BFH Beschluss v. - VIII B 113/23 (AdV)

Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte

Leitsatz

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung gebotenen summarischen Prüfung ist die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom (BGBl I 2020, 3096) nicht mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar.

Gesetze: FGO § 69 Abs 3, EStG § 20 Abs 6 S 5, GG Art 3 Abs 1, EStG § 20 Abs 2 S 1 Nr 3, EStG § 20 Abs 1 Nr 11, FGO § 69 Abs 2 S 2, GG Art 2 Abs 1, GG Art 14, JStG 2020 Art 1 Nr 9 Buchst b, EStG § 20 Abs 6 S 5, GrenzStMPflEinfG Art 5 Nr 1

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller), die unbeschränkt steuerpflichtig sind und für das Jahr 2021 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, wenden sich gegen die Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom (BGBl I 2020, 3096) —JStG 2020—. Sie halten die Regelung für verfassungswidrig.

2 Der Antragsteller handelte im Streitjahr über einen Broker Differenzkontrakte („Contracts for Difference“ —CFD—). Er erzielte im Streitjahr neben Einkünften aus Kapitalvermögen auch steuerfreie, dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Luxemburg. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Antragsteller unter anderem ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften des Antragstellers gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG in Höhe von 250.631 € und Verluste aus Termingeschäften im Sinne dieser Vorschrift in Höhe von 227.289 €.

3 In den Erläuterungen des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr vom führte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) aus, dass die Verluste aus den Termingeschäften des Antragstellers des Streitjahres in Höhe des gesetzlichen Höchstbetrags von 20.000 € gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG mit den Gewinnen aus Termingeschäften des Streitjahres verrechnet und die noch nicht verrechneten Verluste in Höhe von 207.289 € in der Verlustfeststellung berücksichtigt worden seien. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen des Antragstellers, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, ermittelte er wie folgt:


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Gewinne aus Termingeschäften
250.631 €
Verrechnung laufender Verluste aus Termingeschäften im Sinne des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG
  ./. 20.000 €
Verrechnung von Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen ohne Verluste aus der Veräußerung von Aktien
  ./. 15.203 €
Sparer-Pauschbetrag
./.   1.602 €
Einkünfte aus Kapitalvermögen
213.826 €

4 Das FA setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr in Höhe von 52.280 € fest. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim FA. Unter Berufung auf den Vorlagebeschluss des Senats vom  - VIII R 11/18 (BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562) zu Aktienveräußerungsverlusten und des hierzu beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Verfahrens 2 BvL 3/21 erhoben sie verfassungsrechtliche Einwände gegen die Beschränkung des Verlustausgleichs der Gewinne und Verluste aus den Termingeschäften des Streitjahrs und machten geltend, dass nur der Gesamtgewinn nach Verrechnung der erzielten Gewinne und Verluste aus Termingeschäften in Höhe von 23.342 € der Besteuerung unterworfen werden dürfe. Bei einem wirtschaftlichen Netto-Gewinn aus Termingeschäften in Höhe von 23.342 € müssten sie aufgrund der Gesetzeslage jedoch insgesamt 59.860,60 € an Steuern bezahlen.

5 Das FA lehnte den Antrag auf AdV mit Bescheid vom ab. Es wies auch die gegen die Ablehnung der AdV und den Einkommensteuerbescheid des Streitjahrs eingelegten Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom jeweils als unbegründet zurück. Hiergegen erhoben die Antragsteller Klage und stellten zugleich beim Finanzgericht (FG) einen Antrag auf AdV für den angefochtenen Einkommensteuerbescheid des Streitjahrs.

6 Das FG gab dem AdV-Antrag mit Beschluss vom wegen erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken an der Vereinbarkeit der Beschränkung der Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) statt. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr sei ernstlich zweifelhaft.

