BGH Beschluss v. - 1 StR 10/24

Instanzenzug: LG Ingolstadt Az: 1 KLs 42 Js 9059/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Betruges in 14 Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Inverkehrbringen nicht zugelassener Fertigarzneimittel“ schuldig gesprochen und ihn deshalb unter Einbeziehung der mit Strafbefehl des Amtsgerichts I.        vom verhängten Einzelstrafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt, wobei es hierauf einen Monat und zwei Wochen wegen einer erfüllten Bewährungsauflage aus der Vorverurteilung zur Anrechnung gebracht hat. Daneben hat es eine Anrechnungsentscheidung hinsichtlich der auf Zypern erlittenen Auslieferungshaft und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Angeklagte hat es wegen „Betruges in 11 Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Inverkehrbringen nicht zugelassener Fertigarzneimittel, des unerlaubten Inverkehrbringens nicht zugelassener Fertigarzneimittel, der Beihilfe zum unerlaubten Inverkehrbringen nicht zugelassener Fertigarzneimittel in 5 Fällen und des Missbrauchs von Titeln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2Die Angeklagten wenden sich mit ihren auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützten Revisionen gegen ihre Verurteilungen. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

31. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Korrektur des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.

4a) Der tateinheitlichen Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln gemäß § 96 Nr. 5 AMG aF in den Fällen B.II.1.a) und B.II.2.a) der Urteilsgründe steht das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen.

5aa) Die Taten vom 19. und sind insoweit gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB absolut verjährt. Der Straftatbestand des unerlaubten Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln gemäß § 96 Nr. 5 AMG aF, der mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, verjährt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB in drei Jahren. Das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist – sechs Jahre – war somit im März 2023 abgelaufen. Ein rechtzeitiges Ruhen der Verjährung gemäß § 78c Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 78b Abs. 3 StGB durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils ist nicht eingetreten, weil dieses erst am , also nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist, verkündet worden ist. Ein Ruhen der Verjährung mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses vom gemäß § 78b Abs. 4 StGB scheidet aus, weil § 96 AMG keinen besonders schweren Fall vorsieht. Auch ein Ruhen der Verjährung beim Angeklagten im Hinblick auf dessen Auslieferung aus Zypern scheidet gemäß § 78b Abs. 5 Satz 3 StGB aus, weil er innerhalb der Europäischen Union aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ausgeliefert worden ist.

6bb) Dies führt in den Fällen B.II.1.a) und B.II.2.a) der Urteilsgründe zum Entfallen der neben dem Betrug (§ 263 StGB) bestehenden tateinheitlichen Verurteilung wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln gemäß § 96 Nr. 5 AMG aF.

7cc) Der Senat passt den Schuldspruch an den Wortlaut des § 96 Nr. 5 AMG aF an und nimmt zur Abgrenzung von einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 AMG die Schuldform in den Tenor auf (vgl. ).

8b) Der Gesamtstrafenausspruch gegen den Angeklagten hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

9aa) Zwar können zunächst die gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen in den hinsichtlich § 96 Nr. 5 AMG aF verjährten Fällen B.II.1.a) und B.II.2.a) der Urteilsgründe bestehen bleiben. Angesichts der Vielzahl der strafschärfend berücksichtigten Gesichtspunkte kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer nur wegen des Wegfalls der jeweils tateinheitlich verwirklichten Straftat nach § 96 Nr. 5 AMG aF auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte.

10bb) Hingegen verstößt die gegen den Angeklagten ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Spezialitätsgrundsatz und unterliegt daher der Aufhebung.

