BGH Urteil v. - VIa ZR 213/23

Instanzenzug: Az: 9 U 106/22vorgehend Az: 1 O 431/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb am ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz C 220 CDI, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision im Hinblick auf eine mögliche Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang mit § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach einer bevorstehenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren C-100/21 zugelassen. Mit dem Rechtsmittel verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz. Denn der Kläger habe die Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Täuschung durch die Beklagte nicht hinreichend dargetan.

7Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil in den genannten Bestimmungen der EG-FGV keine Schutzgesetze lägen.

II.

8Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine Einwendungen.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO).

13Soweit hingegen die Berufung hinsichtlich der mit dem Berufungsantrag zu 3 auch begehrten Freistellung von Zinsen auf geltend gemachte Rechtsverfolgungskosten zurückgewiesen worden ist, hat das Berufungsgericht einen entsprechenden Anspruch des Klägers im Ergebnis zutreffend verneint (vgl. , NJW-RR 2017, 942 Rn. 34; Urteil vom - IX ZR 267/16, NJW 2018, 1006 Rn. 28). Da die Sache im Umfang der Aufhebung des Urteils auch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250624UVIAZR213.23.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-71504