BVerwG Urteil v. - 2 WD 12/23

Beförderungsverbot wegen eigenmächtiger Abwesenheit während einer vorläufigen Dienstenthebung

Leitsatz

Bei einer längeren eigenmächtigen Abwesenheit während einer vorläufigen Dienstenthebung ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung.

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 3 VL 47/19 Urteil

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft eine eigenmächtige Abwesenheit während einer vorläufigen Dienstenthebung.

21. Der ..., ledige, kinderlose und disziplinarisch nicht vorbelastete Soldat wurde nach einem mittleren Schulabschluss und freiwilligem Wehrdienst 2012 Zeitsoldat und zuletzt ... zum Feldwebel befördert. Seine Dienstzeitverpflichtung endet mit Ablauf August ...

32. Im Oktober 2016 wurde gegen den Soldaten wegen des Verdachts des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Dateien und ihres Bereitstellens zum Download ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet. Zugleich wurden eine vorläufige Dienstenthebung, ein Uniformtrageverbot und die hälftige Einbehaltung der Dienstbezüge angeordnet. In der Einleitungsverfügung heißt es:

"3. Ihre Anwesenheit am Standort M. ist nicht erforderlich. Sie haben jedoch sicherzustellen, dass Sie jederzeit erreichbar sind. Die Genehmigung zum Erholungsurlaub erteilt Ihr nächster Disziplinarvorgesetzter.

4. Ihre soldatischen Pflichten - mit Ausnahme der Pflicht zur Dienstleistung - bestehen während der vorläufigen Dienstenthebung fort.

5. Ihren Truppenausweis haben Sie Ihrem nächsten Disziplinarvorgesetzten auszuhändigen."

4Das insoweit sachgleiche Strafverfahren wurde vom Amtsgericht B. nach Zahlung einer Geldauflage mit Beschluss vom gemäß § 153a StPO eingestellt, nachdem der Soldat gegen einen zuvor erlassenen Strafbefehl Einspruch erhoben hatte. Die vorläufige Dienstenthebung, das Uniformtrageverbot und die Einbehaltensanordnung wurden nachfolgend weder von der Einleitungsbehörde aufgehoben noch vom Soldaten angefochten.

53. Im Juli 2019 wurde der Soldat des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Dateien und ihres Bereitstellens zum Download beim Truppendienstgericht angeschuldigt. Mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom wurden die Vorwürfe auf eine befehlswidrige, eigenmächtige Abwesenheit während der vorläufigen Dienstenthebung erweitert. In dem insoweit sachgleichen Strafverfahren verhängte das Amtsgericht M. gegen den Soldaten mit rechtskräftigem Strafbefehl vom wegen eigenmächtiger Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) eine Geldstrafe.

64. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom aufgrund der Nachtragsanschuldigung aus dem Dienstverhältnis entfernt und ihn von den Vorwürfen in der Anschuldigungsschrift freigestellt.

7Der Soldat habe den ihm am zugegangenen schriftlichen Befehl seines nächsten Disziplinarvorgesetzten, sich am in seiner Einheit zu melden, um "Personalunterlagen" (die Anschuldigungsschrift) entgegenzunehmen, nicht befolgt und sei nachfolgend dem Dienst bis zu seinem freiwilligen Erscheinen am unerlaubt ferngeblieben, obwohl er den Befehl gekannt und gewusst habe, dass er verpflichtet gewesen sei, ihn trotz der vorläufigen Dienstenthebung zu befolgen. Durch diese sei er nicht von der Gehorsamspflicht entbunden gewesen. Zudem sei er verpflichtet gewesen, erreichbar zu sein. Mit dem genannten Befehl sei die Verpflichtung zur Dienstleistung wiederhergestellt worden. Dieser letzte Befehl gelte und sei erst am erfüllt worden.

8Der Soldat habe vorsätzlich die Pflichten zum treuen Dienen, zum Gehorsam und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im Dienst verletzt.

9Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei die Höchstmaßnahme, weil der Soldat dem Dienst mehrere Monate lang unerlaubt ferngeblieben sei. Davon sei nicht abzuweichen. Das Dienstvergehen habe einen besonderen Unrechtsgehalt. Denn die Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen bestehe nicht nur in einer Verletzung der Dienstleistungspflicht, sondern zugleich in einem Verstoß gegen die Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, weil sich der Soldat nach § 15 Abs. 1 WStG strafbar gemacht habe. Zudem habe er seinem Vorgesetzten nicht gehorcht, der Truppe mehrere Monate nicht zur Verfügung gestanden und die Auflage aus der Einleitungsverfügung missachtet, obwohl er als Vorgesetzter zu vorbildlichem Verhalten verpflichtet gewesen sei. Das Dienstvergehen habe wegen der vorläufigen Dienstenthebung nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn gehabt. Auch hätten Feldjäger mit der Suche des Soldaten beauftragt werden müssen. Zwar spreche für ihn, dass er bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung sehr gute Leistungen erbracht habe, verlässlich gewesen sei und sich tadellos verhalten habe. Auch habe er das Dienstvergehen eingeräumt, die Umstände seines Verhaltens erklärt, sein Fehlverhalten eingesehen und aufrichtig bereut. Dass er damals "in ein Loch gefallen sei" und seine Post nicht geöffnet habe, sei ihm ebenfalls leicht mildernd zu Gute zu halten, da er unter der vorläufigen Dienstenthebung erheblich gelitten habe. Dennoch sei dies kein Grund, den Kontakt zur Dienststelle monatelang völlig abreißen zu lassen und einen Befehl zu missachten. Selbst wenn ihm zur Tatzeit eine mittelschwere bis schwere Depression attestiert worden wäre, hätte er sich über den Truppenarzt oder den Sozialdienst Hilfe suchen können. Da die mildernden Umstände nicht genügten, um von der Höchstmaßnahme abzusehen, erlange die Verfahrensüberlänge keine rechtliche Bedeutung.

105. Mit seiner maßnahmebeschränkten Berufung beantragt der Soldat eine Einstellung des Verfahrens. Er habe nicht vorsätzlich gehandelt. Denn er habe den ihm am zugegangenen Brief mit dem Befehl zwar entgegengenommen, aber nicht geöffnet. Er habe sich wegen der jahrelangen vorläufigen Dienstenthebung in einer psychischen Ausnahmesituation befunden und eine mittelschwere bis schwere Depression gehabt. Als er vom Bürgermeister erfahren habe, dass Feldjäger ihn suchten, habe er sich sofort beim Kompaniechef gemeldet und von diesem am Folgetag auf dem Parkplatz der Dienststelle die Anschuldigungsschrift entgegengenommen. Er habe es "nicht gepackt", in die Kompanie hineinzugehen. Bei einem unerlaubten Fernbleiben während einer vorläufigen Dienstenthebung müsse Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen wie bei einem unerlaubten Fernbleiben von einer Berufsförderungsmaßnahme am Ende der Dienstzeit eine Dienstgradherabsetzung sein. Wegen der Belastungen durch die überlange vorläufige Dienstenthebung, dem daraus folgenden faktischen Beförderungsverbot, seiner guten dienstlichen Führung, Reue, Einsicht und der überlangen Verfahrensdauer wäre an sich ein "doppelter Maßnahmesprung" zu einer Bezügekürzung angezeigt. Da diese nach § 16 WDO nicht verhängt werden dürfe, sei das Verfahren einzustellen.

116. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hält die Höchstmaßnahme für angemessen. Eine Ausnahmesituation habe nicht vorgelegen. Der Soldat sei weder ärztlich noch psychologisch behandelt worden.

127. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des Soldaten sowie zur Anschuldigung, Nachtragsanschuldigung und Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen und für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.

Gründe

13Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten zu Unrecht aus dem Dienstverhältnis entfernt. Angemessen ist ein einjähriges Beförderungsverbot. Eine Einstellung des Verfahrens kann der Soldat hingegen nicht beanspruchen.