7 Der vom FG zugelassenen Beschwerde des FA hat das nicht abgeholfen.

8 Das FA macht mit der Beschwerde geltend, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr bestünden, da die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verfassungsmäßig sei. Die Beschränkung des Verlustausgleichs nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG beeinträchtige zwar das Leistungsfähigkeitsprinzip, sei aber sachlich gerechtfertigt, denn die Steuerzahlung in Höhe von insgesamt 59.860,60 € könne aus den erwirtschafteten Gewinnen aus Termingeschäften in Höhe von 250.631 € geleistet werden. Die Verlustverrechnungsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unterscheide sich wesentlich von der Verlustverrechnungsbeschränkung bei Aktienveräußerungsverlusten in § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG, die Gegenstand des Vorlagebeschlusses des Senats vom  - VIII R 11/18 (BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562) gewesen sei. Die dortigen Bedenken des Senats ließen sich nicht auf die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG übertragen.

9 Das FA beantragt,

den über die Gewährung der AdV aufzuheben und den Antrag der Antragsteller zurückzuweisen.

10 Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde des FA zurückzuweisen.

Gründe

II.

11 Die nach § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet.

12 Das FG hat den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu Recht von der Vollziehung ausgesetzt. Bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr ernstliche Zweifel. Der Senat hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 bei summarischer Prüfung für nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

13 1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der AdV die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 FGO).

14 Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom  - V B 63/20 (AdV), BFH/NV 2021, 1212 und vom  - I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl.  (AdV), BFH/NV 2020, 919, m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 64/22 (AdV), juris, Rz 16; vom  - VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060, m.w.N.).

15 2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG die begehrte AdV des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr zu Recht gewährt. Der Senat teilt bei der gebotenen summarischen Prüfung und ausgehend von den bisherigen Sachverhaltsfeststellungen des FG dessen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr.

Rechtslage

17 a) Der durch Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom (BGBl I 2019, 2875) geschaffene und durch das Jahressteuergesetz 2020 modifizierte § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG, der auf nach dem entstehende Verluste aus Termingeschäften und damit im Streitfall anzuwenden ist (§ 52 Abs. 28 Satz 25 EStG), schafft —vergleichbar dem Verlustverrechnungskreis für Aktienverluste gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG— neben dem allgemeinen Verlustverrechnungsverbot des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG einen speziellen Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte, indem Verluste aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG nur mit Gewinnen aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG und solchen aus Stillhalterprämien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG, nicht aber mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ausgeglichen und verrechnet werden dürfen. Darüber hinaus sind der Verlustausgleich und die Verlustverrechnung —anders als bei Aktienverlusten— auch noch der Höhe nach auf jährlich 20.000 € beschränkt.

18 Die Regelung ist nur im Rahmen der Veranlagung der Kapitalerträge anzuwenden, nicht im Rahmen des Steuerabzugs. Verluste aus Termingeschäften dürfen nicht in den Verlustverrechnungstopf für allgemeine Verluste eingestellt werden; dem Steuerpflichtigen ist eine entsprechende Bescheinigung auch ohne Antrag zu erteilen (, BStBl I 2023, 147, Tz. 118, 229a, 233, als Ergänzung zum BStBl I 2022, 742).

19 Nicht ausgeglichene Verluste aus Termingeschäften sind in die Folgejahre vorzutragen und dort jeweils in Höhe von 20.000 € mit Gewinnen aus Termingeschäften oder mit Einkünften aus Stillhalterprämien zu verrechnen, wenn nach dem unterjährigen Ausgleich mit Verlusten aus Termingeschäften dieses Jahres ein verrechenbarer Gewinn verbleibt und das Verrechnungsvolumen in Höhe von 20.000 € durch den unterjährigen Verlustausgleich noch nicht verbraucht ist. Verbleiben nach Durchführung des sachlich und betragsmäßigen Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in einem Veranlagungszeitraum positive Kapitalerträge aus Termingeschäften, können diese in diesem Jahr mit sonstigen negativen Kapitalerträgen des Verlustentstehungsjahrs verrechnet werden; sie können zudem mit vorgetragenen Verlusten gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 6 Satz 6 EStG und mit vorgetragenen Verlusten gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 EStG verrechnet werden (s. im Einzelnen ergänzendes BStBl I 2023, 1471, Tz. 118; Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 20 Rz 168; Schmidt/Levedag, EStG, 43. Aufl., § 20 Rz 244, 246).

