BVerwG Urteil v. - 2 WD 6/23

Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 8 VL 16/21 Urteil

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft den Diebstahl von Geld aus einer Offizierskasse.

21. Der ... geborene Stabsfeldwebel ist Berufssoldat. Nach einer integrierten Auslandsverwendung in ... von 2003 bis 2009 und verschiedenen Anschlussverwendungen war er seit April 2017 im ...bataillon ... in ... und ist seit August 2018 in der ... in ... eingesetzt. Seine Dienstzeit endet mit Ablauf März ...

32. Der Soldat ist verheiratet und hat zwei Töchter, die noch zuhause wohnen und von denen eine arbeitssuchend ist und eine studiert. Gegen ihn läuft ein Verbraucherinsolvenzverfahren, gegen seine selbstständig berufstätige Ehefrau ein Regelinsolvenzverfahren; nach seinen Angaben werden beide Verfahren in diesem Jahr abgeschlossen. Von seinen Dienstbezügen werden ihm nach Abzug eines Pfändungsbetrags monatlich knapp 3 400 € ausgezahlt.

43. In dem am eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der disziplinarisch und strafrechtlich nicht vorbelastete Soldat am wie folgt angeschuldigt:

"Im Zeitraum vom bis zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt entnahm der Soldat in Gebäude ..., Raum ... in der ...-Kaserne, ... in ..., 1 124,00 € aus der Gemeinschaftskasse des Offizierskorps ...bataillon ..., um diese für sich zu behalten."

5Das sachgleiche staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren war nach der auferlegten Zahlung von 900 € an die Offizierskasse und 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit im Februar 2019 eingestellt worden.

64. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom zum Hauptfeldwebel degradiert.

7Es sei erwiesen, dass er sich Ende September 2017 an einem Donnerstag nach dem Dienst von der Unterkunft zurück ins Stabsgebäude begeben habe, um nach der Offizierskasse zu suchen. Er sei von seinem Büro über offene Zwischentüren in das Büro seines Chefs gelangt, wo er in einem Aktenschrank eine verschlossene Geldkassette entdeckt habe. Der Schrank sei nicht abgeschlossen gewesen bzw. der Schlüssel habe gesteckt. Den Schlüssel für die Geldkassette habe er in der Schublade eines Rollcontainers unter dem Schreibtisch gefunden. Damit habe er die Geldkassette geöffnet und alle Geldscheine entnommen. In seiner Unterkunft habe er das Geld gezählt - es seien 890 € gewesen - und damit Mietschulden beglichen. Vom Vorwurf, 1 124 € gestohlen zu haben, sei er freizustellen, weil er glaubhaft versichert habe, keine Münzen entwendet zu haben.

8Durch diesen Diebstahl in einem besonders schweren Fall habe der Soldat vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen, zum innerdienstlichen Wohlverhalten und zur Kameradschaft verletzt.

9Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei bei einem "Griff in die Kameradenkasse" eine Dienstgradherabsetzung. Schuldmildernde Umstände seien nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für eine pathologische Spielsucht bestünden nicht. Der Soldat habe eine solche bestritten und die Ermittlungsakten enthielten keine Hinweise auf eine damit regelmäßig einhergehende Wesensveränderung. Der Soldat habe auch nicht in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage gehandelt. Erschwerend seien seine Vorgesetzteneigenschaft und die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens auf den Dienstbetrieb und die Kameradschaftspflege zu berücksichtigen. In der Hauptverhandlung sei zudem deutlich geworden, dass der Soldat eher sich selbst als Opfer sehe. Zu seinen Gunsten fielen sein unter dem Druck der Ermittlungen abgegebenes Geständnis sowie seine Bewährung im Auslandseinsatz, seine Auszeichnungen und zwei Leistungsprämien bei ansonsten durchschnittlichen Leistungen ins Gewicht. Wegen der deutlichen Verfahrensüberlänge sei die Degradierung auf einen Dienstgrad zu beschränken.

105. Mit seiner unbeschränkten Berufung macht der Soldat geltend, er habe nicht gewusst, dass in der Geldkassette die Offizierskasse gewesen sei. Er sei geständig und habe das gestohlene Geld erstattet. Die Tat sei für ihn persönlichkeitsfremd. Sie beruhe auf einer mehr als 20 Jahre langen Spielsucht, infolge derer er nicht oder nur vermindert schuldfähig gewesen sei. Im März 2024 habe er eine zweimonatige stationäre Therapie in einer Fachklinik für Rehabilitation erfolgreich abgeschlossen. Zudem habe er sich um die Regulierung seiner Schulden gekümmert und sich für Glücksspiele sperren lassen. Infolge der überlangen Verfahrensdauer könne er nicht mehr befördert werden.

116. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hält eine einstufige Dienstgradherabsetzung für angemessen.

127. Der Senat hat in der Berufungshauptverhandlung am die Zeugen Kapitänleutnant S., Stabsfeldwebel R., Stabsfeldwebel B. und Korvettenkapitän W. vernommen und beschlossen, zum Beweis der Frage, ob der Soldat zum Tatzeitpunkt insbesondere aufgrund einer Spielsucht in der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich eingeschränkt gewesen ist, den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ... M. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu beauftragen, welches dieser in der Berufungshauptverhandlung am erstattet hat.

138. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf die Protokolle der Berufungshauptverhandlungen Bezug genommen.

Gründe

14Die zulässige Berufung ist mit der Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, dass die Frist zur Wiederbeförderung des Soldaten auf zwei Jahre verkürzt wird.

151. Da der Soldat die Berufung in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 331 StPO) im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

16a) Die Tatsachenfeststellungen haben ergeben, dass der Soldat die angeschuldigte Tat begangen hat, wobei sich der entwendete Geldbetrag auf mindestens 1 000 € beläuft.

17Der Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung am erklärt, er habe an einem Freitag im angeschuldigten Tatzeitraum vormittags Geld bei der Bank abgehoben und in einer Spielothek nahe der Kaserne verspielt. Nachdem er eine Kleinigkeit gegessen habe, habe er sich zunächst in seine Unterkunft und von dort in das Gebäude ... der ...-Kaserne in ... begeben, um in den Büros nach Essen oder Kleingeld zum Kauf von Essen zu suchen. Dort habe er sich von seinem Dienstzimmer (Raum ...) aus durch offene Zwischentüren in das Dienstzimmer des Zeugen Kapitänleutnant S. (Raum ...) begeben, wo er in einem Schrank eine Geldkassette gefunden habe. Er habe zunächst 30 bis 40 € entnommen, sich davon etwas zu Essen gekauft und den Rest in der Spielothek verspielt. Am selben Tag sei er mehrfach in das Stabsgebäude zurückgekehrt und habe weitere Geldscheine aus der Geldkassette entwendet und verspielt, bis nur noch Münzgeld in der Geldkassette verblieben sei. Der Senat geht davon aus, dass dieser Geschehensablauf im Wesentlichen zutrifft. Denn die Einlassung des Soldaten steht im Einklang mit der Übersicht im Feldjägerbericht Nr. 04/2018, wonach sich der Soldat am Freitag, den ab dem frühen Nachmittag dreimal mit jeweils kurzer Aufenthaltsdauer in dem Stabsgebäude ein- und ausloggte. Hingegen hat der Soldat das vormittägliche Geldabheben und Verspielen des abgehobenen Geldes vor der Berufungshauptverhandlung vom nie erwähnt. Er hat dies auch nachdem er seine Spielsucht eingestanden hat weder in der Berufungshauptverhandlung vom noch bei der Befragung des Sachverständigen berichtet. Soweit er diese Inkonsistenz damit erklärt hat, dass er sich daran erst wieder im Rahmen der stationären Therapie Anfang 2024 erinnert habe, ist dies unglaubhaft und dient erkennbar dem Zweck, durch nachträglich gesteigertes Vorbringen, das Begutachtungsergebnis zu beeinflussen.

18Aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen Kapitänleutnant S. steht des Weiteren fest, dass die Geldkassette die Gemeinschaftskasse des Offizierskorps des ...bataillons ... beinhaltete.

19Ebenso glaubhaft hat der Zeuge Kapitänleutnant S. erläutert, dass die Geldkassette in seinem Dienstzimmer in einem abgeschlossenen Aktenschrank stand, dessen Schlüssel in der obersten Schublade eines Rollcontainers unter dem Schreibtisch versteckt war. Soweit der Soldat in der Berufungshauptverhandlung am ausgeführt hat, abgeschlossen gewesen sei entweder die Geldkassette oder der Aktenschrank und der betreffende Schlüssel habe sich in der obersten Schublade des Rollcontainers befunden, folgt der Senat der Aussage des Zeugen Kapitänleutnant S., der eine sichere Erinnerung an die Verschlusssituation hatte, zumal der Soldat dessen Aussage in der Berufungshauptverhandlung am noch bestätigt hatte.

