BGH Beschluss v. - 5 StR 473/23

Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren bei Erklärung der eigenen Befangenheit der Staatsanwältin in Fällen sexualisierter Gewalt gegen Frauen

Gesetze: § 22 StPO, § 23 StPO, § 160 Abs 2 StPO, § 145 GVG

Instanzenzug: Az: 6 KLs 305 Js 67577/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 190 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt und angeordnet, dass hiervon 40 Tagessätze als vollstreckt gelten. Soweit dem Angeklagten ferner unter anderem zur Last lag, die Nebenklägerin mehrfach vergewaltigt zu haben, hat das Landgericht ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Hinsichtlich der behaupteten Verletzung formellen Rechts sind lediglich Ausführungen zur Verfahrensrüge veranlasst, mit der der Beschwerdeführer die „tatsächliche Befangenheit der Staatsanwältin als Sitzungsvertreter“ beanstandet und einen sich hieraus ergebenden Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren geltend macht.

31. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Dem Angeklagten lagen 17 Taten zum Nachteil der Nebenklägerin zur Last, darunter – neben den abgeurteilten Taten – unter anderem sechs Fälle der Vergewaltigung. Die Staatsanwaltschaft wurde an allen sieben Hauptverhandlungstagen von derselben Staatsanwältin vertreten. Im Rahmen ihres Schlussvortrags erklärte sie – ausweislich des in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft unwidersprochen gebliebenen – Revisionsvortrags unter anderem: Sie sei „bei Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und im konkreten Fall befangen“. Sie „empfinde“ es als „unerträglich“, wenn sich eine Frau „als Opfer sexualisierter Gewalt im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung kritischen Fragen des Gerichts und der Verteidigung stellen und wegen ihres Aussageverhaltens rechtfertigen müsse“. Im Hauptverhandlungsprotokoll wurde insofern vermerkt: „Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hält den Schlussvortrag: Sie sei in Fällen häuslicher und sexueller Gewalt als Feministin und persönlich Betroffene befangen. Das sei unproblematisch, denn sie lege es hier offen. Mehrfach habe sie überlegt, ob sie einen Befangenheitsantrag stelle, davon aber letztlich abgesehen. Das Verhalten der Kammer sei zunächst nicht zu beanstanden gewesen, weil sie der Geschädigten viel Raum für ihre Aussage gegeben habe. Im weiteren Verlauf habe die Kammer die Geschädigte aber kritischer betrachtet als ma[n]chen Zeugen. Daher möge sich die Kammer des Confirmation Bias ebenso bewusst sein, wie sie ihre Befangenheit offengelegt habe“. Die Staatsanwältin beantragte, den Angeklagten wegen Körperverletzung in fünf Fällen, der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen und der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten zu verurteilen. Hinsichtlich der weitergehenden Anklagevorwürfe der Vergewaltigung in fünf Fällen beantragte sie, ihn freizusprechen. Im Anschluss an die Schlussvorträge des Nebenklägervertreters und des Verteidigers verkündete das Landgericht nach Beratung das Urteil.

5Der Vorsitzende der Strafkammer gab zur Revisionsbegründung unter Bezugnahme der oben wiedergegebenen Stelle aus dem Hauptverhandlungsprotokoll folgende dienstliche Erklärung ab: „Im Übrigen war das Verhalten der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft während der Hauptverhandlung von Gesetzes wegen nicht zu beanstanden, die Begründung ihrer Schlussvorträge auf der Grundlage der Beweiserhebung [war] vertretbar und nicht offensichtlich von verfahrensfremde[n] Überlegungen bestimmt. Hätte sie sich allerdings zu einem früheren Zeitpunkt in vergleichbarer Weise erklärt, hätte das Gericht im Hinblick auf die Fairness des Verfahrens Bedenken gehabt, die Hauptverhandlung unter ihrer Beteiligung fortzusetzen.“

62. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.

