Instanzenzug: Az: S 50 AY 126/13 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 23 AY 7/19 L 23 SF 116/22 AB Beschluss
Gründe
1I. Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und deren Höhe für die Zeit vom bis zum streitig.
2Der 1974 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsbürger. Er reiste erstmals über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am einen Asylantrag. Für die Dauer des Asylverfahrens war er in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zugewiesen. Nach Ablehnung des Asylantrags und Abschiebung nach Griechenland im Dezember 2004 zog er im April 2012 zu seiner Frau, mit der er jedenfalls seit 2012 verheiratet ist, in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten und stellte einen Asylfolgeantrag. Sein Antrag auf Leistungen nach dem AsylbLG (vom ) blieb zunächst ohne Erfolg (Bescheid der Beigeladenen vom ; Bescheid des Beklagten vom ; Widerspruchsbescheid des Beklagten vom ). Nachdem der Kläger eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens erhalten hatte, bewilligte der Beklagte, in dessen Bereich der Kläger nun zugewiesen war, Leistungen nach § 3 AsylbLG ab dem unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Ab dem erhielt der Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB Il).
4Zudem hat er zur Ziffer 2 hilfsweise einen weiteren Antrag gegen den Beklagten beziffert auf Leistungen in Höhe von 426,57 Euro gestellt und höchsthilfsweise die Anträge zu 1. und 2. gegen die Beigeladenen gerichtet. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung als unzulässig verworfen (Beschluss vom ). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 750 Euro.
5II. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Beschluss des LSG ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG und damit einen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der gerügte Mangel liegt auch vor. Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat daher von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuweisen.
6Das LSG hat zu Unrecht durch Prozessurteil und nicht in der Sache entschieden. Darin liegt ein Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), denn bei einem Prozessurteil handelt es sich im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (stRspr; vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom - B 4 AS 651/15 B - RdNr 5-6; RdNr 9; - RdNr 5 jeweils mwN).
7Die auf eine Geldleistung gerichtete Klage hat den Wert des Beschwerdegegenstandes von 750 Euro überstiegen (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG), sodass das LSG die Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme nicht als unzulässig hätte verwerfen dürfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird (vgl nur - SozR 4-1500 § 144 Nr 2 RdNr 12 f). Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes ist auf die Einlegung der Berufung abzustellen (stRspr; vgl etwa B 11a/11 AL 57/04 R - SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 14 mwN).
8Ausgehend von den Anträgen des Klägers zu 1. und 2. begehrt er zum einen Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom bis , für die er noch keine Leistungen erhalten hat. Er hat die Leistungen insoweit mit 627,26 Euro konkret beziffert. Um diesen Betrag, über den das SG vollständig entschieden hat und den der Kläger mit seiner Berufung weiterverfolgt, wird damit gestritten unabhängig davon, ob das LSG die Klage für die Zeit vom bis zum als unzulässig oder offensichtlich unbegründet ansieht, weil der Kläger erst am einen Leistungsantrag gestellt hat. Von einem Versehen bei der Antragstellung kann angesichts der Nennung des vom Kläger konkret berechneten Betrags nicht ausgegangen werden. Für eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG ist nichts ersichtlich (vgl dazu - BSGE 132, 255, 258, SozR 4-1500 § 144 Nr 11, RdNr 20), zumal das AsylbLG in der damaligen Fassung weder einen Kenntnisgrundsatz (vgl nunmehr § 6a AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom , BGBl I 2187) noch ein Antragsprinzip kannte (dazu im Einzelnen - BSGE 114, 292 = SozR 4-3500 § 25 Nr34, RdNr 20 f). Zum anderen begehrt der Kläger nach dem Klageantrag zu 3. für die Zeit ab höhere Leistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 2 statt der Regelbedarfsstufe 3. Dabei hat das LSG diesen nicht bezifferten weiteren Klageantrag zutreffend dahin ausgelegt, dass bei verständiger Würdigung des Klagebegehrens Leistungen nach dem AsylbLG nur bis begehrt werden, weil der Kläger vom an (höhere) Leistungen nach dem SGB II erhalten hat. Die Differenz zwischen den dem Kläger vom Beklagten ab dem bis zum bereits gewährten Leistungen und den mit der Klage geltend gemachten Leistungen beträgt damit für den zweiten Zeitraum insgesamt 136,27 Euro, wovon auch das LSG ausgeht. Mit seiner Berufung hat der Kläger uneingeschränkt auch die Ansprüche auf Leistungen für diesen Zeitraum weiter verfolgt.
9Bei der Ermittlung des Beschwerdewertes nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG sind mehrere in einer Klage geltend gemachte prozessuale Ansprüche zusammenzurechnen (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 5 ZPO; vgl ua - BSGE 132, 255, 257 f, SozR 4-1500 § 144 Nr 11, RdNr 19). Ungeachtet der Hilfsanträge beträgt der Beschwerdewert hier 763,53 Euro (627,26 + 136,27) und übersteigt demnach die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG.
10Eine Zurückweisung der Beschwerde war auch nicht deshalb geboten, weil bereits feststünde, dass die angegriffene Entscheidung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt Bestand haben wird (vgl dazu nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 18 mwN). Eine Sachprüfung wegen des streitbefangenen Zeitraums hat das LSG nicht durchgeführt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:080524BB8AY323B0
Fundstelle(n):
HAAAJ-70323