20Der Senat ist davon überzeugt, dass sich der entnommene Gesamtbetrag auf jedenfalls 1 000 € belief. Nicht erwiesen ist allerdings, dass er - wie angeschuldigt - 1 124 € betrug. Gegen Letzteres sprechen bereits die insoweit übereinstimmenden Aussagen des Soldaten und des Zeugen Kapitänleutnant S., dass nur Geldscheine entwendet wurden. Geldscheine können in ihrer Summe nicht 1 124 € ergeben. Der Zeuge Kapitänleutnant S. hat in der Berufungshauptverhandlung am erklärt, dass definitiv mehr als 1 000 € in der Kasse gewesen seien. Er konnte sich - nachdem ihm daraufhin vorgehalten wurde, dass er am bei der Polizei ausgesagt habe, es seien ca. 1 050 € entwendet worden - daran erinnern, dass er unmittelbar vor der polizeilichen Vernehmung anhand einer Auflistung im Computer über die Ein- und Auszahlungen in die Offizierskasse den der Polizei mitgeteilten Fehlbetrag ermittelt hatte. Zwar hat der Soldat behauptet, er habe nur 890 € entwendet. Dies widerspricht aber seinen Angaben im Rahmen der stationären Therapie. Denn im Entlassungsbericht vom heißt es, der Soldat habe erklärt, am Arbeitsplatz 1 000 € entwendet zu haben. Die Behauptung widerspricht auch den in einem Behandlungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses ... vom wiedergegebenen dortigen Angaben des Soldaten. Danach hat der Soldat erklärt, er habe zunächst 200 € genommen, damit Essen gekauft, den Rest "verzockt" und daraufhin insgesamt 980 € entnommen. In Widerspruch dazu hat der Soldat in der Berufungshauptverhandlung am erklärt, er habe erst 30 € oder 40 € und dann immer etwa 200 € oder 300 € entnommen, bis nichts mehr in der Geldkassette gewesen sei. In der Berufungshauptverhandlung am hat er den entnommenen Gesamtbetrag auf ca. 900 € beziffert. Diese nur ungefähren und inkonsistenten Angaben lassen darauf schließen, dass er sich an den konkreten Gesamtbetrag nicht hinreichend sicher erinnert, während Kapitänleutnant S. sich sicher war, dass mehr als 1 000 € entwendet wurden.

21Der Soldat handelte wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich. Der Senat ist auch davon überzeugt, dass der Soldat wusste, dass die Geldkassette die Offizierskasse beinhaltete. Zwar hat er in den Berufungshauptverhandlungen betont, dies nicht gewusst zu haben. Dies widerspricht aber seinen vorherigen Aussagen. So hat er in der Beschuldigtenvernehmung am erklärt, von der Kasse gewusst zu haben, weil er zuvor bei einer Besprechung der Verteilung von Nebenfunktionen für den Einsatz von der Kasse gehört habe; er habe sich im Dienstzimmer von Kapitänleutnant S. nach dieser Kasse umgesehen. Erstinstanzlich hat er erklärt, gewusst zu haben, dass der Kassenführer, sein damaliger Chef, eine Kassette gehabt habe; er habe sie gesehen, weil er in der Abteilung gearbeitet habe. Wenn ihm vorgehalten werde, dass er zuvor ausgesagt habe, in einer Besprechung davon erfahren zu haben, möge dies so gewesen sein; er habe es auf jeden Fall erfahren. Diesen Widerspruch in seinen Aussagen hat der Soldat auf Vorhalt in den Berufungshauptverhandlungen nicht nachvollziehbar auflösen können. Seine Erläuterung, er habe seine Spielsucht nicht offenlegen wollen und sich durch unrichtige Angaben zu seiner Kenntnis von der Offizierskasse Nachfragen zum Grund für den Zugriff ersparen wollen, hat den Senat nicht überzeugt. Denn der Soldat hat in seiner Beschuldigtenvernehmung am detaillierte Ausführungen zu seiner finanziellen Situation gemacht, die seinen Zugriff auf die Kasse erklärten, ohne dass es erforderlich gewesen wäre, falsche Angaben zu seinem Wissen um die Offizierskasse zu machen. Angesichts dessen sowie der Umstände, dass es sich bei Kapitänleutnant S. um den Disziplinarvorgesetzten des Soldaten handelte, ihre Büros im selben Trakt lagen und Kapitänleutnant S. ausgesagt hat, dass die Kassenführung durch ihn im Geschäftsverteilungsplan hinterlegt gewesen sei, hält der Senat die nachträgliche Behauptung des Soldaten, er habe nicht gewusst, dass die Geldkassette die Offizierskasse beinhaltet habe, für eine unzutreffende Schutzbehauptung.

22b) Der Soldat hat ein Dienstvergehen begangen (§ 23 Abs. 1 SG). Er hat vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verletzt.