7a) Dies folgt allerdings nicht schon von vornherein daraus, dass die §§ 22 ff. StPO auf Staatsanwälte weder unmittelbar noch analog anwendbar sind. Insofern gilt: Staatsanwälte unterliegen nicht den Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (vgl. , BVerfGE 25, 336, 345). Eine analoge Anwendung der §§ 22 ff. StPO kommt – jedenfalls jenseits des Sonderfalls der Vernehmung des Sitzungsvertreters als Zeuge in der Hauptverhandlung (für eine analoge Anwendung des § 22 Nr. 5 StPO insoweit , JR 2019, 160 m. krit. Anm. Stuckenberg) – nicht in Betracht; sie kann insbesondere nicht den in §§ 141 ff. GVG niedergelegten Rechtssätzen entnommen werden (vgl. , NJW 1980, 845, 846; Beschlüsse vom – 1 StR 438/91, NStZ 1991, 595; vom – 1 StR 480/07, NStZ 2008, 353 f.; KK-StPO/Heil, 9. Aufl., Vorbem. zu §§ 22 ff. Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Vor § 22 Rn. 3; MüKo-StPO/Conen/Tsambikakis, 2. Aufl., § 22 Rn. 6). Es fehlt zudem schon an einer planwidrigen Regelungslücke, weil der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, den Ausschluss oder die Ablehnung von Sitzungsvertretern der Staatsanwaltschaft regelnde Vorschriften zu schaffen (vgl. hierzu LR/Siolek, StPO, 27. Aufl., Vor § 22 Rn. 8; SK-StPO/Weßlau/Deiters, 5. Aufl., Vor § 22 Rn. 35; KMR/Bockemühl, EL. 83, Vor § 22 Rn. 3). Weder dem Gericht noch einem sonstigen Verfahrensbeteiligten steht danach das Recht zu, einen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in einem förmlichen innerprozessualen Verfahren wegen Befangenheit abzulehnen (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed., § 22 Rn. 34). Sie können lediglich bei dem Vorgesetzten des Beamten der Staatsanwaltschaft darauf hinwirken, dass dieser ihn auf Grundlage des § 145 GVG durch einen anderen ersetze; wird der Staatsanwalt nicht ersetzt, ist die Hauptverhandlung fortzusetzen (vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1989, 13; LR, aaO, Rn. 9; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 22 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 4 f.).

8b) Es liegt aber kein Verfahrensfehler vor, der einen relativen Revisionsgrund nach § 337 StPO begründen könnte.

9aa) Zwar kann die Besorgnis, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sei befangen, im Einzelfall die Revision des Angeklagten begründen. Indes darf zur Beurteilung der Frage, ob einem Staatsanwalt die Mitwirkung an der Hauptverhandlung wegen der Besorgnis der Befangenheit untersagt ist, mit Blick darauf, dass das Gericht das Urteil spricht und in der Hauptverhandlung die maßgebliche Rolle einnimmt, hierbei nicht der strenge Maßstab wie bei einem der zur Entscheidung berufenen Richter angelegt werden (vgl. Rn. 8); die Gründe müssen vielmehr ähnlich schwerwiegen wie die Ausschlusstatbestände der §§ 22, 23 StPO (vgl. BeckOK StPO/Cirener, aaO, Rn. 36; Tolksdorf, Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt, 1989, S. 113 f.).

10Maßstab für die Beurteilung ist die Rolle der Staatsanwaltschaft als „Wächter der Gesetze“ (vgl. hierzu u.a., BVerfGE 133, 168, 219; , NJW 2024, 846, 847) und als ein dem Gericht gleichgeordnetes Organ der Strafrechtspflege (vgl. , BGHSt 24, 170, 171; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Vor § 141 GVG Rn. 1; SSW-StPO/Quentin/Schnabl, 5. Aufl., Vorbem. zu §§ 141 ff. GVG Rn. 3) sowie der hieraus folgenden Pflicht zur Objektivität, die insbesondere in § 160 Abs. 2 StPO ihren Niederschlag im Gesetz gefunden hat. Verletzt ein Staatsanwalt seine Pflicht zur Objektivität und Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens derartig schwer und nachhaltig, dass sich sein Verhalten in der Hauptverhandlung aus Sicht eines verständigen Angeklagten als Missbrauch staatlicher Macht darstellt, so ist dessen Recht auf ein faires und justizförmiges Verfahren verletzt (vgl. , aaO; KK-StPO/Heil, aaO, Rn. 5; BeckOK StPO/Cirener, aaO, Rn. 34 ff.; LR/Siolek, aaO, Rn. 17 f.). Das Urteil wird in einem solchen Fall regelmäßig auf der Rechtsverletzung beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO), es sei denn, das erkennende Gericht bringt im Rahmen seiner Verfahrensherrschaft eine Kompensation hierfür zum Ausdruck. Dies kann letztlich in der Obliegenheit münden, bei dem Vorgesetzten des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft auf dessen Ersetzung durch einen anderen Staatsanwalt hinzuwirken und seine Bemühungen in der Hauptverhandlung öffentlich zu machen. Fehlt es an einer Reaktion des Gerichts, wird es nur ausnahmsweise auszuschließen sein, dass sich das einem rechtsstaatlichen Verfahren zuwiderlaufende Verhalten des Sitzungsvertreters in dem Urteil zulasten des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl. hierzu , BGHSt 14, 265, 268 f.; KK-StPO/Heil, aaO, Rn. 1 f.; siehe zum Maßstab allgemein ; NStZ-RR 2022, 52; KK-StPO/Gericke, aaO, § 337 Rn. 33).

11bb) Gemessen daran ist das Verfahren vor dem erkennenden Gericht durch das Verhalten der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft (noch) nicht derart bemakelt, dass hierdurch ein revisibler Verfahrensverstoß begründet wäre.