11(1) Das Landgericht hat den Spezialitätsgrundsatz (Art. 14 Abs. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h Abs. 1 IRG) dadurch verletzt, dass es die Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts I.       vom im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB in die Gesamtstrafe für die abgeurteilten Taten B.II.1. bis B.II.5. einbezogen hat. Die Straftaten, die dem Strafbefehl zugrunde lagen, waren nicht Gegenstand der Auslieferung, sodass insoweit ein Vollstreckungshindernis bestand; sie durften daher auch nicht in eine nachträgliche Gesamtstrafe mit den der Auslieferung zugrundeliegenden Taten einbezogen werden (vgl. Rn. 7; Beschlüsse vom – 6 StR 488/21 Rn. 13 und vom − 2 StR 46/22 Rn. 7). Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Vollstreckung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts I.        vom von einem Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war. Ein Ausnahmefall gemäß § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG liegt nicht vor, weil die Strafe in eine nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe einbezogen worden ist (vgl. Rn. 3). Auch der Umstand, dass der Angeklagte anlässlich seiner Anhörung vor dem Bezirksgericht L.     /Zypern erklärt hat, mit einer Auslieferung nach Deutschland einverstanden zu sein, führt hier nicht zu einem anderen Ergebnis. Die ausdrückliche Zustimmung zur Übergabe wegen der im Europäischen Haftbefehl genannten Taten kann mangels anderweitiger Anhaltspunkte grundsätzlich nicht zugleich als „ausdrücklicher Verzicht” auch auf den Grundsatz der Spezialität nach Art. 13 Abs. 1RbEuHb, § 83h Abs. 2 Nr. 5 IRG interpretiert werden (vgl. Rn. 2). Eine Einbeziehung ist erst dann möglich, wenn ein Nachtragsersuchen an Zypern erfolgreich gestellt oder der Angeklagte gemäß § 83h Abs. 2 Nr. 5 IRG auf den Spezialitätsgrundsatz verzichtet hat.

12(2) Da die Zäsurwirkung des Strafbefehls vom entfällt, solange eine Einbeziehung aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes nicht möglich ist, wird das neue Tatgericht aus den im vorliegenden Fall verhängten Einzelstrafen eine neue einheitliche Gesamtstrafe zu bilden haben (vgl. Rn. 10), die die Summe der beiden bisherigen Gesamtstrafen nicht überschreiten darf. Die wegen Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes notwendig werdende erneute Gesamtstrafenbildung kann gemäß § 354 Abs. 1b StPO im Beschlussverfahren nach §§ 460 ff. StPO vorgenommen werden (vgl. Rn. 11).

13(3) Der vom Landgericht rechtsfehlerfrei bestimmte Ausgleich von einem Monat und zwei Wochen für die vom Angeklagten erbrachten Geldzahlungen in Höhe von 3.000 € zur Erfüllung einer Bewährungsauflage im Zusammenhang mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts I.        vom (§ 58 Abs. 2StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB) wird von der Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nicht erfasst. Insoweit tritt horizontale Teilrechtskraft ein (vgl. Rn. 16 mwN).

14c) Die Kostenentscheidung in Bezug auf den Angeklagten muss nicht dem Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO vorbehalten bleiben, weil sicher abzusehen ist, dass das Rechtsmittel des Angeklagten, der seine Verurteilung insgesamt angegriffen hat, nur einen geringfügigen Teilerfolg haben kann, so dass der Senat die Kostenentscheidung gemäß § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO selbst trifft (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 405/22 Rn. 7; vom – 4 StR 513/15 Rn. 3 und vom – 1 StR 191/11 Rn. 7).

152. Die Revision der Angeklagten führt mit der Sachrüge zur teilweisen Verfahrenseinstellung sowie zur damit korrespondierenden Korrektur des Schuldspruchs. Der Gesamtstrafenausspruch hat hingegen Bestand.

16a) Aus den oben unter 1.a) beim Angeklagten erörterten Gründen steht auch der Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln gemäß § 96 Nr. 5 AMG aF, § 27 StGB in den Fällen B.II.1.a) und B.II.2.a) der Urteilsgründe das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen, was insoweit zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO führt. Der Senat passt auch insoweit den Schuldspruch an den Gesetzeswortlaut an.

17b) Demgegenüber hat die gegen die Angeklagte verhängte Gesamtstrafe Bestand. Mit Blick auf die verhängten neun Einzelfreiheitsstrafen, die die Strafkammer zwischen elf Monaten und einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe bemessen hat, ist auszuschließen, dass sie bei Wegfall der Einzelstrafen von jeweils 60 Tagessätzen in den verjährten Fällen B.II.1.a) und B.II.2.a) der Urteilsgründe auf eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260624B1STR10.24.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-71785