23aa) Verstößt ein Soldat in einer Bundeswehrliegenschaft gegen ein Strafgesetz, verletzt er regelmäßig § 7 und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG (vgl. 2 WD 26.20 - juris Rn. 24 m. w. N.). Der Soldat hat im Dienstzimmer seines Disziplinarvorgesetzten einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall gemäß § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB begangen.

24(1) Er nahm die in der Offizierskasse befindlichen Geldscheine, bei denen es sich um bewegliche und für ihn fremde Sachen handelte, weg. Sie waren durch ein verschlossenes Behältnis - den abgeschlossenen Aktenschrank - gegen Wegnahme besonders gesichert. Dient das verschlossene Behältnis - wie hier - nach seiner erkennbaren Zweckbestimmung auch zur Sicherung der darin aufbewahrten Sache gegen Diebstahl, ist dies eine Schutzvorrichtung im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Der Täter stiehlt auch dann eine durch ein verschlossenes Behältnis besonders gesicherte Sache, wenn er als Unberechtigter den ordnungsgemäß dafür vorgesehenen Schlüssel verwendet (vgl. - NJW 2010, 3175 Rn. 4).

25(2) Er handelte vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht, weil er sie wie eigenes Geld nutzen wollte. Er hatte bei der Wegnahme allenfalls die Absicht, in die Geldkassette einen gleich hohen Geldbetrag zu erstatten. Damit richtete sich seine Absicht auf die dauerhafte Verdrängung der Eigentümer aus dem Eigentum an den konkreten Geldscheinen und deren zumindest vorübergehende Überführung in sein eigenes Vermögen (vgl. 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 Rn. 53 ff.). Rechtfertigungs- und Schuldausschlussgründe liegen nicht vor.

26bb) Zugleich hat der Soldat vorsätzlich gegen die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) verstoßen. Diese verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten (vgl. 2 WD 1.21 - NVwZ-RR 2022, 633 Rn. 31 m. w. N.). Schutzgegenstand ist das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Soldaten der Bundeswehr, das für den militärischen Zusammenhalt notwendig ist, unabhängig davon, ob zuvor ein konkretes soziales Näheverhältnis begründet worden ist ( 2 WD 23.20 - BVerwGE 173, 352 Rn. 34). Dieses besondere Vertrauensverhältnis wurde durch den "Griff in die Kameradenkasse" erheblich erschüttert.

273. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde. Danach ist eine einstufige Dienstgradherabsetzung unter Verkürzung der Wiederbeförderungsfrist auf zwei Jahre angemessen.

28a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist in Fällen des vorsätzlichen Zugriffs auf Eigentum und Vermögen von Kameraden oder Kameradengemeinschaften ("Griff in die Kameradenkasse") eine Dienstgradherabsetzung. Die zweithöchste gerichtliche Disziplinarmaßnahme kann grundsätzlich dem Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Pflichtverletzungen Rechnung tragen, der zum einen durch das hohe Gewicht der Kameradschaftspflicht für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, zum anderen aber auch durch den mildernden Gesichtspunkt bestimmt wird, dass kein Fehlverhalten bei der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben im engeren Sinne und kein Diebstahl zum Schaden des Dienstherrn in Rede steht (vgl. 2 WD 25.18 - juris Rn. 18 m. w. N.).

29b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Liegt angesichts der be- und entlastenden Umstände ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlichen Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet. Darüber hinaus ist eine verfassungs- und konventionswidrige Verfahrensüberlänge mildernd zu berücksichtigen. Danach ist die Degradierung des Soldaten zum Hauptfeldwebel unter Verkürzung der Wiederbeförderungsfrist auf zwei Jahre angemessen.

30aa) Gegen ihn sprechen mehrere gewichtige Umstände.

31(1) Das Dienstvergehen wiegt nach Art und Schwere sehr schwer. Denn die in dem besonders schweren Fall eines Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB zum Ausdruck gekommene erhöhte kriminelle Energie offenbart einen bedenklichen Charaktermangel (vgl. 1 D 34.96 - juris Rn. 23). Zudem hat der Soldat nicht nur einmal, sondern wiederholt auf die Offizierskasse zugegriffen. Der dadurch entstandene vierstellige Gesamtschaden ist beträchtlich. Hinzu kommt, dass der Soldat die Tat unter Missbrauch seiner dienstlichen Möglichkeiten beging, weil er wegen seiner Tätigkeit in der S 1-Abteilung Zugang zum Büro seines Disziplinarvorgesetzten hatte (vgl. 1 D 34.96 - juris Rn. 24). Dabei nutzte er das den Angehörigen der S 1-Abteilung durch die offenstehenden Zwischentüren eingeräumte gegenseitige Vertrauen aus.

