Gefährdung des Straßenverkehrs und Urkundenfälschung durch Benutzung eines falschen Kennzeichens: Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit; Konkurrenzverhältnis
Gesetze: § 52 StGB, § 53 StGB, § 315c Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 267 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Aachen Az: 60 KLs 8/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Bedrohung sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, davon in einem Fall tateinheitlich mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und in einem weiteren Fall tateinheitlich mit „Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Sperrfrist nach § 69a StGB von 18 Monaten festgesetzt und die Einziehung „eines Geldbetrages, der 100,00 € entspricht“, angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Im Fall II.1 a) der Urteilsgründe hat der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs keinen Bestand.
3a) Das Landgericht hat, soweit hier von Bedeutung, festgestellt: Der über keine Fahrerlaubnis verfügende Angeklagte führte am im öffentlichen Straßenverkehr seinen Pkw, an dem er amtliche Kennzeichen, die für ein anderes Fahrzeug zugelassen waren, angebracht hatte. Vor Fahrantritt hatte er Marihuana und Amphetamine konsumiert. Aufgrund dessen übersah er einen an einer roten Ampel wartenden Pkw und fuhr auf dessen Heck auf, wodurch dem Geschädigten ein Schaden in Höhe von über 4.000 € entstand. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen. Der Geschädigte sprach ihn nach dem Aussteigen darauf an, was denn passiert sei, er werde die Polizei rufen. Der Angeklagte reagierte zunächst nicht, wirkte im weiteren Gesprächsverlauf schläfrig und hatte eine langsame Aussprache. Er bat den Geschädigten davon abzusehen, die Polizei hinzuzuziehen, worauf sich dieser angesichts des oberflächlich nur leichten Schadens zunächst einließ. Der Angeklagte ermöglichte die Feststellung seiner Personalien, indem er seinen Personalausweis übergab (Fall II.1 a) der Urteilsgründe). Als der Geschädigte mangels von ihm weiter erbetener Herausgabe eines Führerscheins durch den Angeklagten doch die Polizei einschalten wollte, fuhr dieser mit seinem Pkw davon (Fall II.1 b) der Urteilsgründe). Wenig später wurde er an seiner Wohnanschrift am Steuer des Fahrzeugs sitzend von der Polizei angetroffen, nachdem er soeben einen Joint konsumiert hatte. Die Polizei eröffnete ihm, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein, woraufhin er unsinnige Bemerkungen abgab wie „Ja, und wer bestimmt das? Wem gehört die Schwerkraft?“.
4b) Diese auch den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB im Fall II.1 a) der Urteilsgründe tragenden Feststellungen hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei belegt.
5aa) Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. Rn. 10; Beschluss vom – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom – 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 221 ff.). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. Rn. 8; Urteil vom – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44 ff.).
6bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten allein mit „dem in der Hauptverhandlung verlesenen chemisch-toxikologischen Gutachten“ sowie „den bestätigenden glaubhaften Angaben“ des Geschädigten begründet, der den Angeklagten als schläfrig, langsam sprechend und reaktionsarm beschrieben habe. Diese Beweiswürdigung ist in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Mangels Mitteilung des Ergebnisses des chemisch-toxikologischen Gutachtens und der ihm zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen ist ungeachtet der Zeugenaussage schon nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise belegt, dass der insoweit nicht geständige Angeklagte unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. Zudem wäre hinsichtlich des Blutwirkstoffbefundes zu bedenken gewesen, dass der Angeklagte den Feststellungen zufolge noch nach dem Tatgeschehen Cannabis konsumierte.
7Darüber hinaus hätte die Strafkammer näher darlegen und begründen müssen, welche Beweisbedeutung sie dem insgesamt festgestellten Nachtatverhalten des Angeklagten für dessen betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit beigemessen hat. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung hätte das Landgericht zudem bedenken müssen, ob auch die Fahrweise des Angeklagten auf seine relative Fahruntüchtigkeit schließen ließ (vgl. Rn. 10). Insbesondere mit den näheren Gegebenheiten des Unfallereignisses und seines Zustandekommens hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB zugleich voraussetzt, dass die eingetretene Gefährdung gerade Folge der betäubungsmittelbedingten Fahruntüchtigkeit ist (vgl. Rn. 2; Beschluss vom ‒ 4 StR 520/13).
8c) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zieht nicht nur die Aufhebung der tateinheitlich ausgeurteilten Delikte des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und der Urkundenfälschung (Fall II.1 a) der Urteilsgründe) nach sich. Vielmehr ist die Aufhebung hier auch auf den wegen der Weiterfahrt ergangenen Schuldspruch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu erstrecken (Fall II.1 b) der Urteilsgründe). Denn bei rechtsfehlerfreier Betrachtung lag insoweit insgesamt nur eine einheitliche Tat vor (vgl. zur daraus folgenden Unteilbarkeit des Urteilsgegenstandes Rn. 34 mwN). Das Landgericht hat übersehen, dass auch der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde mit deren Herstellen eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiell-rechtliche Tat bildet, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht. Dieser Gesamtvorsatz ist naheliegend gegeben, wenn der Täter ‒ wie hier ‒ die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen an einem Fahrzeug anbringt, um dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen (vgl. Rn. 4; Beschluss vom ‒ 4 StR 149/18 Rn. 4 mwN).
9Aufgrund der Teilaufhebung des Schuldspruchs kann die Anordnung der Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis ebenfalls keinen Bestand haben.
102. Darüber hinaus weisen die Strafaussprüche in den Fällen II.2 und II.4 der Urteilsgründe einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
11a) In diesen Fällen hat die Strafkammer eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB nicht erörtert, obgleich sie auch hier eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bejaht hat.
12Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass die Strafkammer ohne diesen Rechtsfehler geringere Einzelstrafen verhängt hätte. Dies gilt auch für die Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr im Fall II.4 der Urteilsgründe, wo die Strafkammer die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der konkreten Strafzumessung aus dem Strafrahmen des § 241 Abs. 2 StGB bedacht hat.
13b) Die Aufhebung der vorgenannten Einzelstrafaussprüche bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die zugehörigen Feststellungen können insoweit bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), denn bei dem hier aufgezeigten Rechtsfehler handelt es sich um einen reinen Wertungsfehler.
143. Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB bedarf der Ergänzung um die nur gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten in Höhe von 50,00 €. Der Generalbundesanwalt führt zu Recht aus, dass insoweit die vormalige Mitangeklagte Mitverfügungsgewalt hatte (vgl. Rn. 23 mwN).
154. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies gilt auch für die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Nach § 64 Satz 1 StGB in der am in Kraft getretenen Fassung, die der Senat gemäß § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO anzuwenden hat, setzt die Maßregel voraus, dass ein Hang des Täters „überwiegend“ ursächlich ist für die Anlasstaten. Dies scheidet nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum maßgeblichen symptomatischen Einfluss der kombinierten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten auf die Tatbegehung aus.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240424B4STR90.24.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-69525