20 Die dargelegte doppelte Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung führt zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften. Durch die betragsmäßige Begrenzung wirkt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG schärfer als die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus der Veräußerung von Aktien des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. Bei beiden Verlustverrechnungskreisen handelt es sich um „Schedulen innerhalb der Schedule“ der Kapitaleinkünfte (Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 20 Rz 177a).

Entscheidungserheblichkeit/Anwendbarkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG im Streitfall

22 b) Der Kläger hat im Streitjahr Gewinne und Verluste aus Termingeschäften erzielt. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt.

23 aa) § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG erfasst Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich erlangt. Nach der Rechtsprechung des BFH folgt der Begriff des Termingeschäfts den Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG); Termingeschäfte in diesem Sinne sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG unter anderem Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte, die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis oder Maß eines bestimmten Basiswerts ableitet (, BFHE 259, 540, BStBl II 2018, 189, Rz 13, m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit die Zweckbestimmung des Termingeschäfts, die von dem anhand objektiver Umstände nachvollziehbaren Willen der Vertragsbeteiligten abhängt. Erfasst sind demnach Termingeschäfte, die auf die Erzielung eines Differenzausgleichs gerichtet sind, nicht aber Termingeschäfte, die auf die tatsächliche („physische“) Lieferung des Basiswerts am Ende der Laufzeit gerichtet sind (vgl. , BFHE 259, 540, BStBl II 2018, 189, Rz 14, 15, m.w.N. zum Devisentermingeschäft).

24 bb) Auf der Grundlage der bisherigen Sachverhaltsfeststellungen des FG ist es nicht zu beanstanden, dass das FG die vom Antragsteller im Streitjahr über einen Broker gehandelten CFD-Differenzkontrakte als Termingeschäfte im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG angesehen hat. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Nach den bisherigen Sachverhaltsfeststellungen des FG folgten aus den CFD-Investitionen ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften des Antragstellers in Höhe von 250.631 € und Verluste des Antragstellers aus Termingeschäften in Höhe von 227.289 €. Auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Verfassungsrechtliche Beurteilung

26 c) Der Senat legt seiner Prüfung die folgenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe zugrunde:

Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG

28 aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als „wesentlich gleich“ qualifiziert. Diese Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen (vgl. nur , BGBl I 2024, Nr. 47, m.w.N.). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (ständige Rechtsprechung, zuletzt , BGBl I 2024, Nr. 47, m.w.N.).

29 bb) Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der es erfordert, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (ständige Rechtsprechung, zuletzt , BGBl I 2024, Nr. 47, Rz 143, m.w.N.). Abweichungen vom Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht bedürfen nach Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtfertigung (, BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082, Rz 100).

30 aaa) Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom  - 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132 und vom  - 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167, unter C.IV.2. [Rz 126]). Willkür des Gesetzgebers liegt zwar nicht schon dann vor, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom  - 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132, unter B.I. [Rz 39]; vom  - 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082, Rz 101, m.w.N.). Die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen steigen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Insoweit ist speziell im Steuerrecht dessen Qualität als intensives Eingriffsrecht zu berücksichtigen. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. zuletzt , BGBl I 2024, Nr. 47, Rz 142, m.w.N.).

31 bbb) Bei der Auswahl des Steuergegenstands belässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes zwar einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des vom Gesetzgeber gewählten steuerrechtlichen Ausgangstatbestands aber folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen (, BGBl I 2024, Nr. 47, Rz 144, m.w.N.). Zudem bedarf es zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in der Einkommensteuer eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten steuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten Ausgaben. Das damit beschriebene objektive Nettoprinzip ist jedenfalls einfachgesetzlich in § 2 Abs. 2 EStG angelegt (, BVerfGE 123, 111, BStBl II 2009, 685, unter B.I.1.c [Rz 28]). Das objektive Nettoprinzip ist jedoch auch im Hinblick auf beschränkende Regelungen zum Verlustausgleich und Verlustabzug berührt. Es kann zur sachgerechten Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vom Zeitabschnitt der Verlustentstehung ausgehend „geöffnet“ werden, indem der Gesetzgeber Verlustrücktrags- oder -vortragsmöglichkeiten schafft (vgl. , BFHE 252, 44, BStBl II 2017, 1240, Rz 25). Dabei ist eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (, BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016 zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten). Der Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung wird aber verletzt, wenn die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. auch , BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016, Rz 30).

