Instanzenzug: Az: 39 T 70/22vorgehend Az: 507b XIV 100/22
Gründe
1I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Nachdem die belgischen Behörden auf Anfrage ihre Zuständigkeit erklärt hatten, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom den Asylantrag des Betroffenen als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Belgien an. Am wurde der Betroffene festgenommen.
2Auf den auf Haftanordnung bis zum gerichteten Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Überstellung nach Belgien bis zum angeordnet. Die nach am erfolgter Überstellung noch mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgte Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung sei rechtmäßig gewesen. Es habe ein vollständiger Haftantrag vorgelegen. Die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sei hinreichend dargelegt worden. Aus der Übernahme des Wortlauts des Antrags im Haftanordnungsbeschluss könne nicht darauf geschlossen werden, dass keine Einzelfallbegründung vorgenommen worden sei.
52. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6a) Zwar ist der Haftantrag entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht wegen eines Verstoßes gegen § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG formunwirksam. Wie der Senat zwischenzeitlich entschieden hat, müssen entsprechende Anträge der zuständigen Verwaltungsbehörde in Freiheitsentziehungssachen dem Gericht nicht nach dieser Vorschrift als elektronisches Dokument übermittelt werden; vielmehr reicht die Einreichung nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 14b Abs. 2 FamFG aus (vgl. , BGHZ 239, 162 Rn. 6 bis 10).
7b) Die Haftanordnung des Amtsgerichts leidet auch nicht an einem Begründungsmangel im Hinblick auf die angeordnete Haftdauer. Das Amtsgericht hat die erforderliche Haftdauer im Einzelnen begründet. Die erfolgte weitgehend wörtliche Übernahme der Angaben aus dem Haftantrag rechtfertigt nicht die Annahme, eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Richter habe nicht stattgefunden (vgl. , NVwZ-RR 2024, 524 Rn. 16). Durch seine Unterschrift bezeugt der Haftrichter vielmehr, dass er den von der Unterschrift gedeckten Text geprüft und in seinen Willen aufgenommen hat und damit als Richter verantwortet. Die gegenteilige Annahme kann nur bei Vorliegen hinreichender und konkreter Anhaltspunkte begründet sein (, NJW 2015, 851 Rn. 18 f.). Solche sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
8c) Das Beschwerdegericht hat jedoch unter Verstoß gegen § 26 FamFG nicht aufgeklärt, ob dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör hinreichend Rechnung getragen worden ist.
9aa) Der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör erfordert, dass ihm vor seiner gerichtlichen Anhörung eine Ablichtung des Haftantrags übergeben und ihm dieser erforderlichenfalls vollständig mündlich übersetzt wird. Dass dies geschehen ist, muss im Protokoll über die Anhörung oder in anderer Weise - etwa durch eine dienstliche Äußerung des zuständigen Richters - in der Akte dokumentiert sein (, InfAuslR 2020, 279 Rn. 12 bis 14 mwN).
10bb) Vorliegend kann der Verfahrensakte nicht entnommen werden, dass dem Betroffenen der vollständige Haftantrag übergeben und übersetzt worden ist.
11(1) Zur Akte gelangt ist im Haftanordnungsverfahren nur ein unvollständiger Haftantrag, dem eine Seite und dadurch ausreichende Ausführungen zur erforderlichen Dauer der Haft fehlten. Zwar hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass sich aus dem Vermerk der die Haft anordnenden Richterin vom ergibt, dass der Haftantrag vor der Haftanordnung vollständig übermittelt wurde. Dass er dem Gericht vollständig vorlag, lässt sich auch der weitgehend wörtlichen Übernahme der Angaben zur Haftdauer im Beschluss entnehmen. Zur Akte gelangt ist der vollständige Haftantrag jedoch erst nach nochmaliger Übermittlung durch die antragstellende Behörde am .
12(2) Der Akte ist nicht zu entnehmen, dass dem Betroffenen bei der Anhörung am gleichwohl der vollständige Haftantrag übergeben und übersetzt worden ist. Soweit im Protokoll vermerkt ist, dass dem Betroffenen der Abschiebungshaftantrag eröffnet wurde und er eine Abschrift des Antrags erhalten hat, kann sich dies sowohl auf den bei der Anhörung vollständig vorliegenden als auch auf den (zunächst) zur Akte gelangten unvollständigen Haftantrag beziehen. Das Beschwerdegericht hätte daher gemäß § 26 FamFG - etwa durch Einholung einer dienstlichen Äußerung der in der ersten Instanz zuständigen Richterin - aufklären müssen, ob dem Betroffenen tatsächlich der vollständige Haftantrag übergeben und übersetzt worden ist.
133. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da die Beurteilung, ob die Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, weitere Sachverhaltsermittlungen erfordert. Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
144. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624BXIIIZB62.22.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-72600