32(2) Weiter erschwerend wirkt, dass der Soldat zur Tatzeit wegen seines Dienstgrads als Stabsfeldwebel eine Vorgesetztenstellung innehatte (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht. Dafür genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 40 m. w. N.).

33(3) Das Dienstvergehen hatte darüber hinaus erhebliche nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn. Denn der Soldat musste wegen des Vertrauensbruchs von seinem Dienstposten in der S 1-Abteilung abgelöst werden. Zunächst wurde er, was laut Stellungnahme des Stabszugführers Oberleutnant D. vom alternativlos war, der Poststelle zugewiesen, wo er bei Weitem nicht seinem Dienstgrad entsprechende Arbeit verrichtete. Zudem wurde seine bereits geplante Versetzung in die ... in ... vorgezogen. Auch führte die Tat zu großer Unruhe in der Abteilung, weil zunächst alle Kameraden, die Zugang zum Dienstzimmer von Kapitänleutnant S. hatten, der Tat verdächtigt wurden.

34bb) Dem stehen folgende für den Soldaten sprechende Umstände gegenüber:

35(1) Erheblich mildernd wirkt, dass er sich durch sein unter dem Druck der Ermittlungen abgegebenes Geständnis der Tat selbst überführt hat (vgl. 2 WD 26.20 - juris Rn. 42). Zwar gab es nach den Zeugenaussagen der ermittelnden Feldjäger Stabsfeldwebel R. und Stabsfeldwebel B. etliche Hinweise darauf, dass der Soldat der Täter war. Stabsfeldwebel R. hat aber nachvollziehbar erklärt, dass der Soldat aufgrund dieser Indizien noch nicht überführt war, sondern erst durch sein Geständnis.

36(2) Des Weiteren hat der Soldat in der Berufungshauptverhandlung am Reue gezeigt und sich entschuldigt. Die Erstattung des Geldes an die Offizierskasse ist nicht mildernd zu berücksichtigen. Dies war ihm im Strafverfahren auferlegt worden. Zudem war er zivilrechtlich zur Rückzahlung verpflichtet (vgl. 2 WD 4.23 - Rn. 56).

37(3) Für ihn spricht ferner, dass er sich über das Sperrsystem OASIS für Glücksspiele hat sperren lassen, sich im Wege der Privatinsolvenz um eine Regulierung seiner Schulden gekümmert und sich wegen seiner Spielsucht einer zweimonatigen stationären Therapie unterzogen hat. Laut Entlassungsbericht vom zeigte er sich in der Therapie vollumfänglich krankheitseinsichtig und behandlungsmotiviert und habe das Ziel der "Psychoedukation Glücksspielsucht" gut erreicht.

38(4) Seine dienstlichen Leistungen sprechen nur mit geringem Gewicht für ihn. Zwar ist ihm zu Gute zu halten, dass er sich 1996 in einem fünfmonatigen Auslandseinsatz im früheren ... bewährt hat. Mangels deutlicher Leistungssteigerung oder Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus liegt allerdings keine Nachbewährung vor (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 37). Nach den Stellungnahmen von Oberleutnant D. vom , von Kapitänleutnant Z. vom und von Hauptmann G. vom sowie der Aussage von Korvettenkapitän W. in der Berufungshauptverhandlung am zeigte das Beurteilungsbild des Soldaten nach seiner Rückkehr aus der integrierten Auslandsverwendung in ... im Jahre 2009 deutlich nach unten und seine dienstlichen Leistungen liegen nur noch im unteren, allenfalls mittleren Mittelfeld.

39cc) Erheblich weitere mildernde Umstände bei Begehung der Tat liegen allerdings nicht vor.

40(1) Zwar befand sich der Soldat bei der Tat wegen seiner Schulden, seiner Spielsucht und seiner Anpassungsstörung in einer schwierigen Lebensphase.

41(2) Es handelte sich jedoch nicht um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten. Diese setzt voraus, dass der Soldat das Dienstvergehen in einem Zustand beging, in dem er die rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedacht hat, wozu ein gewisses Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit gehört (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 41 m. w. N.). Keine persönlichkeitsfremde Augenblickstat liegt vor, wenn das Dienstvergehen sich - wie hier - als mehraktiges Verhalten darstellt, das immer wieder neue, wenn auch kurze Überlegungen erfordert ( 2 WD 24.18 - juris Rn. 27).