32 ccc) Hat der Gesetzgeber seiner Belastungsentscheidung das objektive Nettoprinzip zugrunde gelegt, bedürfen Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grunds (, BVerfGE 123, 111, BStBl II 2009, 685, unter B.I.1.c [Rz 28]). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen (, BGBl I 2024, Nr. 47, Rz 147, m.w.N.). Als besondere sachliche Gründe kommen unter anderem außerfiskalische Lenkungszwecke oder Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Betracht (, BGBl I 2024, Nr. 47, m.w.N.).

Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG

34 d) Ausgehend von den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben hält der Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 für nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (so auch die herrschende Sichtweise im Schrifttum, etwa Bron, Betriebs-Berater —BB— 2020, 535, 536; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 20 EStG Rz J 20-4; Dahm/Hoffmann, Deutsches Steuerrecht 2020, 81, 83, 84; Dinkelbach/Briesemeister, Der Betrieb —DB— 2020, 579, 582; Drüen, Finanz-Rundschau —FR— 2020, 663, 672; Geberth/Bartelt, DB 2019, 2603, 2605; Jachmann-Michel in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 1618; Jachmann-Michel, juris Die Monatszeitschrift —jM— 2020, 120, 122; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 729; Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz H 68d; Schmidt/Levedag, EStG, 43. Aufl., § 20 Rz 240).

35 § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkt eine doppelte Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Verluste aus Termingeschäften erzielen. Der besondere Verrechnungskreis für Verluste aus Termingeschäften führt zu einer Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, je nachdem, ob diese Verluste aus Termingeschäften oder aus anderen Kapitalanlagen erzielt haben (unter II.2.d bb). Innerhalb des besonderen Verrechnungskreises für Verluste aus Termingeschäften kommt es darüber hinaus zu einer Ungleichbehandlung der vom Steuerpflichtigen erzielten Gewinne und Verluste aus Termingeschäften (unter II.2.d cc). Bei summarischer Prüfung ist diese doppelte Ungleichbehandlung sachlich nicht durch ausreichend tragfähige Gründe gerechtfertigt (unter II.2.d dd).

36 aa) In § 20 Abs. 6 Satz 1 und 2 EStG hat der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, dass negative Kapitalerträge zwar nicht mit positiven Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeglichen werden dürfen, aber innerhalb der Schedule positive und negative Kapitalerträge ausgeglichen und miteinander verrechnet werden können. Während eine Verlustverrechnungsbeschränkung für negative Kapitalerträge, die dem gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG) unterliegen, folgerichtig ist, gilt dies nicht für spezielle Verlustverrechnungskreise innerhalb der Schedule für dem gesonderten Tarif unterliegende positive und negative Kapitalerträge. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte mit einer abgeltenden Besteuerung der Kapitalerträge anderen Regelungen zu unterwerfen als bei den anderen Einkunftsarten, um hierdurch den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung tragen zu können, entbindet ihn nicht von der Verpflichtung, die Besteuerung innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte folgerichtig, das heißt gleichheitsgerecht auszugestalten (, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562, Rz 51). Diese Verpflichtung beinhaltet auch, positive und negative Kapitalerträge innerhalb der Schedule folgerichtig zu besteuern (vgl. Jachmann-Michel in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 1618; Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 729).

37 Der Senat vermag in der Einführung des weiteren Verlustverrechnungskreises in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG keinen Systemwechsel des Gesetzgebers weg von dem nach wie vor in § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG geregelten Grundprinzip der Gleichbehandlung positiver und negativer Kapitalerträge innerhalb der nach dem gesonderten Tarif zu besteuernden Kapitalerträge zu erkennen.

