Berücksichtigung einer Gesetzesänderung im Revisionsverfahren
Gesetze: § 29a Abs 1 BtMG, § 3 Abs 1 KCanG, § 34 Abs 1 Nr 1 Buchst a KCanG, § 34 Abs 1 Nr 4 KCanG, § 34 Abs 3 Nr 4 KCanG, § 2 Abs 3 StGB, § 52 Abs 1 StGB, § 260 Abs 4 StPO, § 354 Abs 1 StPO, § 354a StPO
Instanzenzug: LG Würzburg Az: 2 KLs 822 Js 5018/22 (2)vorgehend Az: 6 StR 295/23 Beschlussvorgehend LG Würzburg Az: 8 KLs 822 Js 5018/22
Gründe
1Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 24 Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit Beschluss vom hat der Senat das Urteil im Strafausspruch aufgehoben, im Umfang der Aufhebung die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen sowie die weitergehende Revision verworfen. Das Landgericht hat den Angeklagten im zweiten Rechtsgang zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und fünf Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Das Landgericht hat – soweit hier von Belang – folgende Feststellungen getroffen.
3Zwischen Oktober 2020 und April 2021 verkaufte und übergab der Angeklagte in 24 Fällen gewerbsmäßig jeweils 200 Gramm Marihuana und 200 Gramm Amphetamin. Die gehandelten Rauschmittel wiesen einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC bzw. 10 % Amphetaminbase auf, sodass der Grenzwert zur nicht geringen Menge in jedem Fall um „insgesamt das 3,33-fache überschritten wurde“ (Fälle C.1.1 bis 24 der Urteilsgründe). Ferner konnten bei ihm am Haschisch (12,23 Gramm), Marihuana (3,94 Gramm), Amphetamin (3,3 Gramm) und MDMA (16,29 Gramm; Fall C.1.25 der Urteilsgründe) sowie am etwa drei Gramm Haschisch und zwei Gramm Marihuana (Fall C.1.26 der Urteilsgründe) sichergestellt werden, wobei diese Rauschmittel jeweils zum Eigenkonsum bestimmt waren.
42. Der Schuldspruch ist zu ändern. Zwar lässt das Urteil nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden Recht keinen Rechtsfehler erkennen; die Revision wäre insoweit unbegründet. Allerdings ist am das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom (BGBl. I Nr. 109; Konsumcannabisgesetz – KCanG) in Kraft getreten. Dies ist vom Revisionsgericht bei der Überprüfung des Strafausspruchs nach § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen, obwohl der Schuldspruch rechtskräftig geworden ist.
5a) Das Konsumcannabisgesetz erweist sich bei der nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Betrachtung (vgl. , BGHSt 20, 74, 75) als das mildere Gesetz.
6aa) Mit der Gesetzesänderung wurde Cannabis, so wie es in den Anlagen des BtMG definiert war, aus diesen entnommen und in das neue KCanG – bei medizinischen Zwecken in das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) – überführt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130). Für cannabisbezogene Handlungen finden nicht mehr die Strafvorschriften der §§ 29 ff. BtMG, sondern die in § 34 KCanG geregelten geringeren Strafrahmen Anwendung (vgl. BT-Drucks. aaO).
7bb) Das vom Landgericht in den Fällen C.1.1 bis 24 der Urteilsgründe abgeurteilte Handeltreiben des Angeklagten ist nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbewehrt. Dieser sieht – anders als § 29a Abs. 1 BtMG – nicht mehr eine erhöhte Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe, sondern Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Auch mit Rücksicht darauf, dass der Gesetzgeber in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren ausgestaltet hat, erweist sich dieser hier als das mildere Gesetz.
8cc) Der im Fall C.1.26 der Urteilsgründe abgeurteilte Besitz ist nicht nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG strafbar (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG). Die tatsächliche Sachherrschaft des Angeklagten bezog sich – anders als in dem auch Betäubungsmittel umfassenden Fall C.1.25 der Urteilsgründe – allein auf eine die Grenzen nach § 3 Abs. 1 KCanG nicht überschreitende Menge.
9b) Die Rechtskraft des Schuldspruchs steht der Berücksichtigung der Gesetzesänderung im Revisionsverfahren nicht entgegen.
10aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass das Revisionsgericht eine nach der Entscheidung des Tatgerichts eingetretene, das angewendete Strafgesetz mildernde Gesetzesänderung trotz Rechtskraft des Schuldspruchs jedenfalls zu berücksichtigen hat, wenn nur die Strafandrohung gemildert worden oder die Strafbarkeit entfallen ist (vgl. , BGHSt 20, 116, 118; vom – 1 StR 37/74). Dies gilt gleichermaßen, wenn nur noch die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung anhängig ist (vgl. , BGHSt 26, 1, 2; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 354a Rn. 10; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 354a Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., § 354a Rn. 5, jeweils mwN).
11bb) Durch das Konsumcannabisgesetz ist der Tatbestand des Handeltreibens unverändert. Die Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG hat der Gesetzgeber ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des BtMG angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94). Hinsichtlich der in § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG beschriebenen Tathandlung des „Handeltreibens“ hat der Gesetzgeber darüber hinaus auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ausdrücklich Bezug genommen (vgl. BT-Drucks. aaO). Deshalb sind die zu den in §§ 29 ff. BtMG unter Strafe gestellten Handlungsformen entwickelten Grundsätze auf § 34 Abs. 1 KCanG zu übertragen. Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zuvor in § 29a Abs. 1 BtMG als Qualifikationstatbestand ausgestaltet, ist nun in den Gesetzeskatalog des § 34 Abs. 3 KCanG von Regelbeispielen einer Strafzumessungsvorschrift aufgenommen worden. Wird damit aber – wie hier – maßgeblich nur die Strafandrohung gemildert, so hat das Revisionsgericht die Gesetzesänderung trotz Teilrechtskraft nach § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen (vgl. , BGHSt 20, 116, 118; Beschluss vom – 5 StR 153/24).
12cc) Der Angeklagte hat sich durch das Handeltreiben mit Marihuana in den Fällen C.1.1 bis 24 der Urteilsgründe nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar gemacht; das Handeltreiben mit Cannabis steht jeweils in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit dem in Bezug auf das Amphetamin verwirklichte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 BtMG). Der Schuldspruch ist entsprechend zu ändern (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Dem steht § 265 StPO nicht entgegen. Der Senat schließt aus, dass sich der Angeklagte wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Überdies ist der Angeklagte im Fall C.1.26 der Urteilsgründe freizusprechen.
133. Vor diesem Hintergrund hat der Strafausspruch insgesamt keinen Bestand.
14a) In den Fällen C.1.1 bis 24 der Urteilsgründe vermag der Senat nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des geltenden Rechts mildere Strafen verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO). Es hat in diesen Fällen jeweils strafschärfend berücksichtigt, um welches Maß der Grenzwert der nicht geringen Menge überschritten war. Zugrundegelegt hat die Strafkammer dabei die Summen der Grenzwertüberschreitungen von Amphetamin (20 Gramm Amphetaminbase) und Marihuana (10 Gramm Tetrahydrocannabinol). Auch eingedenk der maßvollen Strafen und des durch die tateinheitliche Verurteilung unveränderten Unrechtsgehalts, ist mit Blick auf die zahlreichen erwogenen Strafmilderungsgründe und angesichts der geänderten gesetzgeberischen Risikobewertung von cannabisbezogenen Handlungen eine andere Bemessung durch das Tatgericht möglich.
15b) Der Freispruch in Fall C.1.26 der Urteilsgründe zieht den Wegfall der hierfür verhängten Strafe nach sich; um dem neuen Tatgericht eine einheitliche Strafbestimmung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die im Fall C.1.25 der Urteilsgründe verhängte Strafe auf.
16c) Hingegen können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
174. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 KCanG – entsprechend den allgemein anerkannten Grundsätzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 128/09, NStZ-RR 2009, 248; vom – 4 StR 214/20; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 30. Aufl., Rn. 49; Rieß, GA 2007, 377, 383, jeweils mwN) – keine Aufnahme in die Urteilsformel (§ 260 Abs. 4 StPO) findet. Insoweit handelt es sich um einen Strafzumessungsgrund und nicht um einen Straftatbestand.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290424B6STR117.24.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-70030