BAG Urteil v. - 8 AZR 143/23

Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG - erfolglose Bewerberin - Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung - Einladungspflicht nach § 165 Satz 3 SGB IX - interne Stellenausschreibung - Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO

Leitsatz

1. Die Klägerin wurde dadurch unmittelbar iSv. § Abs. 1 AGG benachteiligt, dass sie von dem beklagten Land für die ausgeschriebenen Stellen nicht berücksichtigt wurde, denn sie hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerberinnen und Be-werber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob sie die Stelle angetreten haben, kommt es nicht an. Allerdings hat die Klägerin - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG nicht wegen ihrer Behinderung erfahren. Die Klägerin hat keine hinreichenden Indizien iSv. § 22 AGG vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten ließen.

2. Eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Behinderung wird vorliegend nicht durch die unterbliebene Einladung nach § 165 Satz 3 SGB IX indiziert. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass eine Einladung in den Bewerbungsverfahren trotz Kenntnis auf Arbeitgeberseite von ihrer Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen unterblieben ist. Der Verstoß des Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 Satz 3 SGB IX, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch bei internen Stellenbesetzungen.

3. Der Umstand, dass das beklagte Land die Klägerin entgegen der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, begründet im vorliegenden Fall nicht die Vermutung, dass die (Schwer)Behinderung der Klägerin ursächlich für deren Benachteiligung war. Die Klägerin hat ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen in den Bewerbungsverfahren nicht mitgeteilt. Die Klägerin konnte auch nicht davon ausgehen, im Bewerbungsverfahren sei ihre Gleichstellung bekannt, sodass es ausnahmsweise keines Hinweises auf die Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung bedurft habe.

Gesetze: § 1 AGG, § 3 Abs 1 AGG, § 6 AGG, § 7 Abs 1 AGG, § 15 Abs 2 AGG, § 22 AGG, § 164 Abs 2 SGB 9 2018, § 165 S 3 SGB 9 2018, § 2 Abs 1 RsprEinhG, § 308 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Halle (Saale) Az: 2 Ca 1067/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 4 Sa 186/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten in der Revision nur noch darüber, ob das beklagte Land der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen hat wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung aufgrund einer Behinderung.

2Zwischen den Parteien bestand vom bis zum ein befristetes Arbeitsverhältnis. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 und ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Sie war im Bereich der Datenerfassung in der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen eines Drittmittelprojekts beschäftigt. Nachdem der zuständige Professor an eine andere Universität wechselte und das Forschungsprojekt mitnahm, erklärte das beklagte Land gegenüber der Klägerin zwei ordentliche Kündigungen zum .

3Am veröffentlichte das beklagte Land eine interne Ausschreibung für die Stelle einer Sekretärin (m-w-d) der Naturwissenschaftlichen Fakultät II, Institut für Physik, in der es ua. lautet:

4Am veröffentlichte das beklagte Land eine weitere interne Ausschreibung für die Stelle einer Sekretärin (m-w-d) der Naturwissenschaftlichen Fakultät III, Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, in der ua. ausgeführt ist:

5In beiden Stellenausschreibungen wird darauf hingewiesen, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt werden. Keine der Stellenausschreibungen enthält einen Hinweis darauf, dass die Personalakte - ggf. nach Einwilligung - im Bewerbungsverfahren beigezogen wird.

6Die Klägerin bewarb sich auf die ausgeschriebenen Stellen direkt bei den in den Stellenausschreibungen angegebenen Instituten. Sie legte jeweils neben ihrem Anschreiben einen ausführlichen Lebenslauf und das Abschlusszeugnis einer Berufsfachschule für medizinische Dokumentationsassistenz vor. Auf ihre Behinderung und Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen wies sie in den Bewerbungsunterlagen nicht hin. Weder das Institut für Physik noch das Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften reagierten in der Folgezeit auf die Bewerbung der Klägerin.

7Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe gegenüber dem beklagten Land einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Das beklagte Land habe sie aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt. Das sei nach § 22 AGG zu vermuten, weil sie trotz ihrer Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen entgegen der gesetzlichen Verpflichtung für öffentliche Arbeitgeber aus § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden sei. Auf ihre Gleichstellung habe sie nicht hinweisen müssen, weil diese bei der Universität bekannt gewesen sei und es sich um interne Stellenausschreibungen gehandelt habe. Es komme nicht darauf an, ob die für die Bewerbungsverfahren zuständigen Stellen - hier die naturwissenschaftlichen Fakultäten - Kenntnis von der Gleichstellung gehabt hätten. Es sei ausreichend, dass die Personalabteilung als personalführende Stelle Kenntnis gehabt habe. Diese sei für den rechtswirksamen Abschluss von Arbeitsverträgen zuständig. Die Fakultäten, die die Bewerbungsverfahren durchgeführt hätten, seien verpflichtet gewesen, bei der Personalabteilung in Erfahrung zu bringen, ob eine oder mehrere Bewerber schwerbehindert oder gleichgestellt gewesen seien.

8Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

9Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

10Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass die beiden Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht zum beendet haben, sondern dieses mit Ablauf der Befristung zum geendet hat. Den auf Weiterbeschäftigung gerichteten Antrag zu 3. und den „hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen Ziffer 1 - 3“ gestellten Antrag zu 4. auf Zahlung einer Entschädigung hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin lediglich in Bezug auf den abgewiesenen Entschädigungsantrag Berufung eingelegt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage insoweit stattgegeben. Mit der Revision erstrebt das beklagte Land, das erstinstanzliche Urteil in Bezug auf die Abweisung des Entschädigungsantrags wiederherzustellen. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

11Die zulässige Revision des beklagten Landes ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

12I. Die Revision des beklagten Landes ist nicht bereits deshalb begründet, weil das Arbeitsgericht über den auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichteten Hilfsantrag nicht hätte entscheiden dürfen. Das Arbeitsgericht hat entgegen der Auffassung des beklagten Landes bei seiner Entscheidung § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht verletzt.

131. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Das ist Ausdruck der den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsmaxime. Das Gericht darf der klagenden Partei weder quantitativ mehr noch qualitativ etwas anderes zuerkennen ( - Rn. 12 mwN, BAGE 150, 50). § 308 Abs. 1 ZPO ist auch dann verletzt, wenn das Gericht zum Nachteil einer Partei über deren Antrag entscheidet, obwohl dieser nicht (mehr) gestellt ist ( - Rn. 13 mwN). Ein in den Vorinstanzen erfolgter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist noch vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ( - Rn. 58; - 7 AZR 128/14 - Rn. 69, BAGE 157, 44).

142. Der abweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts über den auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichteten Antrag stand nicht entgegen, dass dieser nur hilfsweise gestellt war. Die innerprozessuale Bedingung für die Entscheidung über den Hilfsantrag war eingetreten. Das ergibt die gebotene Auslegung der Klageanträge.

15a) Das Revisionsgericht hat prozessuale Erklärungen selbstständig auszulegen. Klageanträge sind entsprechend den für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) so auszulegen, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Für das Verständnis eines Klageantrags ist deshalb nicht am buchstäblichen Wortlaut des Antrags zu haften. Die Grenzen der Auslegung oder auch der Umdeutung eines Klageantrags sind jedoch erreicht, wenn ein Kläger unmissverständlich ein bestimmtes Prozessziel verfolgt, auch wenn dieses Vorgehen seinem wohlverstandenen Eigeninteresse widerspricht. Dies dient nicht zuletzt der hinreichenden Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Klagegegners als Erklärungsadressaten ( - Rn. 29 mwN).

16b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der von der Klägerin in erster Instanz hilfsweise zu 4. gestellte Antrag auf Zahlung einer Entschädigung dahin gehend auszulegen, dass er auch für den Fall gestellt sein sollte, dass die Klägerin nur mit einem der Klageanträge zu 1. bis 3. unterliegt. Diese Voraussetzung war vorliegend erfüllt, denn die Klägerin war in erster Instanz mit dem zu 3. gestellten Weiterbeschäftigungsantrag unterlegen.