38 Jeder der gesonderten Verlustverrechnungskreise ist danach für sich betrachtet an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Aus dem Vorhandensein mehrerer Verlustverrechnungskreise innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte lässt sich auch nicht ableiten, dass für die einzelnen Verlustverrechnungskreise geringere Anforderungen für die folgerichtige Ausgestaltung des Gesetzes und für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zu stellen sind, als vom Senat im Vorlagebeschluss vom  - VIII R 11/18 (BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562) zur Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste dargelegt wurden.

39 bb) Steuerpflichtige, die Verluste aus Termingeschäften erzielt haben, werden durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG gegenüber Steuerpflichtigen mit Verlusten aus anderen Kapitalanlagen daher insoweit ungleich behandelt, als die Verluste aus Termingeschäften nur mit Gewinnen aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG und solchen aus Stillhalterprämien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG, nicht aber mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ausgeglichen und verrechnet werden können. Es bedarf nach den unter II.2.c bb und unter II.2.d aa dargelegten Grundsätzen einer tragfähigen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung.

40 cc) Die Ungleichbehandlung negativer Kapitalerträge aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG wird dadurch verschärft, dass die Vorschrift entgegen den Vorgaben des objektiven Nettoprinzips zu einer asymmetrischen Besteuerung von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften auch innerhalb des Verlustverrechnungskreis führt (unter II.2.d cc aaa). Diese Asymmetrie bewirkt, dass in einem Verlustentstehungsjahr wirtschaftlich nicht erzielte Gewinne aus Termingeschäften besteuert werden können, sofern die Differenz von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften den Betrag von 20.000 € im Verlustentstehungsjahr übersteigt (unter II.2.d cc bbb). Schließlich kann nicht im Wege einer typisierenden Betrachtung von einem vollständigen Ausgleich von Verlusten aus Termingeschäften in der Totalperiode ausgegangen werden (unter II.2.d cc ccc).

41 aaa) Während § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG eine Verrechnung von Verlusten und Gewinnen innerhalb artgleicher Aktienveräußerungsgeschäfte im Verlustentstehungsjahr unbegrenzt zulässt, wird die Verlustverrechnung durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG innerhalb der artgleichen Termingeschäfte betragsmäßig eingeschränkt. Verluste aus Termingeschäften, denen (artgleiche) Gewinne aus Termingeschäften gegenüberstehen, werden im Verlustentstehungsjahr hingegen oberhalb der Verlustverrechnungsgrenze von 20.000 € vom Verlustausgleich ausgeschlossen, während verbleibende Gewinne aus Termingeschäften —vorbehaltlich der Verrechnung mit sonstigen Verlusten aus Kapitalvermögen— vollumfänglich der Besteuerung unterworfen werden. Diese asymmetrische Besteuerung von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften widerspricht dem objektiven Nettoprinzip, dessen Ausfluss es gerade ist, dass Gewinne und Verluste steuerlich gleich behandelt werden (HHR/Buge, EStG, § 20 EStG Rz J 20-4; vgl. auch Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122).

42 Die Regelung widerstreitet auch den grundsätzlichen Einkünfteermittlungsregeln für Kapitalerträge, die unter den gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG fallen. Die Beschränkung des Verlustausgleichs innerhalb der artgleichen Termingeschäfte, soweit die Verluste 20.000 € übersteigen, steht im Gegensatz zum Grundprinzip, dass andere Kapitalerträge erst nach dem Verlustausgleich in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind (s. § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG).

43 Da § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG im Rahmen des Steuerabzugs nicht anzuwenden ist, werden nur positive Kapitalerträge aus Termingeschäften dem Steuerabzug unterworfen (§ 43 Abs. 1 Nr. 11 EStG). Negative Kapitalerträge aus Termingeschäften wirken sich im Rahmen des Steuerabzugs bis zum Betrag von 20.000 € nicht aus. Sie werden zwar vom Steuerentrichtungspflichtigen unaufgefordert bescheinigt (vgl. ergänzendes BStBl I 2023, 1471, Tz. 118, 229a, 233), der Steuerpflichtige muss jedoch stets einen Antrag gemäß § 32d Abs. 4 EStG stellen und die Verluste veranlagen lassen, um deren Verrechnung in Höhe von 20.000 € und den Verlustvortrag gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG sicherzustellen. Auch hierin liegt eine Schlechterstellung der Gewinne und Verluste aus Termingeschäften gegenüber anderen Kapitalerträgen, die bereits im Rahmen des Steuerabzugs ausgeglichen werden können.

