation beruhen.

44dd) Der zuletzt genannte Behandlungszweck ist trotz des abweichenden Wortlauts identisch mit der in Anspruch 1 des Streitpatents geschützten Behandlung einer überaktiven Blase.

45Wie bereits oben ausgeführt wurde, bezeichnet der Begriff "überaktive Blase" Symptome, die aus einem Ungleichgewicht der gegenläufigen Nervenstimulierung resultieren. Dies ist der Behandlungszweck, der bereits aus der Beschreibung von BB17 hervorgeht.

46ee) Dass die Beschreibung des Streitpatents erhöhten Harndrang als weiteres von diesem Behandlungszweck umfasstes Symptom benennt, führt vor diesem Hintergrund nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

47Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich schon aus BB17 ohne ergänzende Heranziehung von Fachwissen ergab, dass Harndrang ebenfalls zu den Symptomen gehört, die sich bei einem Ungleichgewicht der Nervenstimulierung einstellen können. Das Streitpatent schützt nicht die Behandlung dieses speziellen Symptoms als solches, sondern die Behandlung der in Patentanspruch 1 aufgeführten Symptome, die auf der genannten Ursache beruhen. Dieser Behandlungszweck ist aus den oben dargelegten Gründen bereits in BB17 als zur Erfindung gehörend offenbart.

482. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

49Entgegen der Auffassung der Klägerin bestand im Prioritätszeitpunkt kein Anlass, sich mit der Frage zu befassen, ob Mirabegron zur Prävention und Behandlung einer überaktiven Blase geeignet ist. Dies gilt unabhängig davon, ob als Ausgangspunkt Entgegenhaltungen in den Blick genommen werden, die sich mit der Wirkung von ß3-Adrenozeptor-Agonisten auf den Detrusormuskel befassen oder solche, die den Einsatz von Mirabegron zur Behandlung anderer Krankheiten betreffen.

50a) Aus zahlreichen Entgegenhaltungen war bekannt, dass ß3-Adrenozeptor-Agonisten für die Behandlung von Blasendysfunktionen geeignet sein können.

51aa) In dem Beitrag von Tanaka et al. (BB7a) wird berichtet, seit 1984 sei bekannt, dass es neben ß1- und ß2- auch ß3-Adrenozeptoren gebe. Die Struktur dieser Adrenozeptoren sei seit 1989 bekannt.

52Untersuchungen hätten ergeben, dass ß3-Adrenozeptoren im menschlichen Herzen, der Gallenblase, dem Gastrointestinaltrakt und der Prostata vorkämen. Kürzlich sei zudem berichtet worden, dass ß3-Adrenozeptoren auch im menschlichen Detrusormuskel vorkommen und dessen Entspannung maßgeblich über sie herbeigeführt werde. Selektive und potente ß3-Adrenozeptor-Agonisten könnten daher einen neuen Ansatz für die Behandlung von Blasendysfunktionen darstellen.

53Derzeit sei die Verschreibung von Anti-Muskarinika verbreitet, doch hätten diese unangenehme Nebenwirkungen und seien bei Patienten mit Harnverhaltung kontraindiziert.

54ß3-Adrenozeptor-Agonisten wiesen solche Nebenwirkungen nicht auf, doch müsse die Aktivität hinsichtlich ß3-Adrenozeptoren von derjenigen für ß1- und ß2-Adrenozeptoren getrennt werden, da sonst Tachykardien oder Tremor auftreten könnten (BB7a S. 1436 linke Spalte).

55Vor diesem Hintergrund seien Untersuchungen an Detrusorgewebe von Frettchen durchgeführt worden. Hierbei seien ein nicht selektiver ß-Adrenozeptor-Agonist (Isoproterenol), ein ß2-Adrenozeptor-Agonist (Ritodrine) und zwei bekannte ß3-Adrenozeptor-Agonisten (CL316243 und BRL37344) mit einigen zu diesem Zweck hergestellten Glycin-Derivaten von Ritodrine (3a-3p) verglichen worden. Selektivität und Potenz dieser Verbindungen sind in der nachfolgend wiedergegebenen Tabelle 2 dargestellt.

56Die Verbindung 3h, die insgesamt eines der besten Profile aufweise, sei auf ihre Wirkung auf den Intrablasendruck einer narkotisierten Ratte untersucht worden. Dabei habe sich, wie in der nachfolgend wiedergegebenen Tabelle 3 dargestellt, eine gegenüber Isoproterenol deutlich schwächere relaxierende Wirkung ergeben. Jedoch seien die mit Isoproterenol verbundenen Nebenwirkungen - deutlicher Anstieg der Herzfrequenz und Senkung des Blutdrucks - ausgeblieben.