141. Aufgrund der verfahrensfehlerfreien Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts steht für den Senat bindend fest, dass der Soldat den ihm am zugegangenen schriftlichen Befehl seines nächsten Disziplinarvorgesetzten Oberfeldarzt M., sich am in seiner Einheit zu melden, nicht befolgte und nachfolgend dem Dienst bis zu seinem Erscheinen am unerlaubt fernblieb, obwohl er den Befehl kannte und wusste, dass er verpflichtet war, ihn trotz der vorläufigen Dienstenthebung zu befolgen, und dass der Soldat dadurch vorsätzlich die Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zum Gehorsam (§ 11 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verletzt hat.

15Denn bei einer - wie hier - auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Der Prozessstoff wird somit nicht mehr von den Anschuldigungs- und Nachtragsanschuldigungsschriften, sondern allein von den Tat- und Schuldfeststellungen im angefochtenen Urteil bestimmt (vgl. 2 WD 3.22 - juris Rn. 18). Dabei erfasst die Bindungswirkung sowohl die Feststellung vorsätzlichen Handelns als auch die konkreten Straftatbestände, hier § 15 Abs. 1 WStG, aus denen das Truppendienstgericht einen auch strafrechtlich begründeten Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen abgeleitet hat (vgl. 2 WD 7.14 - juris Rn. 33).

16Die Bindungswirkung entfällt zwar ausnahmsweise, wenn die erstinstanzliche Entscheidung an schweren Verfahrensmängeln im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 WDO leidet, was bei unzureichenden oder widersprüchlichen Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage der Fall sein kann (vgl. 2 WD 22.19 - juris Rn. 10 m. w. N.). Das Truppendienstgericht hat jedoch in seinem Urteil für die Maßnahmebemessung hinreichende und widerspruchsfreie Feststellungen zu den disziplinarrechtlichen Verfehlungen des Soldaten getroffen.

17Zwar ist die Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts, durch den Befehl vom sei die Pflicht des Soldaten zur Dienstleistung wiederhergestellt worden, wenig überzeugend. Denn dem Soldaten wurde mit dem Befehl nur aufgegeben, sich am um 10 Uhr zur Eröffnung von Personalunterlagen in seiner Einheit zu melden. Nicht hingegen wurde ihm befohlen, seinen Dienst wieder anzutreten. Einer aktiven Dienstleistungspflicht unterlag er wegen der andauernden vorläufigen Dienstenthebung, die zu keinem Zeitpunkt gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 und 2 WDO aufgehoben wurde, nicht (vgl. 2 C 26.77 - juris Rn. 23).

18Allein durch eine angreifbare oder sogar falsche rechtliche Würdigung werden erstinstanzliche Tatsachen- und Schuldfeststellungen aber nicht widersprüchlich (vgl. 2 WD 2.18 - juris Rn. 18, vom - 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 21 und vom - 2 WD 3.22 - juris Rn. 20). Subsumtionsfehler des erkennenden Gerichts und daraus resultierende Mängel des Schuldspruchs berühren die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung, die den Schuldspruch von einer Beanstandung ausnimmt, nicht (vgl. - juris Rn. 21 m. w. N.).

19Lediglich dann, wenn auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen zu dem nicht angefochtenen Schuldspruch überhaupt keine Disziplinarmaßnahme hätte verhängt werden dürfen, führt der dann fehlerhafte Schuldspruch zur Unwirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung (vgl. - juris Rn. 22 m. w. N.). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor. Denn bereits das vom Truppendienstgericht festgestellte vorsätzliche knapp dreimonatige "völlige Abreißenlassen" des Kontaktes zur Dienststelle unter Missachtung eines Befehls zum Erscheinen erfüllt ungeachtet seiner während der vorläufigen Dienstenthebung fehlenden aktiven Dienstleistungspflicht den Wehrstraftatbestand des § 15 Abs. 1 WStG und ist damit disziplinarisch relevant. § 15 Abs. 1 WStG setzt als zweiaktiges Delikt tatbestandlich voraus, dass ein Soldat zuerst eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt und anschließend vorsätzlich oder fahrlässig länger als drei volle Kalendertage abwesend ist. Ein Soldat bleibt seiner Truppe oder Dienststelle fern, wenn er es entgegen seiner Verpflichtung unterlässt, sich bei seiner Dienststelle einzufinden (vgl. - juris Rn. 9). Mit dem Abwesendsein ist der Zustand der räumlichen Lösung von der Truppe und der Verfügungsgewalt ihres Befehlshabers gemeint, ohne dass es auf die entgangene Dienstzeit ankommt (vgl. 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 22 m. w. N.). Beide Voraussetzungen waren durch das vom Truppendienstgericht festgestellte Verhalten des Soldaten erfüllt.

202. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde.

21a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle, Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

22Eine gefestigte Senatsrechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bei einer längeren eigenmächtigen Abwesenheit während einer vorläufigen Dienstenthebung gibt es nicht. Angemessen ist insoweit eine Dienstgradherabsetzung. Dies entspricht dem Gebot kohärenter Rechtsprechung.

23Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen in Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe bei einer kürzeren unerlaubten Abwesenheit grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung; bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt. Dabei hat der Senat zur Abgrenzung einer kürzeren von einer längeren Abwesenheit den Zeitraum herangezogen, der durch den jährlich zustehenden Urlaubszeitraum von 30 Tagen nach § 1 Satz 1 Soldatinnen- und Soldatenurlaubsverordnung i. V. m. § 5 Abs. 1 EUrlV abgedeckt werden kann (vgl. 2 WD 3.21 - juris Rn. 17 m. w. N.). Die Höchstmaßnahme ist in solchen Fällen regelmäßig deshalb angezeigt, weil die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe berührt, sondern auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses erschüttert ( 2 WD 6.21 - juris Rn. 32 m. w. N.). Denn ein Soldat, welcher der Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrags der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung ( 2 WD 2.10 - juris Rn. 27).

24Fällt demgegenüber das längere oder wiederholte Fernbleiben etwa in den Zeitraum einer Freistellung vom Truppendienst zur Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnahme am Ende der Dienstzeit, lässt es der Senat grundsätzlich bei einer Dienstgradherabsetzung bewenden (vgl. 2 WD 3.21 - juris Rn. 18 m. w. N.). Denn die dienstlichen Nachteile, die der Truppe dadurch entstehen, dass ein Soldat im Rahmen oder nach seiner Fachausbildung nicht zur Truppe zurückkehrt, sind in der Regel geringer als diejenigen, die für die Truppe durch das eigenmächtige Fernbleiben eines in der aktiven Dienstleistung in der militärischen Einheit stehenden Soldaten ausgelöst werden können. Das eigenmächtige Fernbleiben eines Soldaten, der seinen Dienst in der militärischen Einheit verrichtet, bringt in aller Regel Unruhe in die Truppe, gefährdet die militärische Disziplin und schafft unter Umständen sogar Anreiz zur Nachahmung, während eine unterlassene Rückkehr nach Abbruch einer Fachausbildung im Rahmen der Berufsförderung bei der Mehrzahl der Angehörigen der Einheit vielfach zunächst unbemerkt bleibt und den Dienstbetrieb nicht unmittelbar belastet. Der Dienstposten eines zur Fachausbildung vom Dienst freigestellten Soldaten ist zudem in der Zwischenzeit in der Regel anderweitig besetzt worden. Auch ist ein Soldat, der sich schon längere Zeit in der Fachausbildung befindet, nicht mehr im gleichen Maße in die militärische Organisation eingegliedert wie ein "aktiver" Soldat. Bei dem Entschluss, nach Abbruch der Fachausbildung der Truppe fernzubleiben, besteht daher in der Regel eine weit geringere Hemmschwelle als bei einem Soldaten, der sich aus dem Dienst in der militärischen Gemeinschaft löst (vgl. auch 2 WD 31.08 - juris Rn. 28).