44 bbb) § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkt bei einem Sachverhalt wie im Streitfall, bei dem Gewinne aus Termingeschäften und den Betrag von 20.000 € übersteigende Verluste aus Termingeschäften vorliegen, darüber hinaus, dass im Verlustentstehungsjahr Gewinne aus Termingeschäften besteuert werden, die der Steuerpflichtige wirtschaftlich nicht erzielt hat. Dies führt zu einer Nachschusspflicht des Steuerpflichtigen aus anderen Einkünften oder versteuertem Vermögen, wenn die anfallende Einkommensteuer nicht aus den durch Termingeschäfte erwirtschafteten Einnahmen entrichtet werden kann (vgl. auch Drüen, FR 2020, 663, 672). So übersteigt im Streitfall die auf die Einnahmen aus Termingeschäften anfallende Einkommensteuer (213.826 € * 25 % = 53.456 €) den wirtschaftlichen Gesamtgewinn aus den Termingeschäften des Streitjahrs (23.342 €).

45 ccc) § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG kann zudem einen vollständigen Ausschluss des Ausgleichs von Verlusten aus Termingeschäften oberhalb eines Betrags von 20.000 € in der Totalperiode begünstigen.

46 (1) Die doppelte Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung führt zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften. Die Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung ist verfassungsrechtlich nur dann nicht zu beanstanden, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. hierzu unter II.2.c bb bbb). Hiervon ist bei § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG aber gerade nicht auszugehen.

47 (2) Ebenso wie bei der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom  - VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562, Rz 47) kann bei der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht wie bei einer einkünfteübergreifenden Verlustverrechnungsbeschränkung im Wege typisierender Betrachtung davon ausgegangen werden, dass Verluste aus Termingeschäften in der Totalperiode vollständig ausgeglichen werden, so dass dem Steuerpflichtigen die ganze oder teilweise Nichtberücksichtigung des Verlustes droht. Da ein Verlustrücktrag nicht möglich ist, besteht bereits zu Lebzeiten des Steuerpflichtigen die typische Gefahr einer weitgehenden Nichtverrechenbarkeit, wenn nach der Realisation eines Verlustes aus Termingeschäften keine gleichartigen Gewinne nachfolgen. Es müssen vielmehr erst wieder neue Gewinne aus Termingeschäften oder Stillhalterprämien erzielt werden, um im Wege des Verlustvortrags eine Verrechnung mit entstandenen Verlusten zu erreichen. Vom Erblasser nicht genutzte Verlustvorträge gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG, die gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 und 3 i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG in der Vergangenheit festgestellt wurden, können auch vom Rechtsnachfolger nicht im Rahmen seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend gemacht werden (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608; s.a. Vorlagebeschluss des Senats vom  - VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562, Rz 48).

