Instanzenzug: OLG Dresden Az: 11a U 1110/21vorgehend LG Dresden Az: 7 O 2051/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er erwarb im Juni 2018 einen Gebrauchtwagen des Typs VW Golf 1.6 TDI mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euro 6). Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die zuletzt gestellten Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Die uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10) und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Das Fahrzeug sei zwar mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen gewesen in Form einer an die Fahrkurve geknüpften Funktionsweise des Katalysators, die sich auf dem Prüfstand von derjenigen im Fahrbetrieb unterscheide. Dem Kläger sei aber kein Schaden im Sinne von §§ 826, 823, 249 BGB entstanden. Für ihn habe zu keiner Zeit die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bestanden, denn das Kraftfahrt-Bundesamt habe ausweislich von der Beklagten vorgelegter Auskünfte mangels Auswirkung auf die Einhaltung der Grenzwerte von Nebenbestimmungen oder einem Rückruf abgesehen. Weitere greifbare Anhaltspunkte für eine Manipulation des Fahrzeugs durch die Beklagte seien nicht ersichtlich. Der Vortrag des Klägers reiche insoweit nicht aus, eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte substantiiert aufzuzeigen.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Zwar kann, wie die Revision zu Recht rügt, ein dem Kläger entstandener Schaden nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden (vgl. nur , BGHZ 225, 316 Rn. 19 ff., 52; Urteil vom - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 16). Die vom Berufungsgericht festgestellte fehlende Grenzwertkausalität hat aber zur Folge, dass Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel, die EG-Typgenehmigung zu erhalten, nicht bestehen (näher VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff. mwN). Sofern die verwendete Abschalteinrichtung nicht grenzwertkausal ist oder auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, kommt eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur , WM 2023, 1839 Rn. 12; - III ZR 303/20, juris Rn. 13; Urteil vom - VIa ZR 165/23, juris Rn. 10 ff.). Das kommt auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht in Betracht. Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht in Erwägung gezogen hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens, der sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ohne Verletzung des § 287 Abs. 1 ZPO verneinen lässt (vgl. aaO, Rn. 41, 71 ff.), gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180624UVIAZR653.23.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-72463