BGH Beschluss v. - 6 StR 216/24

Instanzenzug: Az: 210 KLs 10/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, wegen Körperverletzung und wegen Hausfriedensbruchs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Sein auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestütztes Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen bedrohte der zuvor unbestrafte, an einer frühkindlichen Hirnschädigung leidende Angeklagte am seine Halbschwester mit einem Pflasterstein und der Ankündigung, sie „totschlagen“ zu wollen. Seinen Vater bedrohte er mit den Worten „Ich ziehe Dir den Kopf ab“, wobei er eine mit einem Schnittschutz versehene Machete aus seinem Rucksack zog und mit dieser Drohgebärden ausführte. Sodann drängte er seinen Vater gegen eine Hauswand, hielt ihn fest und versuchte, mit einem Stein gegen dessen Kopf zu schlagen. Unmittelbar danach trafen Rettungskräfte ein (Fall II.1 der Urteilsgründe). Einige Wochen später schlug der Angeklagte der Geschädigten B.    seinen Ellenbogen ins Gesicht und trat nach ihr, nachdem sie ihm den Einlass in ihre Wohnung verwehrt hatte. Ein auf das Geschehen aufmerksam gewordener Nachbar zog ihn in den Hausflur und brachte ihn zu Boden, wobei der Angeklagte ein Messer verlor (Fall II.2 der Urteilsgründe). Einige Monate später begab sich der Angeklagte erneut zur Wohnung der Geschädigten. Er ignorierte die Aufforderung des dort anwesenden Geschädigten Ba.    zu gehen und klingelte wiederum. Daraufhin begab sich Ba.   zur Haustür und folgte dem nunmehr fliehenden Angeklagten, um ihn zur Rede zu stellen. Im Verlauf der Diskussion stieß er den immer näherkommenden Angeklagten leicht, der daraufhin einen Schlüsselbund aus seiner Tasche zog und damit in Richtung des Kopfes von Ba.   schlug. Diesem gelang es, den Schlag abzuwehren, wobei er am Arm eine schmerzhafte Prellung erlitt (Fall II.3 der Urteilsgründe). Am weigerte sich der Angeklagte trotz mehrmaliger Aufforderung, die Notaufnahme einer Klinik zu verlassen, in der er bereits mehrere Stunden gesessen hatte (Fall II.4 der Urteilsgründe).

3Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass beim Angeklagten das Eingangsmerkmal der Intelligenzminderung (§ 20 StGB) erfüllt und seine Steuerungsfähigkeit deshalb bei allen Taten im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt gewesen sei.

42. Schuld- und Strafausspruch weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Senat schließt insbesondere aus, dass in der neuen Hauptverhandlung Umstände festgestellt werden, aus denen sich die Schuldunfähigkeit des Angeklagten ergibt.

53. Dagegen hält die Maßregelentscheidung revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

6a) Die Urteilsgründe belegen bereits nicht, dass der Angeklagte an einer Intelligenzminderung im Sinne des § 20 StGB leidet. Soweit der Sachverständige, dessen Wertung die Strafkammer gefolgt ist, sich für seine Diagnose auf die vorangegangene Leistungsdiagnostik gestützt hat, bei der in den Jahren 1997 und 2003 „ein IQ-Wert von 66“ festgestellt wurde, hätte es im Hinblick auf eine mögliche kognitive Weiterentwicklung des damals noch jugendlichen Angeklagten der Erhebung und Mitteilung aktueller und aussagekräftiger Befundtatsachen bedurft. Zudem fehlt die gebotene umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, weil allein die Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit kein Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu begründen vermag (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 175/20; vom – 4 StR 387/22; vom – 6 StR 275/23). Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte als Person beschrieben wird, die „absprachefähig“ sei, Termine wahrnehmen und sich organisieren könne, liegt trotz des impulsiven, nach Aufmerksamkeit strebenden Verhaltens kein Störungsbild auf der Hand, das bei wertender Betrachtung in seiner Gesamtheit ein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB erfüllt.

7b) Darüber hinaus ist der notwendige symptomatische Zusammenhang zwischen der diagnostizierten Erkrankung des Angeklagten und den Anlasstaten nicht tragfähig begründet. Die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts erschöpfen sich in der Feststellung, dass die Krankheit bei „sämtlichen Taten des Angeklagten handlungsbestimmend“ war. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich indes nur, dass der Angeklagte sich nicht an Normen halte, weil er „Aufmerksamkeit brauche und im Mittelpunkt stehen wolle“. Dieser Darlegung lässt sich nicht entnehmen, dass die Taten maßgeblich von der Intelligenzminderung beeinflusst wurden. Vor dem Hintergrund einer familiären Auseinandersetzung (Fall II.1 der Urteilsgründe) und der vorausgegangenen Provokation (Fall II.3 der Urteilsgründe) fehlen zudem Erörterungen dazu, ob die Taten auch normalpsychologisch erklärbar seien (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 206/19; vom – 6 StR 99/22).

84. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

9a) Eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung durch das neue Tatgericht kommt nicht in Betracht. Da sich der Angeklagte seit dem und damit mehr als acht Monaten in der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO befindet, ist diese Unterbringung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die Freiheitsstrafe anzurechnen, so dass eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung schon begrifflich ausscheidet. Auch hätte der Angeklagte keine Freiheitsstrafe im Sinne des § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB zu verbüßen, weil diese durch Anrechnung des erlittenen Freiheitsentzugs erledigt wäre (vgl. ; Beschluss vom – 5 StR 500/93, StV 1994, 260).

10b) Sollte das neue Tatgericht wiederum die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB erwägen, wird es zu beachten haben, dass die Intelligenzschwäche als Krankheitsfolge zur Gruppe der krankhaften seelischen Störungen gehört (vgl. , StV 1997, 61; MüKo-StGB/Streng, 4. Aufl., § 20 Rn. 38; SSW-StGB/Kaspar, 6. Aufl., § 20 Rn. 70; Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 2, S. 389; Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 7. Aufl., S. 98) und nicht das Eingangsmerkmal der Intelligenzminderung erfüllt (vgl. zur früheren Gesetzesfassung , NStZ-RR 2021, 41, 42).

11Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose wird zu erörtern sein, dass der Angeklagte trotz der seit frühester Kindheit bestehenden kognitiven Einschränkungen in der Vergangenheit nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Dies kann ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 112/19, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 39; vom – 2 StR 81/21, NStZ-RR 2021, 303, 305). Zudem dürfen nur Vorkommnisse herangezogen werden, zu denen ausreichende Feststellungen getroffen worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 556/19; vom – 6 StR 191/21).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160524B6STR216.24.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-69734