BGH Beschluss v. - 2 StR 444/23

Instanzenzug: LG Aachen Az: 65 KLs 2/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – „wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 16 Fällen, jeweils tateinheitlich mit Herstellung kinderpornographischer Schriften, davon in einem Fall in zwei tateinheitlich begangenen Fällen, und zudem in 5 Fällen in weiterer Tateinheit mit sexuellem Übergriff, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 9 Fällen, jeweils tateinheitlich mit Herstellung kinderpornographischer Inhalte und zudem in 8 Fällen in weiterer Tateinheit mit sexuellem Übergriff, wegen Herstellung kinderpornographischer Schriften in 6 Fällen, wegen Herstellung kinderpornographischer Inhalte in einem Fall sowie wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen in 2 Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlich begangenen Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

31. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs sowie der Einziehungsentscheidung im angefochtenen Urteil hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

42. Hingegen hat die Anordnung der Maßregel keinen Bestand.

5a) Zwar ist die Strafkammer rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass aufgrund ihrer Verurteilung die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vorliegen. Auch die Feststellung eines Hangs des Angeklagten zu erheblichen Straftaten und zu dessen Gefährlichkeit sind nicht zu beanstanden.

6b) Jedoch genügt die von der Strafkammer vorgenommene Ermessensausübung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

7aa) Liegen die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 66 Abs. 2 oder § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vor, so steht, ebenso wie bei einer Anordnung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB (vgl. hierzu , juris Rn. 4), die Entscheidung über den Maßregelausspruch im Ermessen des Tatgerichts (vgl. , NStZ-RR 2023, 42, 45 mwN). Dieses muss erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen eine Anordnung der Maßregel sprechen können. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. , juris Rn. 23). Die Wirkung eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind (vgl. , aaO mwN).

8bb) Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Sie lassen Ausführungen zum fortgeschrittenen Lebensalter des Angeklagten, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hinweist, in Gänze vermissen. Diese sind auch nicht entbehrlich. Der Angeklagte war im Zeitpunkt seiner Verhaftung 72 Jahre alt. Die Strafkammer hat ihn nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, so dass er bei seiner regulären Entlassung 81 Jahre alt sein wird. Wenngleich der zurückliegende Strafvollzug in den Niederlanden ihn nicht davon abgehalten hat, alsbald gleichgelagerte Straftaten zu begehen, bedarf dieser Umstand der näheren Erörterung (vgl. zum hohen Lebensalter eines Angeklagten auch , BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 10).

93. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Feststellungen zur Maßregelanordnung mit auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassend neue Prüfung zu ermöglichen.

10Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass entgegen der Ansicht der Strafkammer die bisherigen Feststellungen eine Prüfung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht ermöglichen. Die Darstellung der Vorverurteilung des Gerichtshof ’s-Hertogenbosch (Niederlande) vom wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, sexueller Nötigung in zwei Fällen, mehrfachen Besitzes kinderpornographischer Schriften und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen zu einer „Freiheitsstrafe von sechs Jahren“ beinhaltet keine Ausführungen zur damaligen Strafzumessung. Dies war hier aber erforderlich. Der Senat kann den mitgeteilten Urteilsfeststellungen zu der Vorverurteilung, übertragen auf die deutsche Rechtslage (§ 66 Abs. 4 Satz 5 StGB), zwar hinreichend deutlich entnehmen, dass 29 der 45 Einzeltaten sexuelle Missbrauchshandlungen zum Nachteil von Kindern im Alter von unter 14 Jahren und damit zweifelsfrei Katalogtaten nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB betrafen. Mangels Mitteilung der damaligen Strafzumessungserwägung ist ihm jedoch die weitere Prüfung (vgl. , juris Rn. 9) verschlossen, ob das niederländische Gericht bei einer allein auf diese 29 Einzeltaten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gestützten Verurteilung eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren zugemessen hätte (vgl. auch , BGHSt 48, 100, 103).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250324B2STR444.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-69381