42(3) Der Milderungsgrund einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage liegt ebenfalls nicht vor. Er setzt eine Konfliktsituation voraus, in welcher der betreffende Soldat keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn sieht, um einen Notbedarf seiner Familie zu decken (vgl. 2 WD 18.18 - juris Rn. 27 m. w. N.). Zwar mag der Einsatz des gestohlenen Geldes zum Spielen dem Zweck gedient haben, mit den erhofften Gewinnen die zur Tatzeit bestandenen Schulden zu begleichen. Von einer Ausweglosigkeit kann aber nur gesprochen werden, wenn vor dem Zugriff wenigstens der Versuch unternommen wurde, sich wegen der Verschuldung in sachverständige Beratung oder auf den Weg einer geordneten Privatinsolvenz zu begeben (vgl. 2 WD 18.18 - juris Rn. 27). Dies hat der Soldat jedoch erst nach dem Zugriff getan. Ungeachtet dessen erfolgte der Zugriff nicht, um den Notbedarf der Familie zu decken.

43(4) Schließlich war der Soldat zur Tatzeit uneingeschränkt schuldfähig. Seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, war nicht entsprechend § 21 StGB erheblich gemindert.

44(a) Die richterliche Entscheidung, ob im Sinne des § 21 StGB die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe zum Zeitpunkt des Dienstvergehens erheblich vermindert war, erfolgt mehrstufig. Zunächst ist festzustellen, ob beim Täter zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Begehung der Taten beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds ebenso wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um vom Gericht zu beantwortende Rechtsfragen (vgl. - NStZ-RR 2019, 170 m. w. N.; 2 WD 2.22 - NVwZ-RR 2023, 288 Rn. 66).

45(b) Danach ist ohne vernünftige Zweifel auszuschließen, dass beim Soldaten zur Tatzeit eine psychische Störung eines solchen Ausmaßes vorlag, dass sie unter das allein in Betracht kommende Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB (zur Tatzeit im Gesetzestext noch schwere andere seelische Abartigkeit genannt, vgl. BT-Drs. 19/19859 S. 35) fiel.

46(aa) Zwar hat der Sachverständige in der Berufungshauptverhandlung am nachvollziehbar erläutert, dass der Soldat im September 2017 sowohl an einer pathologischen Spielsucht (ICD-10 F 63.0) als auch an einer Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.2) litt, obwohl dazu erst ab Ende Mai 2023 datierende ärztliche Unterlagen vorliegen. Denn die vom Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen des Soldaten am 14. und lieferten nach den Erläuterungen des Sachverständigen ausreichende Anknüpfungspunkte für die Annahme, dass die Gesundheitsstörungen bereits im September 2017 bestanden.

47Zu der diagnostizierten pathologischen Spielsucht hat der Sachverständige unter ausführlicher Darlegung der Anamnese schlüssig erläutert, dass die Spielfrequenz beim Soldaten nach seiner Rückkehr aus Norwegen trotz negativer sozialer Konsequenzen wie Verarmung, Verschuldung, gestörter Familienbeziehungen, Zerrüttung der persönlichen Verhältnisse und Abnahme der Arbeitsleistung drastisch zunahm und infolgedessen bereits ab 2011 ein Abwärtstrend im Leben des Soldaten zu erkennen war, der im September 2017 seinen Tiefpunkt in einer schweren Störung durch Glücksspiel fand.

48Die daneben diagnostizierte Anpassungsstörung hat der Sachverständige als unzureichende Fähigkeit des Soldaten präzisiert, auf Probleme und Krisen im Leben angemessen zu reagieren. Diese Störung hat er ebenfalls schlüssig mit der großen Belastung durch die erheblichen Konsequenzen des unkontrollierten Spielverhaltens des Soldaten zur Tatzeit erklärt, welche zu verschiedenen Anzeichen wie einer depressiven Stimmung, Ängsten und Sorgen bzw. zu einer Mischung davon sowie zur Entwicklung des Gefühls führten, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurecht zu kommen. Dass der Sachverständige die genaue Ursache für die Anpassungsstörung nicht ausmachen konnte, ändert nichts daran, dass er ihr Bestehen zur Tatzeit nachvollziehbar aufgezeigt hat.

49(bb) Weder die Spielsucht noch die Anpassungsstörung erreichten aber den Grad einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB.

50(aaa) Eine Spielsucht stellt für sich genommen noch keine schwere andere seelische Störung dar. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene durch seine Spielsucht gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfahren hat, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die Spielsucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt, kann (ausnahmsweise) eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein. Zudem muss sich die Spielsucht in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben. Die begangenen Straftaten müssen der Fortsetzung des Spielens gedient haben ( - juris Rn. 23 m. w. N.).