12Zwar sind die Äußerungen der Sitzungsvertreterin unter mehreren Gesichtspunkten rechtlich bedenklich. Dies gilt zum einen für ihr mit außergewöhnlich scharfen Worten („unerträglich“) zum Ausdruck gebrachtes Befremden über die „kritische“ Befragung der Geschädigten. Denn dies lässt besorgen, dass sie einem grundlegenden Missverständnis von der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und dem Konfrontationsrecht eines Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 Buchst. b EMRK) unterlegen ist. Im Sinne der Wahrheitsfindung sind geeignete und zur Sache gehörende Fragen (vgl. § 239 Abs. 2, § 241 Abs. 2 StPO) an Zeugen aber selbst dann zulässig, wenn sie zur Unehre gereichen können oder den persönlichen Lebensbereich betreffen, falls sie zur Aufklärung der Wahrheit unerlässlich sind (vgl. § 68a Abs. 1 StPO). Dass sie lediglich auf ihre staatsanwaltliche Pflicht hinweisen wollte, eine rücksichtsvolle Vernehmung von Verletzten zu gewährleisten (vgl. Nr. 4c,130 Abs. 3 RiStBV), liegt fern. Denn die hierfür vorgesehenen Mittel sind nicht zur Wahrheitsfindung erforderliche Fragen des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 238 Rn. 11; KK-StPO/Schneider, aaO, § 238 Rn. 11) und auf Zurückweisung solcher Fragen durch andere Verfahrensbeteiligte nach § 241 Abs. 2 StPO hinzuwirken (vgl. auch Nr. 127 Abs. 2 RiStBV), nicht pauschale Gerichtsschelte. Zum anderen ist es nicht mit der staatsanwaltlichen Pflicht zur Objektivität in Einklang zu bringen, dass die Staatsanwältin die Sitzungsvertretung wahrgenommen hat, obwohl sie sich in Verfahren wegen des Verdachts von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen die körperliche Integrität von Frauen selbst „als Feministin und persönliche Betroffene“ für „befangen“ hielt. Hält sich ein Staatsanwalt für voreingenommen, hat er die Gründe hierfür seinem Dienstvorgesetzten vor- und um Ersetzung anzutragen. Dadurch wird gewährleistet, dass die im Gesetz angelegte Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft effektiv stattfinden kann (vgl. hierzu LR/Siolek, aaO, Rn. 8; KMR/Bockemühl, aaO).

13Das Fehlverhalten der Sitzungsvertreterin hatte aber noch nicht ein Ausmaß angenommen, das – gemessen an den hierfür geltenden strengen Maßstäben – einen Verfahrensfehler begründen würde. Zum einen hat sie trotz der ihren Schlussvortrag einleitenden Vorbemerkung beantragt, den Angeklagten in mehreren Fällen freizusprechen. Zum anderen ergibt sich aus der dienstlichen Erklärung des Strafkammervorsitzenden, dass ihr Verhalten in der Hauptverhandlung im Übrigen nicht zu beanstanden und die Begründung ihrer Schlussvorträge auf der Grundlage der Beweiserhebung vertretbar und nicht offensichtlich von verfahrensfremden Überlegungen bestimmt gewesen sei. Zudem belegt die dienstliche Erklärung, dass sich die Strafkammer ihrer Verantwortung für die Gewährleistung des Rechts auf ein faires und justizförmiges Verfahren auch im Hinblick auf die Rolle der Staatsanwaltschaft und deren Pflicht zur Objektivität und Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens bewusst war.

II.

14Die Sachrüge führt im Fall II.1.c der Urteilsgründe zur Änderung des Schuldspruchs.

151. Nach den Urteilsfeststellungen schlug der Angeklagte der Nebenklägerin im Oktober 2017 in der gemeinsamen Wohnung wuchtig mit einem Mobiltelefon ins Gesicht. Wie vom Angeklagten vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, erlitt das Opfer hierdurch Schmerzen, eine Platzwunde an der Lippe, eine Prellung und einen Bluterguss am Kinn. Außerdem drohte er ihr, sie töten zu lassen, falls sie ihrer Familie erzähle, dass er ein „Frauenschläger“ sei. Er wollte damit erreichen, dass die Nebenklägerin Stillschweigen über seine Gewalttaten ihr gegenüber bewahrt. Die Nebenklägerin verließ am nächsten Tag die gemeinsame Wohnung und offenbarte sich ihren Eltern.

162. Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte sei – in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung – auch der versuchten Nötigung schuldig, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme der Strafkammer, es lägen keine Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 StGB vor, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage. Insbesondere hat das Landgericht keinerlei Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bei der letzten Ausführungshandlung (hier der Drohung mit dem Tod) getroffen. Der Senat schließt aus, dass insoweit weiteres festgestellt werden kann, und hat den Schuldspruch wegen versuchter Nötigung daher entfallen lassen.

17Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte der Bedrohung nach § 241 StGB aF schuldig. Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO geändert.

18Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Der Senat schließt angesichts des unveränderten Tatbildes aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung für die Tat eine niedrigere Einzelgeldstrafe verhängt hätte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180124B5STR473.23.1

Fundstelle(n):
EAAAJ-70217