57bb) Der Beitrag von Fujimara et al. (BB8), auf den BB7a Bezug nimmt, geht der Frage nach, ob ß3-Adrenozeptor-Agonisten als Wirkstoff zur Behandlung von häufigem Harndrang nützlich sein können.

58Untersucht wurde eine als FK175 bezeichnete Verbindung, bei der es sich um einen selektiven ß3-Adrenozeptor-Agonisten handele. Hierzu wurde die Wirkung dieser Verbindung auf Streifen des Detrusormuskels von Ratten getestet.

59Die Autoren von BB8 gelangen zu dem Ergebnis, FK175 wirke selektiv und könne abhängig von der Dosierung eine Entspannung des Muskelgewebes bewirken. Die Blasenkapazität erhöhe sich, doch blieben die Druckverhältnisse bei der Harnentleerung unverändert. Danach könnten ß3-Adrenozeptor-Agonisten zur Behandlung von häufigem Harndrang nützlich sein, da der Detrusormuskel des Menschen demjenigen von Ratten ähnele.

60cc) Die internationale Patentanmeldung 99/51564 (BB6) betrifft Propanolaminderivate nach bestimmten Formeln und deren Salze.

61Diese Verbindungen wirkten als ß3-Adrenozeptor-Agonisten und seien als Arzneimittel nützlich. Sie könnten zur Vorbeugung und Behandlung von Erkrankungen verwendet werden, die durch Kontraktionen der glatten Muskulatur ausgelöst werden. Dazu zählten etwa Blasenfunktionsstörungen.

62BB6 berichtet über Versuche mit Hunden. Die Gabe dreier konkret bezeichneter Verbindungen hemme die durch eine Gabe von Carbachol induzierte Zunahme des intravesikalen Drucks. In einem zweiten Test sei festgestellt worden, dass die Gabe einer vierten Verbindung zu einer Erhöhung der Blasenkapazität einer Ratte führe. Schließlich habe in einem dritten Test die Behandlung mit einer weiteren Verbindung zu einer verringerten Stärke der Blasenkontraktion geführt (S. 42-46).

63dd) Die internationale Patentanmeldung 02/00622 (BB20) betrifft neue Aminoalkoholderivate nach einer bestimmten Formel und deren Salze, die als selektive ß3-Adrenozeptor-Agonisten wirkten und damit gegen Harninkontinenz und Pollakisurie eingesetzt werden könnten (S. 1 f., S. 20 f.).

64BB20 schildert ebenfalls einen Versuch mit einem Hund, bei dem die Gabe einer bestimmten Verbindung nach dem dortigen Beispiel 5 die durch eine Gabe von Carbachol induzierte Zunahme intravesikalen Drucks hemme (S. 22 f.).

65ee) In dem Beitrag von Yamaguchi (ß3-Adrenoceptors in Human Detrusor Muscle, Urology 59 (2002) S. 25-29, BB10), der unter anderem auf BB8 Bezug nimmt, wird darauf hingewiesen, dass sich der ß3-Adrenozeptor im menschlichen Detrusormuskel möglicherweise von demjenigen in der Blasenmuskulatur der Ratte unterscheide.

66Aus pharmakologischen Studien an isolierten menschlichen Detrusorstreifen sei bekannt, dass die selektiven ß3-AR-Agonisten BLR 37344, BL 316243 und CGP 121177A konzentrationsabhängig eine Entspannung bewirkten. Die vorliegenden Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die durch adrenerge Stimulation des Detrusormuskels des Menschen induzierte Entspannung hauptsächlich durch die ß3-AR-Aktivierung vermittelt werde.

67In-vivo-Wirkungen von ß3-Adrenozeptor-Agonisten, etwa FK175 und CL 316243 seien bislang in Tiermodellen untersucht worden. Bei klinischen Versuchen mit ß3-Adrenozeptor-Agonisten gegen Adipositas habe sich ergeben, dass es pharmakologische Unterschiede zwischen den ß3-Adrenozeptoren der Ratte und des Menschen gebe. Getestete Agonisten, die bei Ratten gute Wirkungen erzielten, zeigten bei Menschen nur schwache Aktivität. Vor diesem Hintergrund könne die Behandlung der überaktiven Blase von der Entwicklung von ß3-Adrenozeptor-Agonisten abhängen, die für den menschlichen ß3-Adrenozeptor selektiv seien. So habe sich das Benzolsulfonamid-Derivat L-755507 als selektiver Agonist für den menschlichen ß3-Adrenozeptor erwiesen. Damit sei es wichtig, hinsichtlich der Selektivität zwischen menschlichen und tierischen ß3-Adrenozeptoren zu unterscheiden.

