BGH Urteil v. - 6 StR 465/23

Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 9 Ks 8/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung, vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, mit der er eine Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erstrebt.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte suchte am Abend des den Zeugen H.     auf. Um für eine mögliche Auseinandersetzung „gewappnet“ zu sein, hatte er sich mit einer geladenen Pistole Kaliber 9 Millimeter bewaffnet. H.    hielt sich ebenso wie der Zeuge Ko.  und der später Getötete P.    bei dem als Tätowierer tätigen Zeugen Ph.      auf. Auf das Klopfen des Angeklagten hin öffnete H.    , gefolgt von Ko. , die Wohnungstür und trat auf die davorliegende Veranda zum dort wartenden Angeklagten, der die Anwesenheit weiterer Personen neben H.    bemerkte. Nach einem kurzen Wortwechsel zog der Angeklagte die Pistole und schoss einmal auf den Boden in Richtung der Füße des Zeugen, wobei er wegen der engen räumlichen Verhältnisse dessen Verletzung billigend in Kauf nahm. Das Geschoss zersplitterte auf dem Boden; Geschosssplitter drangen in den Unterschenkel H.    s ein.

4Anschließend gelang es H.    zwar, die Waffe des Angeklagten mit einer Hand zu erfassen; vollständig entreißen konnte er sie diesem aber nicht. Im Zuge des zwischen beiden entstandenen „Gerangels“ um die Pistole oder kurz danach „lösten sich“ sehr schnell drei weitere, „nicht gezielt abgegebene“ Schüsse. Diese trafen sowohl H.     als auch P.    , der unmittelbar zuvor neben H.     auf die Veranda getreten war, aus einer Entfernung von 50 bis 80 cm.

5H.     wurde im Bereich der linken Leiste getroffen; das Projektil trat auf der Rückseite seines linken Oberschenkels wieder aus. Bei P.   durchschlug eines seinen Oberschenkel, wobei die Beinschlagader „vollständig durchsetzt“ wurde. Das weitere Projektil drang in seine linke Hüfte und zerstörte seine große linke Beckenvene, wodurch schnell und massiv Blut in seine Bauchhöhle eindrang. Der Angeklagte flüchtete nach dem letzten Schuss. H.     verfolgte ihn kurzzeitig, brach dann indes aufgrund erheblichen Blutverlusts auf dem Bürgersteig zusammen. P.    starb wenige Stunden später an einem hypovolämischen Schock mit Multiorganversagen.

6Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des getöteten P.    rechtlich als fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) bewertet, wobei es im Mitführen einer mit mehreren Patronen geladenen Waffe und in der Schussabgabe auf den Boden eine Sorgfaltspflichtverletzung erblickt hat.

II.

7Die Revision des Nebenklägers ist begründet.

81. Er beanstandet zu Recht die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes bei Abgabe der Schüsse auf den Getöteten P.   . Diese hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

9Der Senat vermag den Urteilsgründen nicht hinreichend sicher zu entnehmen, ob das Landgericht hinsichtlich der letzten drei Schüsse von einer willentlichen oder nur versehentlichen Schussabgabe durch den Angeklagten ausgegangen ist. Zwar hat es festgestellt, dass sich diese Schüsse „im Gerangel gelöst“ hätten; mehrfach hat es aber auch formuliert, dass die Schüsse von dem Angeklagten „abgegeben“ worden seien. Dieser Widerspruch wird nicht aufgelöst. Stattdessen erörtert das Landgericht für diese Schüsse sogar direkten Tötungsvorsatz. Damit bleibt unklar, welchen Sachverhalt das Tatgericht zugrundegelegt hat (vgl. , BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 13).

10Der Senat kann ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO). Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, weil sämtliche Delikte in Tateinheit mit der Tat zum Nachteil P.   s stehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 135/01; vom − 3 StR 231/11, NJW 2012, 325, 328; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl., § 353 Rn. 7a).

112. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

12a) Sollte das neue Tatgericht eine willentliche Schussabgabe des Angeklagten feststellen, wird es näher als bislang geschehen bei der Frage eines (bedingten) Tötungsvorsatzes die besondere objektive Gefährlichkeit der drei letzten, jeweils aus kurzer Distanz abgegebenen Schüsse aus einer Pistole des Kalibers 9 Millimeter in seine Gesamtwürdigung einzustellen haben. Überdies steht außer Frage, dass ein Schuss in den Oberschenkel eines Menschen wegen der Gefahr, dort die Oberschenkelschlagader zu treffen, selbst für den Laien erkennbar eine (höchst) gefährliche Handlung darstellt (vgl. , NStZ-RR 2018, 373, 374; vom − 6 StR 587/21, NStZ 2023, 160, 161; MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 212 Rn. 28 mwN).

13b) Die Tat (§ 264 StPO) ist im neuen Rechtsgang unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen; es ist deshalb abermals zu prüfen, ob das Handeln des Angeklagten gegenüber H.     nicht wenigstens als abstrakt lebensgefährliche Körperverletzungshandlung zu qualifizieren ist (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; vgl. MüKo-StGB/Schneider, aaO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524U6STR465.23.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-69735