48 (3) Die jährliche Betragsgrenze von 20.000 € verschärft diesen Effekt. Sie begünstigt bei hohen Verlusten die Gefahr eines endgültigen Verlustuntergangs. Ein Steuerpflichtiger müsste beispielsweise zur Verrechnung eines Verlustes aus einem Termingeschäft in Höhe von 1 Mio. € noch weitere 50 Jahre leben und in jedem dieser 50 Jahre hinreichende Gewinne aus Termingeschäften und Stillhalterprämien erzielen, um eine vollständige Verlustverrechnung zu erreichen; würde er in den Folgejahren auch jeweils Verluste aus Termingeschäften erzielen, würde sich die Verrechnung der Verluste entsprechend verlängern. Auch im Streitfall bräuchte der Antragsteller für die Verrechnung des gesondert festgestellten Verlustes in Höhe von 207.289 € über zehn Jahre, um die Verluste auszugleichen, vorausgesetzt, er würde in den Folgejahren jedes Jahr positive Einkünfte aus Termingeschäften und Stillhalterprämien in Höhe von mindestens 20.000 € und keine weiteren ausgleichsfähigen Verluste aus Kapitalvermögen erzielen. Hinzu kommt, dass dann, wenn der Steuerpflichtige im Folgejahr der Verlustentstehung weitere Termingeschäfte tätigt und hieraus Verluste erzielt, diese neuen Verluste vorrangig mit aktuellen Gewinnen aus Termingeschäften und solchen aus Stillhalterprämien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG dieses Jahres bis zur absoluten Verlustverrechnungsgrenze von 20.000 € auszugleichen sind. In Fällen wie im Streitfall ist deshalb nicht nur eine sofortige vollständige Berücksichtigung ausgeschlossen, sondern die Verlustberücksichtigung kann endgültig unmöglich sein (vgl. auch Drüen, FR 2020, 663, 670).

49 dd) Der Senat sieht bei der gebotenen, aber ausreichenden summarischen Prüfung keine tragfähigen sachlichen Rechtfertigungsgründe für die dargelegten Ungleichbehandlungen.

50 aaa) Es liegen aus Sicht des Senats hinreichende Gründe für eine strengere, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung der gesetzgeberischen Differenzierung vor. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG kann sich, ebenso wie § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom  - VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562, Rz 52) auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken. Die vom Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Entscheidung, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen frei auszuwählen, wird zumindest mittelbar dadurch beeinträchtigt, dass der Steuerpflichtige gedrängt wird, wenn er seine Verluste ausgleichen will, wieder in bislang schon nicht erfolgreiche Termingeschäfte zu investieren. Er wird von der durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkten Verluststreckung deshalb dazu angehalten, seine Investition in Termingeschäfte auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Verlustsituation ihn ansonsten zum Ausstieg aus diesem Anlagesegment motivieren würde (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom  - VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562, Rz 52).

51 bbb) Die Verlustausgleichs- und -verrechnungsbeschränkung hält aber auch einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht stand. Es fehlt ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung zwischen solchen Steuerpflichtigen, die Verluste aus Termingeschäften erzielen, und solchen mit Verlusten aus anderen Kapitalanlagen.

52 (1) Nach der Gesetzesbegründung sollen Verluste aus Termingeschäften in einem besonderen Verlustverrechnungskreis berücksichtigt werden, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen (BTDrucks 19/15876, S. 61). Termingeschäfte seien, so die Gesetzesbegründung, durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ. Es könnten einerseits hohe Gewinne und andererseits der Totalverlust der Anlage eintreten. Diese Effekte würden bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß auftreten.

53 (2) Dieser Gesichtspunkt trägt auch unter Berücksichtigung eines weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums die dargelegten Ungleichbehandlungen nicht. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist nicht geeignet, die für Anleger bestehenden Verlustrisiken zu begrenzen. Der Steuerpflichtige wird durch die Verluststreckung im Gegenteil dazu angehalten, weiterhin in Termingeschäfte zu investieren, um die entstandenen Verluste mit künftigen Gewinnen verrechnen zu können (vgl. unter II.2.d dd aaa).

54 (3) Die Einschränkung der Verlustverrechnung erhöht zudem die aus wirtschaftlicher Sicht nachteiligen Folgen für den Steuerpflichtigen, da er die Möglichkeit verliert, seine Verluste aus Termingeschäften steuerlich geltend zu machen und sie damit zum Teil wirtschaftlich auszugleichen (Drüen, FR 2020, 663, 670). Für die im Streitfall zu beurteilende Situation, dass der Antragsteller Gewinne und Verluste aus Termingeschäften in demselben Jahr erzielt und die Gewinne die Verluste sowie Letztere den Betrag von 20.000 € übersteigen, bewirkt § 20 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 1 EStG, wie dargestellt, dass der Antragsteller einen wirtschaftlichen „Scheingewinn“ versteuern muss. Dies legt zumindest nahe, dass der Gesetzgeber weniger den Anleger davor schützen wollte, zu hohe Verlustrisiken einzugehen, als den Fiskus vielmehr vor den Risiken für das Steueraufkommen, die aber weder beziffert noch inhaltlich konkretisiert werden (Drüen, FR 2020, 663, 669; Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122). Ein solches fiskalisches Ziel kann die Beschränkung des Verlustausgleichs mit den dargelegten Folgen für den Steuerpflichtigen nicht rechtfertigen (so auch Drüen, FR 2020, 663, 669).