51Eine schwerste Persönlichkeitsveränderung des Soldaten infolge seiner Spielsucht etwa im Sinne der Depravation mit Persönlichkeitsabbau, Kritik- und Urteilsschwäche, Nivellierung des Wertgefüges und vollständiger Einengung des Interesses auf die Finanzierung und Sicherung des Spielverhaltens hat der Sachverständige verneint. Er hat plausibel erläutert, dass beim Soldaten für den Tatzeitpunkt mangels eines irreversiblen Zustandes keine Persönlichkeits- sondern nur eine vorübergehende Verhaltensänderung festzustellen sei. Auch aus der Gesundheitsakte, der letzten planmäßigen Beurteilung zum , den Stellungnahmen von Oberleutnant D. vom , Kapitänleutnant Z. vom und Hauptmann G. vom und der Aussage des Leumundszeugen Korvettenkapitän W. in der Berufungshauptverhandlung am ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine schwerste Persönlichkeitsveränderung des Soldaten infolge seiner Spielsucht.

52Daher kommt es nicht darauf an, ob zwischen seinem Hang, an Geldautomaten zu spielen, und dem Dienstvergehen ein symptomatischer Zusammenhang bestand. Das hat der Sachverständige jedenfalls für den ersten Zugriffsakt auch unter Berücksichtigung des vom Soldaten erstmals in der Berufungshauptverhandlung am vorgetragenen vormittäglichen Abhebens und Verspielens von Geld nachvollziehbar mit der Begründung verneint, dass der Soldat beim ersten Absuchen des Büros seines Vorgesetzten nicht gewohnheitsmäßig, sondern planmäßig gehandelt habe. Das führende Tatmotiv sei der Hunger gewesen, weil der Soldat mit dem beim ersten Zugriffsakt entnommenen Geld zunächst Essen kaufte und erst danach in die Spielhalle ging. Selbst wenn der Soldat sodann "getriggert" worden sein sollte und daher ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den weiteren Zugriffsakten und seiner Spielsucht vorgelegen hätte, würde dies nichts daran ändern, dass es an der für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit zudem erforderlichen schwersten Persönlichkeitsveränderung infolge der Spielsucht fehlt.

53Im Übrigen war durch die Spielsucht die Einsichtsfähigkeit des Soldaten nicht und seine Steuerungsfähigkeit nur mittelgradig, nicht jedoch erheblich vermindert. Auch dies hat der Sachverständige nachvollziehbar erläutert. Dass die Einsichtsfähigkeit uneingeschränkt bestand, ist plausibel, weil sich aus dem heimlichen und etappenweisen Vorgehen des Soldaten ergibt, dass er sich des Unrechts seiner Tat bewusst war. Dass die Steuerungsfähigkeit infolge der Spielsucht nur mittelgradig vermindert war, ist nachvollziehbar, weil der Soldat das Münzgeld in der Geldkassette beließ. Gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit spricht zudem die Komplexität der Ausführungshandlungen des Diebstahls (vgl. - juris Rn. 34).

54(cc) Auch aus der diagnostizierten Anpassungsstörung ist nicht auf eine verminderte Schuldfähigkeit des Soldaten bei Begehung der Tat zu schließen.

55Bei den sogenannten Anpassungsstörungen (vgl. ICD-10 F 43.2) handelt es sich um eine Misch- bzw. Sammelkategorie mit einer vielgestaltigen und unspezifischen Symptomatik, die zumeist nicht mit stärkeren psychopathologischen Auffälligkeiten einhergehen. Ein die Annahme einer schweren anderen seelischen Störung rechtfertigender Beeinträchtigungsgrad wird dabei nur in Ausnahmefällen erreicht; die Auffälligkeiten müssen das Leben ähnlich schwer belastet haben, wie die Folgen von anerkannten krankhaften seelischen Störungen (vgl. - juris Rn. 28 m. w. N.).

56Solche gravierenden Belastungen hat der Sachverständige beim Soldaten nicht feststellen können. Auch aus der Gesundheitsakte, der letzten planmäßigen Beurteilung sowie den bereits zitierten Stellungnahmen ergeben sich keine dahingehenden Anhaltspunkte. Ungeachtet dessen fehlt es aus den bereits genannten Gründen an einer aus der Anpassungsstörung resultierenden erheblichen Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit.

57dd) Bei einer Gesamtwürdigung aller für und gegen den Soldaten sprechenden Umstände wäre zwar an sich wegen der deutlich überwiegenden erschwerenden Umstände eine zweistufige Degradierung angemessen. Die Verfahrensüberlänge von gut zwei Jahren und achteinhalb Monaten gebietet jedoch eine Milderung der Disziplinarmaßnahme.