25Diese Erwägungen gelten entsprechend für eine längere eigenmächtige Abwesenheit während einer vorläufigen Dienstenthebung. Auch hier besteht die soldatische Kernpflicht zur militärischen Dienstleistung, an welche die eingangs bezeichnete Regelmaßnahme anknüpft, nicht. Eine eigenmächtige Abwesenheit während einer vorläufigen Dienstenthebung bleibt im Regelfall bei der Mehrzahl der Angehörigen der Einheit zunächst unbemerkt und belastet den Dienstbetrieb nicht unmittelbar, zumal der Dienstposten eines vorläufig des Dienstes enthobenen Soldaten während seiner vorläufigen Dienstenthebung regelmäßig anderweitig besetzt wird. Ebenso ist die Hemmschwelle, den Kontakt zur Dienststelle im Laufe einer vorläufigen Dienstenthebung "abreißen zu lassen", geringer als bei einem Herauslösen aus der aktiven Dienstleistung in der militärischen Einheit.

26b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Liegt angesichts der be- und entlastenden Umstände ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlichen Bemessungskriterien zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet. Schließlich kann eine ungerechtfertigte Verfahrensüberlänge mildernd ins Gewicht fallen. Unter Berücksichtigung dessen ist ein einjähriges Beförderungsverbot angemessen.

27aa) Zwar fallen zu Lasten des Soldaten folgende Umstände ins Gewicht:

28(1) Das Dienstvergehen weist nach Art und Schwere wegen der extrem langen eigenmächtigen Abwesenheit von knapp drei Monaten (vgl. auch 2 WD 11.17 - juris Rn. 34: zu 84 Tage; vom - 2 WD 4.20 - juris Rn. 26: zu 73 Tage und vom - 2 WD 3.21 - juris Rn. 21: zu 65 Tage) und der hinzutretenden Gehorsamspflichtverletzung einen erhöhten Schweregrad auf.

29(2) Zudem hatte der Soldat wegen seines Dienstgrads als Feldwebel eine Vorgesetztenstellung inne (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 Abs. 1 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht (vgl. 2 WD 20.19 - juris Rn. 40 m. w. N.). Insoweit genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. 2 WD 7.20 - juris Rn. 40 m. w. N.).

30bb) Dem stehen jedoch eine Reihe mildernd zu berücksichtigender Umstände gegenüber.

31(1) So hat der Soldat bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung sehr gute dienstliche Leistungen erbracht. Nach Angaben des Leumundszeugen Oberfeldarzt Dr. H. in der Berufungshauptverhandlung wären die Leistungen nach dem alten Beurteilungssystem mit einem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von 7,0 bis 7,5 zu bewerten gewesen; der Soldat sei medizinisch "auf sehr hohem Niveau unterwegs" gewesen. Auch der Beurteilungsvermerk von Hauptmann R. vom fiel äußerst positiv aus. Eine Nachbewährung (vgl. 2 WD 10.12 - juris Rn. 48) liegt allerdings nicht vor, weil der Soldat wegen seiner vorläufigen Dienstenthebung seit Oktober 2016 keinen Dienst mehr geleistet hat und sich somit nicht mehr steigern konnte.

32(2) Des Weiteren war die Tat für den Soldaten persönlichkeitsfremd. Er ist weder vor noch nach der Tat durch unzuverlässiges dienstliches Verhalten aufgefallen. Nach dem Beurteilungsvermerk von Hauptmann R. vom ging das berufliche Selbstverständnis des Soldaten vielmehr weit über das normale Maß hinaus. Der Leumundszeuge Oberfeldarzt Dr. H. hat dem Soldaten ebenfalls eine einwandfreie soldatische Einstellung bescheinigt. Von der grundsätzlichen Zuverlässigkeit des Soldaten zeugen auch sein langjähriges ehrenamtliches Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr, einer Katastrophenhilfegruppe des Deutschen Roten Kreuzes und als Einsatzleiter im Rettungsdienst. Allerdings liegt keine erheblich mildernd zu berücksichtigende persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten vor. Davon ist auszugehen, wenn der Soldat das Dienstvergehen in einem Zustand beging, in dem er die rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedacht hat, wozu ein gewisses Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit gehört (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 41 m. w. N.). Daran fehlt es schon wegen der knapp dreimonatigen Dauer der eigenmächtigen Abwesenheit.

33(3) Darüber hinaus hat der Soldat in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft Unrechtseinsicht und Reue zum Ausdruck gebracht.