55 (4) Auch ein etwaiger Abschreckungscharakter für die Durchführung von Termingeschäften, den die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG aufgrund der dargelegten gravierenden Folgen für den Steuerpflichtigen bei einem hohen Verlust beinhaltet, stellt aus der Sicht des Senats keinen tragfähigen Rechtfertigungsgrund dar. Entgegen der Annahme in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 19/15876, S. 61) sind Termingeschäfte im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht in jedem Fall hochspekulative Anlagen, sondern dienen regelmäßig als Absicherungsgeschäfte, etwa zur Absicherung von Kurs-, Währungs- oder Zinsrisiken, und entfalten als solche risikomindernde Wirkung (Drüen, FR 2020, 663, 666; Dinkelbach/Briesemeister, DB 2020, 579, 58; Bron, BB 2020, 535, 536).

56 (5) Weitere Rechtfertigungsgründe werden in der Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht angesprochen. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

57 e) Ob und inwieweit § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bei der gebotenen summarischen Prüfung auch mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar ist, weil die Entscheidung des Steuerpflichtigen, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen frei auszuwählen, zumindest mittelbar dadurch beeinträchtigt wird, dass der Steuerpflichtige gedrängt wird, wieder in bislang schon nicht erfolgreiche Termingeschäfte zu investieren (vgl. hierzu unter II.2.d dd aaa), lässt der Senat offen.

Berechtigtes Interesse der Antragsteller

59 3. Das FG hat zu Recht auch ein berechtigtes Interesse der Antragsteller an der AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr bejaht. Dabei kann offenbleiben, ob es in den Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit der dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm beruhen, eines besonderen Aussetzungsinteresses bedarf (vgl. zum Streitstand  (AdV), BFH/NV 2022, 1030, Rz 22 f., m.w.N.; vgl. auch BVerfG-Beschlüsse vom  - 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2012, 89, Rz 4 und vom  - 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639, Rz 7). Jedenfalls im Streitfall fällt die Interessenabwägung zugunsten der Antragsteller aus. Bei dieser Abwägung hat sich der Senat davon leiten lassen, dass die Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 von hinreichendem Gewicht sind und die Anwendung der Vorschrift im Streitfall für die Antragsteller Auswirkungen von erheblichem Gewicht hat, da sie dazu führt, dass die Antragsteller auf einen wirtschaftlich im Streitjahr erzielten Gesamtgewinn aus Termingeschäften in Höhe von 23.342 € Einkommensteuer in Höhe von 53.456 € zahlen müssen. Außerdem ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Gewährung der AdV im Streitfall das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte. Angesichts dessen ist dem Interesse der Antragsteller an einer AdV des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr Vorrang zu geben.

60 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:BA.070624.VIIIB113.23.0- 2 -

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 1557 Nr. 27
BFH/NV 2024 S. 982 Nr. 8
BFH/PR 2024 S. 247 Nr. 9
BFH/PR 2024 S. 247 Nr. 9
DB 2024 S. 1725 Nr. 29
DB 2024 S. 1923 Nr. 32
DB 2024 S. 1923 Nr. 32
DStR 2024 S. 1476 Nr. 26
DStR 2024 S. 1483 Nr. 26
EStB 2024 S. 278 Nr. 8
EStB 2024 S. 280 Nr. 8
FR 2024 S. 805 Nr. 17
FR 2024 S. 811 Nr. 17
GStB 2024 S. 34 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2024 S. 562
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2024 S. 562
WM 2024 S. 1554 Nr. 34
WPg 2024 S. 963 Nr. 18
XAAAJ-69756