68ff) Auf Unterschiede zwischen dem ß3-Adrenozeptor beim Menschen und bei Nagetieren wird auch in dem Beitrag von Arner und Lönnquist (The Native Human ß3-Adrenoreceptor, in: Strosberg (ed.), The ß3-Adrenoreceptor, 2000, S. 77 f., BB40) hingewiesen.

69gg) Der Beitrag von Chancellor (New Frontiers in the Treatment of Overactive Bladder and Incontinence, Reviews in Urology 2002, Vol. 4 Suppl. 4, S. 50-56, BB11) behandelt verschiedene Ansätze zur Behandlung einer überaktiven Blase.

70Neben einer transdermalen Gabe von Oxybutynin, blasenspezifischen Anticholinergika oder antidiuretischen Hormonen, der Behandlung mit Botox und weiteren Methoden wird eine Behandlung mit ß3-Adrenozeptor-Agonisten als vielversprechende Möglichkeit erwähnt.

71b) Diese Entgegenhaltungen vermitteln die Erkenntnis, dass ein Wirkstoff, der den menschlichen ß3-Adrenozeptor stimuliert, zu einer Entspannung des Detrusormuskels und damit zu einer Linderung der mit einer überaktiven Blase einhergehenden Beschwerden führen kann.

72Ihnen ist ferner zu entnehmen, dass eine hohe Selektivität des Agonisten erwünscht ist, weil nicht selektive Wirkstoffe, also solche, die auch auf ß1- und ß2-Adrenozeptoren wirken, zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Tachykardie oder Tremor führen können.

73Insbesondere die Ergebnisse in BB7a verdeutlichen zudem, dass eine hohe Selektivität nicht zwingend mit einer hohen Aktivität einhergeht.

74c) Vor diesem Hintergrund mag es im Stand der Technik als möglich erschienen sein, dass Mirabegron die für Prävention und Therapie einer überaktiven Blase erforderlichen Eigenschaften aufweisen könnte. Angesichts der komplexen Zusammenhänge, die sich aus den Untersuchungen mit anderen Stoffen ergaben, bestand diesbezüglich aber keine hinreichende Erfolgsaussicht.

75aa) BB13 und BB14 offenbaren Amidderivate nach einer bestimmten Formel und deren Verwendung als Wirkstoff gegen Diabetes mellitus, Übergewicht und Hyperlipidämie.

76BB13 und BB14 führen aus, es sei bekannt, dass Adrenalinrezeptoren in drei Subtypen ß1, ß2 und ß3 eingeteilt werden könnten. Die Stimulation des ß1-Adrenozeptors führe zu einer Erhöhung der Herzfrequenz. Die Stimulation des ß2-Adrenozeptors fördere den Abbau von Glykogen in den Muskeln und hemme die Synthese von Glykogen, was zu Muskelzittern führe. Die Stimulation des ß3-Adrenozeptors wirke gegen Fettleibigkeit und Hyperglykämie. Bekannte ß3-Adrenozeptor-Agonisten wirkten auch auf ß1- und ß2-Adrenozeptoren, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führe.

77Dies gebe Anlass zur Suche nach Agonisten, die selektiv für den ß3-Adrenozeptor im Menschen sind. Aus der internationalen Patentanmeldung 95/29159 seien substituierte Sulfonamid-Derivate bekannt, die eine selektive stimulierende Wirkung auf ß3-Adrenozeptoren hätten und gegen Fettleibigkeit und Hyperglykämie nützlich seien. Bislang sei jedoch nicht konkret offenbart, dass diese Verbindungen auch die Insulinsekretion und -sensitivität erhöhten.

78Amidderivate nach der in BB13 und BB14 wiedergegebenen Formel förderten die Insulinsekretion und verstärkten die Insulinsensitivität. Darüber hinaus wiesen sie eine selektive stimulierende Wirkung auf ß3-Adrenozeptoren auf. Ob diese stimulierende Wirkung an der Förderung der Insulinsekretion und -sensitivität beteiligt sei, sei im Detail noch unbekannt. Obwohl die stimulierende Wirkung auf ß3-Adrenozeptoren möglicherweise an der Ausprägung der die Insulinsekretion fördernden und die Insulinselektivität verstärkenden Wirkung beteiligt sei, könnten auch andere Mechanismen daran beteiligt sein, deren Details bislang unbekannt seien.