34(4) Erheblich mildernd zu berücksichtigen ist schließlich, dass der Soldat sowohl unter dem jahrelangen unzutreffenden Vorwurf des Besitzes und der Zurverfügungstellung kinder- und jugendpornographischer Dateien, von dem er erst im September 2023 vom Truppendienstgericht freigesprochen wurde, als auch unter der ausschließlich auf diesen Vorwurf gestützten und bereits seit Oktober 2016 andauernden vorläufigen Dienstenthebung sehr litt.

35Die vorläufige Dienstenthebung war jedenfalls zur Zeit der eigenmächtigen Abwesenheit Ende 2019/Anfang 2020 und danach nicht mehr rechtmäßig, so dass die Einleitungsbehörde verpflichtet gewesen wäre, sie von Amts wegen nach § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO aufzuheben. Es kann dahinstehen, ob dies schon aus ihrer Dauer folgt (vgl. 2 WDB 6.19 - NVwZ-RR 2020, 646 zur Unverhältnismäßigkeit einer mehr als vier Jahre langen Einbehaltensanordnung). Jedenfalls bestand Ende 2019/Anfang 2020 kein hinreichender Tatverdacht des Besitzes und der Zurverfügungstellung kinder- und jugendpornographischer Dateien mehr. Denn das diesbezügliche Strafverfahren war bereits mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden.

36Auf der Grundlage der Einstellungsentscheidung nach § 153a Abs. 2 StPO und der vorausgegangenen Zustimmungsentscheidung des Beschuldigten konnte nicht davon ausgegangen werden, dass er die vorgeworfenen Taten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verübt hatte. Denn mit einer Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO wird keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Beschuldigte die vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht. Sie setzt keinen Nachweis der Tat voraus. Dies entspricht dem Gebot der Unschuldsvermutung, die verlangt, dass dem Täter in einem justizförmig geordneten Verfahren Tat und Schuld nachgewiesen werden müssen. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. - NJW 1991, 1530 <1531> m. w. N.).

37Aus den strafrechtlichen Ermittlungsergebnissen ergab sich ebenfalls kein hinreichender Tatverdacht. Insbesondere wurden auf den sichergestellten Datenträgern des Soldaten weder strafrechtlich relevante Inhalte noch die Datentauschbörse "Gigatribe" gefunden, mittels derer die vorgeworfenen Taten begangen worden sein sollten. Hinsichtlich der festgestellten Verwendung des Pseudonyms "Icon96" durch den Soldaten wurde kein Bezug zu "Gigatribe" festgestellt. Eine allgemeine Handynutzung durch den Soldaten wurde für den Tattag nur deutlich später als zur vorgeworfenen Tatzeit nachgewiesen.

38Auch die nach der Einstellung des Strafverfahrens fortgeführten Ermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft erbrachten keine weiteren Erkenntnisse, aus denen ein hinreichender Tatverdacht abzuleiten gewesen wäre.

39Infolge der unberechtigten schweren Vorwürfe und der darauf gestützten vorläufigen Dienstenthebung, deren Ende für den Soldaten nicht absehbar war, befand er sich zur Tatzeit in einer Belastungssituation, die nach Überzeugung des Senats maßgeblich dazu beitrug, dass er die eigenmächtige Abwesenheit beging. Der Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung nachvollziehbar erläutert, dass er "tierische Angst" gehabt habe, "sein gesamtes Leben zu verlieren". Er sei in ein "unglaubliches Loch" gefallen und habe 2019 seinen persönlichen Tiefpunkt gehabt, weil ihm alles sehr sinnlos vorgekommen sei und eine Perspektive gefehlt habe. Ebenso schlüssig und plausibel hat er weiter ausgeführt, dass er sich damals von der Bundeswehr "weggeworfen" gefühlt, sich "eingeigelt" und im dunklen Zimmer abgeschottet habe, es nicht mehr geschafft habe, das Bett zu verlassen, und "nur noch recht wenig hinbekam". Die Zeugin W., seine langjährig Verlobte, hat glaubhaft bestätigt, dass der Soldat im Laufe der vorläufigen Dienstenthebung immer antriebsloser wurde. Er habe den Haushalt nicht mehr verrichtet, wenn sie auf Dienstreise und er unter der Woche allein zu Hause gewesen sei. Sie habe ihn nach ihrer Arbeit abends im selben Schlafanzug angetroffen, den er morgens getragen hatte. Selbst einfachste Dinge wie das Wegbringen eines Paketes hätten sich bis zu einer Woche hingezogen; dem Soldaten habe die Struktur gefehlt und sie habe ihm zweimal geraten, einen Arzt aufzusuchen.