58Denn in Fällen, in denen eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, ist eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen (vgl. 2 WD 18.19 - juris Rn. 75 m. w. N.), wobei der für die Verfahrensdauer maßgebliche Zeitraum ein behördliches Vorschaltverfahren umfassen kann (vgl. EGMR, Urteil vom - 8453/04, Bayer/​Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 44). Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist die Gesamtverfahrensdauer. Dies hat zur Folge, dass Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Vielmehr ist im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (vgl. 2 WD 2.22 - NVwZ-RR 2023, 288 Rn. 83).

59(1) Zwar war danach das bei der Verfahrensdauer zu berücksichtigende disziplinarische Vorermittlungsverfahren (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 41) nicht überlang. Bei zureichenden Anhaltspunkten für den Anfangsverdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens sollte das gerichtliche Disziplinarverfahren bei einer dem Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) entsprechenden zügigen Durchführung der erforderlichen Anhörungen der Vertrauensperson und des Soldaten jedenfalls innerhalb eines angemessenen Bearbeitungszeitraums von drei Monaten eingeleitet werden (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 44). Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat das Geld aus der Offizierskasse entwendet hatte, ergaben sich erst aufgrund seiner Befragung am . Unter dem wurde die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Noch vor der endgültigen Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens durch Verfügung vom , dessen Ausgang abzuwarten war (vgl. 2 WD 25.18 - juris Rn. 25), wurde das gerichtliche Disziplinarverfahren am eingeleitet.

60(2) Auch kann sich der Soldat nicht darauf berufen, dass der Zeitraum zwischen der Zustellung der Einleitungsverfügung an ihn und dem Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht unangemessen lang war. Denn er hat in diesem Verfahrensstadium keinen Antrag nach § 101 Abs. 1 Satz 1 WDO gestellt, um auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken (vgl. EGMR, Urteil vom - 8453/04, Bayer/Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 51; 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42).

61(3) Jedoch weist das rund drei Jahre und zehn Monate lange erstinstanzliche Verfahren eine Überlänge von etwa zwei Jahren und zehn Monaten auf. Angesichts der Überschaubarkeit des Vorwurfs und der vorgerichtlichen geständigen Einlassung des Soldaten hatte das Verfahren keinen überdurchschnittlichen Schweregrad. Da es wegen der im Raum stehenden Degradierung für den Soldaten von erheblicher Bedeutung war, hätte eine Erledigung bei einem normalen Geschäftsgang binnen eines Jahres erwartet werden können. Besondere Umstände, welche die Verzögerung erklären könnten, sind den Akten nicht zu entnehmen. Dies lässt darauf schließen, dass sie auf die gerichtsbekannte Überlastung der Truppendienstgerichte zurückgeht. Diesen strukturellen Mangel hat der Soldat nicht zu verantworten.

62(4) Das Berufungsverfahren weist indes keine Überlänge auf. Es war aus den vorstehenden Gründen binnen eines Jahres zu erledigen und wurde in gut zehn Monaten erledigt. Die um knapp eineinhalb Monate unterdurchschnittlich lange Bearbeitungsdauer ist kompensatorisch zu berücksichtigen.

63(5) Die damit vorliegende erhebliche Überlänge des Gesamtverfahrens von rund zwei Jahren und achteinhalb Monaten gebietet die Herabsetzung um einen Dienstgrad weniger.

64ff) Die bis zur Verschlechterung der Lebenssituation des Soldaten nach seiner Rückkehr aus ... erbrachten guten dienstlichen Leistungen, die erfolgreiche Therapie, die OASIS-Sperre und der noch in diesem Jahr zu erwartende Abschluss des Insolvenzverfahrens des Soldaten haben den Senat dazu veranlasst, die Wiederbeförderungsfrist nach § 62 Abs. 3 Satz 3 WDO von drei auf zwei Jahre herabzusetzen, um ihm vor seinem Dienstzeitende mit Ablauf März ... die Möglichkeit zu geben, sich im Dienst zu bewähren und wieder zum Stabsfeldwebel befördert zu werden.

654. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO. Die Verkürzung der Wiederbeförderungsfrist betrifft eine Nebenentscheidung und ist angesichts der ansonsten erfolglosen Berufung nicht von Gewicht. Es besteht daher kein Anlass, die dem Soldaten im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen nach § 140 Abs. 2 Satz 1 WDO dem Bund aufzuerlegen (vgl. 2 WD 37.12 - juris Rn. 59).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:120424U2WD6.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-69454