79Die Verbindungen seien aufgrund ihrer Eigenschaft als selektiver ß3-Adrenozeptor-Agonist auch zur Behandlung und Vorbeugung von anderen Erkrankungen nützlich, bei denen eine Linderung durch die Stimulierung von ß3-Adrenozeptoren vorgeschlagen werde (BB14 Abs. 57).

80In dem in BB13 und BB14 formulierten Anspruch 6 ist Mirabegron als eine von neun Verbindungen ausdrücklich aufgeführt.

81bb) Das australische Patent 1998 89288 (BB27) enthält ähnliche Ausführungen wie BB13 und BB14. In dem dort formulierten Anspruch 2 ist Mirabegron als eine von sechs Verbindungen ausdrücklich aufgeführt.

82cc) Aus diesen Veröffentlichungen ergab sich keine angemessene Erfolgserwartung für eine Eignung von Mirabegron als Mittel zur Behandlung einer überaktiven Blase.

83(1) Die Anforderungen an eine angemessene Erfolgserwartung lassen sich nach der Rechtsprechung des Senats nicht allgemeingültig formulieren. Sie sind jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Fachgebiets, der Größe des Anreizes für den Fachmann, des erforderlichen Aufwands für das Beschreiten und Verfolgen eines bestimmten Ansatzes und der gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen sowie ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu bestimmen (, GRUR 2019, 1032 Rn. 31 - Fulvestrant; Urteil vom - X ZR 150/18, GRUR 2020, 1178 Rn. 108 - Pemetrexed II).

84(2) Im Streitfall war BB13, BB14 und BB27 zwar zu entnehmen, dass es sich bei den dort aufgeführten Verbindungen, darunter Mirabegron, um einen selektiven ß3-Adrenozeptor-Agonisten handelt. Auch kann angenommen werden, dass im Prioritätszeitpunkt ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Bereitstellung eines Wirkstoffs zur Behandlung einer überaktiven Blase bestand.

85Wie bereits die Gerichte für England und Wales (High Court, Urteil vom - [2022] EWHC 1316 (Pat) Rn. 192 ff. (Meade J); Court of Appeal, - [2023] EWCA Civ 880 Rn. 76 ff. (Arnold LJ, mit Zustimmung von Stuart-Smith und Falk LJJ)) und die Rechtbank Den Haag (Urteil vom - C/09/625472 HA ZA 22-183, Abs. 4.10 und 4.11) entschieden haben, ergab sich auch vor diesem Hintergrund keine hinreichende Aussicht darauf, dass Mirabegron zur Vorbeugung und Behandlung einer überaktiven Blase geeignet ist.

86(a) Wie insbesondere durch BB6, BB7a und BB20 bestätigt wird, waren im Stand der Technik eine Vielzahl von ß3-Adrenozeptor-Agonisten bekannt. Bekannt war auch, dass nicht jeder dieser Stoffe in gleicher Weise für die Behandlung von Blasen-Dysfunktionen geeignet ist und dass eine hohe Selektivität hierfür zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist.

87Vor diesem Hintergrund gab es keine hinreichende Grundlage für die Erwartung, dass unter der Vielzahl von in Betracht kommenden Stoffen gerade Mirabegron sich als geeignet erweisen könnte. Mirabegron ist zwar in BB13, BB14 und BB27 gegenüber anderen Stoffen besonders hervorgehoben worden. Dies und die ebenfalls bekannte Eignung zur Behandlung von Diabetes mellitus und Fettleibigkeit bot jedoch keine Gewähr dafür, dass der Stoff auch zur Behandlung einer überaktiven Blase geeignet ist.

88(b) Der Umstand, dass zum Prioritätszeitpunkt Hinweise auf Unterschiede zwischen dem menschlichen ß3-Adrenozeptor und demjenigen von Nagetieren vorlagen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

89Hieraus mag sich ergeben haben, dass ein Wirkstoff, der in Versuchen mit Ratten hohe Selektivität und Aktivität gezeigt hat, nicht ohne Weiteres auch zur Behandlung der überaktiven Blase beim Menschen geeignet ist. Damit war aber nicht ausgeschlossen, dass zumindest einige der zuvor nur an Ratten getesteten Wirkstoffe auch für die Anwendung beim Menschen geeignet sein könnten. Selbst wenn der Fokus auf bereits an menschlichen Rezeptoren getestete Stoffe gelegt wurde, blieb überdies eine Vielzahl von geeigneten Kandidaten übrig. Anhaltspunkte dafür, dass alle diese Stoffe gleichermaßen geeignet sein könnten, sind nicht ersichtlich.