40cc) Weitere Milderungsgründe liegen allerdings nicht vor.

41(1) Milderungsgründe in den Umständen der Tat bestanden nicht. Sie wären anzunehmen, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet gewesen wäre, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden könnte (vgl. 2 WD 4.20 - juris Rn. 56 m. w. N.). Eine derartige Ausnahmesituation ergibt sich aus den vom Soldaten und der Zeugin W. geschilderten Umständen für den knapp dreimonatigen Abwesenheitszeitraum nicht. Es wurden keine so außergewöhnlichen Besonderheiten aufgezeigt, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden konnte.

42(2) Ebenso wenig war die Schuldfähigkeit des Soldaten zur Tatzeit entsprechend § 21 StGB erheblich vermindert. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine psychische Störung vor, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren wäre. Der Soldat macht zwar geltend, zur Tatzeit an einer mittleren bis schweren Depression gelitten zu haben. Auch hat die Zeugin W. eine depressive Stimmung des Soldaten zur Tatzeit bestätigt. Der Soldat hat aber keine Belege, insbesondere keine ärztlichen Unterlagen, für eine Depression im Tatzeitraum vorgelegt. Ungeachtet dessen erreicht wegen der großen Bandbreite von Ausprägungs- und Schweregraden nicht jede Depression den Schweregrad eines Eingangsmerkmals im Sinne von § 21 StGB (vgl. - NStZ-RR 2019, 334 <335> m. w. N.). Maßgeblich ist, ob die Symptome in ihrer Gesamtheit das Leben des Betroffenen vergleichbar schwer und mit ähnlichen - auch sozialen - Folgen stören, belasten oder einengen wie anerkannte krankhafte seelische Störungen (vgl. - juris Rn. 11 m. w. N.; 2 WD 4.20 - juris Rn. 51 und vom - 2 WD 30.20 - Rn. 45). Für derart gravierende Einschränkungen des Soldaten im Tatzeitraum fehlt es an Anhaltspunkten. Nach eigenen Angaben war er wegen seiner depressiven Stimmung nie in ärztlicher oder psychologischer Behandlung. Auch führte er trotz der beschriebenen Belastungssituation eine langjährige Partnerschaft mit seiner Verlobten, hatte Freunde, die ihm aus seinem "Loch" halfen, und engagierte sich auch im Tatzeitraum bei der Freiwilligen Feuerwehr, dem Deutschen Roten Kreuz und im Rettungsdienst. Zudem war er in der Lage, am letzten Tattag 800 bis 900 km allein mit dem Pkw nach M. und zurück zu fahren, um die Anschuldigungsschrift entgegenzunehmen.

43dd) Bei einer Gesamtwürdigung aller für und gegen den Soldaten sprechenden Umstände ist folglich der Übergang zur nächstmilderen Maßnahmeart eines Beförderungsverbots (§ 58 Abs. 1 Nr. 2 WDO) geboten, welches innerhalb des von § 60 Abs. 2 WDO eröffneten Rahmens an sich im obersten Bereich (vier Jahre) anzusiedeln wäre. Der vom Soldaten für geboten gehaltene "doppelte Maßnahmesprung" zu einer Bezügekürzung wäre demgegenüber angesichts der Bedeutung der vom Soldaten missachteten Vorbildfunktion als Vorgesetzter und der zusätzlich verletzten Gehorsamspflicht nicht angemessen.

44ee) Die erhebliche Überlänge des Gesamtverfahrens von rund zwei Jahren und fünf Monaten gebietet, das Beförderungsverbot auf ein Jahr zu beschränken.