90(c) Ob Mirabegron, wie die Klägerin geltend macht, in seiner chemischen Struktur den in BB6, BB7a, BB8, BB10 und BB20 behandelten Verbindungen ähnlich ist, kann offenbleiben.

91Wie sich insbesondere aus BB7a ergibt, ist die Aktivität als ß3-Adrenozeptor-Agonist auch bei sehr ähnlichen Verbindungen sehr unterschiedlich. Angesichts dessen reichte eine ähnliche Struktur zu bekanntermaßen geeigneten Stoffen weder allein noch in Zusammenschau mit sonstigen Anhaltspunkten aus, um eine hinreichende Erfolgsaussicht zu begründen.

92d) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergaben sich ausgehend von der Zielsetzung, neue Anwendungsgebiete für Mirabegron zu finden, keine weitergehenden Anregungen.

93aa) Wie die Berufung zu Recht geltend macht, haben BB15 und BB16 gemäß § 4 Satz 2 und § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG bzw. Art. 54 Abs. 3 und Art. 56 Satz 2 EPÜ für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu bleiben.

94(1) Das Anmeldedatum von BB16 liegt zwar vor dem Prioritätstag des Streitpatents. BB16 ist aber erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden und gehört deshalb unabhängig von der Wirksamkeit der Inanspruchnahme der Priorität nicht zu dem für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevanten Stand der Technik.

95(2) BB15 hat dasselbe Anmeldedatum wie BB16 und ist im Prioritätsintervall des Streitpatents veröffentlicht worden. Damit gehört die Entgegenhaltung ebenfalls nicht zu dem im vorliegenden Zusammenhang relevanten Stand der Technik, weil das Streitpatent die Priorität von BB17 aus den oben dargelegten Gründen zu Recht in Anspruch nimmt.

96(3) Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung ist die Beklagte mit diesem erst in der Berufungsreplik erhobenen Einwand nicht ausgeschlossen.

97Das Vorbringen zu den maßgeblichen Anmelde- und Veröffentlichungsdaten ist unstreitig und unterliegt deshalb nicht der Präklusion. Die daran anknüpfende Beurteilung, ob die Entgegenhaltungen zum relevanten Stand der Technik gehören, erschöpft sich in einer Rechtsanwendung, die ohnehin dem Gericht obliegt.

98bb) Auch wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sich bereits aus BB13, BB14 und BB27 die Anregung ergab, nach zusätzlichen Anwendungsmöglichkeiten für Mirabegron zu suchen, gab dies entgegen der Auffassung des Patentgerichts keinen Anlass zu der Erwartung, dass sich Mirabegron zur Behandlung einer überaktiven Blase eignet.

99Auch von diesem Ausgangspunkt aus ergab sich aus den oben aufgezeigten Entgegenhaltungen, dass die Eigenschaft als ß3-Adrenozeptor-Agonist und eine hohe Selektivität keine hinreichende Erfolgsaussicht dafür begründen, dass ein Stoff für die Behandlung einer überaktiven Blase geeignet ist. Vor diesem Hintergrund begründete der Umstand, dass sich Mirabegron in anderem Zusammenhang als besonders wirksam erwiesen hatte, keine signifikant erhöhte Erfolgsaussicht im Vergleich zu der Vielzahl von anderen in Betracht kommenden Stoffen, deren Eignung ebenfalls möglich erschien, aber ohne weitere Versuche nicht hinreichend sicher zu beurteilen war.

100e) BB18 und BB19 gehören auch für die Beurteilung der Neuheit nicht zum Stand der Technik, weil das Streitpatent die Priorität von BB17 zu Recht in Anspruch nimmt und beide Anmeldungen im Prioritätsintervall eingereicht worden sind.

101IV. Die von der Klägerin hilfsweise beantragte Zurückverweisung an das Patentgericht kommt nicht in Betracht.

102Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG), weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind.

103Das Streitpatent erweist sich aus den dargelegten Gründen als rechtsbeständig. Deshalb ist die Klage in dem nach der Erledigungserklärung noch anhängigen Umfang abzuweisen.

104V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG sowie § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 91a ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250624UXZR92.23.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-72677