45Denn in Fällen, in denen statt der Höchstmaßnahme eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, ist eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen (vgl. 2 WD 18.19 - juris Rn. 75 m. w. N.), wobei der für die Verfahrensdauer maßgebliche Zeitraum ein behördliches Vorschaltverfahren umfassen kann (vgl. EGMR, Urteil vom - Nr. 8453/04, Bayer/​Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 44).

46Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist die Gesamtverfahrensdauer. Dies hat zur Folge, dass Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Vielmehr ist im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob Verzögerungen in einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (vgl. 2 WD 2.22 - juris Rn. 83).

47(1) Ausgehend davon war zwar das bei der Verfahrensdauer zu berücksichtigende disziplinarische Vorermittlungsverfahren (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 41) nicht überlang. Verzögerungen bis zur Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens sind hier deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie sich nicht auf die Gesamtverfahrensdauer auswirkten. Denn es wäre ohnehin der Ausgang des mit den Vorwürfen in der Einleitungsverfügung sachgleichen strafrechtlichen Verfahrens abzuwarten gewesen (vgl. 2 WD 25.18 - juris Rn. 25). Das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde am eingeleitet, noch bevor das betreffende Strafverfahren mit amtsgerichtlichem Beschluss vom eingestellt worden war.

48(2) Ebenso wenig kann sich der Soldat darauf berufen, dass der Zeitraum zwischen der Zustellung der Einleitungsverfügung an ihn und dem Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht unangemessen lang war. Denn er hat in diesem Verfahrensstadium keinen Antrag beim Truppendienstgericht nach § 101 Abs. 1 Satz 1 WDO gestellt, um auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken (vgl. EGMR, Urteil vom - 8453/04, Bayer/Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 51; 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42).

49(3) Jedoch weist das rund vier Jahre und einen Monat lange erstinstanzliche Verfahren eine Überlänge von jedenfalls gut drei Jahren auf.

50Von der erstinstanzlichen Verfahrensdauer abzuziehen ist der sechsmonatige Zeitraum vom , an dem die Anschuldigungsschrift zunächst erfolglos an die vom Soldaten seinem Dienstherrn mitgeteilte Adresse zugestellt wurde, bis zum , an dem der Soldat die Anschuldigungsschrift entgegennahm. Denn diese Verzögerung ist dem Verhalten des Soldaten zuzurechnen.

51Selbst wenn darüber hinaus noch der sich anschließende knapp sieben Monate lange Zeitraum bis zum Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls vom am , dessen Ergebnis das Truppendienstgericht nach § 83 Abs. 3 WDO abwarten konnte, abgezogen würde, hätte spätestens ab dann das erstinstanzliche Verfahren angesichts der Überschaubarkeit der Vorwürfe und der Bedeutung des Verfahrens für den Soldaten binnen eines Jahres beendet werden sollen. Dazu ist es ausweislich des Vermerks des Vorsitzenden der Truppendienstkammer vom wegen der Arbeitsbelastung der betreffenden Kammer nicht gekommen. Diesen strukturellen Mangel hat der Soldat nicht zu verantworten. Damit verbleibt eine ungerechtfertigte Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens von jedenfalls gut drei Jahren.

52(4) Demgegenüber weist das knapp fünf Monate lange Berufungsverfahren keine Überlänge auf. Es war aus den zum erstinstanzlichen Verfahren aufgezeigten Gründen binnen eines Jahres zu erledigen. Die um etwa sieben Monate unterdurchschnittlich lange Bearbeitungsdauer ist kompensatorisch zu berücksichtigen, so dass eine Gesamtverfahrensüberlänge von jedenfalls rund zwei Jahren und fünf Monaten verbleibt. Diese rechtfertigt es, das Beförderungsverbot auf das Mindestmaß zu beschränken.

533. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO. Der Senat hält es trotz des teilweisen Unterliegens des Soldaten für unbillig, ihn mit den Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu belasten. Denn die nach den Feststellungen des Truppendienstgerichts zu Unrecht erfolgte Anschuldigung des Besitzes und der Zurverfügungstellung kinder- und jugendpornographischer Dateien war mit ursächlich für die eigenmächtige Abwesenheit und damit auch für das vorliegende Verfahren.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:020524U2WD12.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-71360