17aa) Allerdings ist dieses Verständnis nach dem Wortlaut des auf Entschädigung gerichteten Hilfsantrags nicht zwingend. Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin die Kündigungsschutzanträge um einen Weiterbeschäftigungsantrag zu 3. sowie „hilfsweise“ um einen Entschädigungsantrag nach § 15 Abs. 2 AGG erweitert. In der mündlichen Verhandlung hat sie ausweislich des Protokolls die Antragstellung dahin gehend konkretisiert, dass der Antrag zu 4. „hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen Ziffer 1 - 3“ gestellt sein soll. Der Strich zwischen den Ziffern 1 und 3 entspricht in diesem Zusammenhang dem Wort „bis“. Danach legt der Wortlaut eher nahe, dass Bedingung für die Entscheidung über den Antrag zu 4. ein kumulatives Unterliegen mit sämtlichen der Anträge Ziffer 1 bis 3 sein sollte. Andererseits erscheint nach dem Wortlaut auch nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellung in dem Sinn verstanden werden sollte, dass der Antrag zu 4. für den Fall des Unterliegens mit - alternativ - einem der Anträge Ziffer 1 bis 3 gestellt sein sollte.

18bb) Für eine Auslegung dahin gehend, dass das alternative Unterliegen mit einem der Anträge zu 1., zu 2. oder zu 3. genügt, spricht entscheidend, dass dies nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig erscheint und der richtig verstandenen Interessenlage der Klägerin entspricht. Es liegt nahe, dass die Klägerin das Arbeitsverhältnis im Falle seines Fortbestands nicht mit einer Entscheidung über eine Entschädigung wegen einer möglichen Diskriminierung belasten wollte, sondern eine solche Entscheidung nur im beendeten Arbeitsverhältnis ergehen sollte. Daher ist anzunehmen, dass die Klägerin den Entschädigungsantrag von Anfang an auch für den Fall stellen wollte, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ihres Unterliegens mit einem der Kündigungsschutzanträge enden würde oder für den - hier vorliegenden - Fall, dass der Weiterbeschäftigungsantrag aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge einer wirksamen Befristung des Arbeitsverhältnisses abzuweisen wäre. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass die Klägerin unmissverständlich ein bestimmtes anderes Prozessziel verfolgt hätte. Vielmehr hat die Klägerin durch ihren Berufungsantrag verdeutlicht, dass sie selbst den Entschädigungsantrag auch für den Fall des Unterliegens mit nur einem der Anträge zu 1. bis zu 3. stellen wollte.

19II. Die Revision des beklagten Landes ist dennoch begründet. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gegen das beklagte Land.

201. Der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist zwar eröffnet. Die klagende Partei fällt als Arbeitnehmerin iSv. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG unter den persönlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das beklagte Land ist Arbeitgeber iSv. § 6 Abs. 2 AGG.

212. Die Klägerin ist jedoch nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden.

22a) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (st. Rspr.,  - Rn. 22 mwN).

23b) Die Klägerin wurde dadurch unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, dass sie von dem beklagten Land für die ausgeschriebenen Stellen nicht berücksichtigt wurde, denn sie hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerberinnen und Bewerber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob sie die Stelle angetreten haben, kommt es nicht an (vgl.  - Rn. 23; - 8 AZR 136/22 - Rn. 16).

24c) Allerdings hat die Klägerin - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG nicht wegen ihrer Behinderung erfahren. Die Klägerin hat keine hinreichenden Indizien iSv. § 22 AGG vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten ließen.

25aa) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Das spezielle Benachteiligungsverbot des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verbietet eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund bzw. zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 25 mwN).

26bb) Bei schwerbehinderten Menschen und diesen gleichgestellten behinderten Menschen begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung iSv. § 22 AGG (st. Rspr., vgl.  - Rn. 26 mwN).

27cc) Eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Behinderung wird vorliegend jedoch nicht durch die unterbliebene Einladung nach § 165 Satz 3 SGB IX indiziert. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass eine Einladung in den Bewerbungsverfahren trotz Kenntnis auf Arbeitgeberseite von ihrer Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen unterblieben ist.

28(1) Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit ua. frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Nach § 165 Satz 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich auf einen solchen Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Insoweit ist der schwerbehinderte bzw. der diesem gleichgestellte Bewerber im Bewerbungsverfahren besser gestellt als nicht schwerbehinderte Konkurrenten. Schwerbehinderte Bewerber sollen durch das in § 165 Satz 3 SGB IX genannte Vorstellungsgespräch ihre Chancen im Auswahlverfahren verbessern können ( - Rn. 36 mwN). Der Verstoß des Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung ( - Rn. 12 mwN).

29(2) Nach der Rechtsprechung des Senats besteht die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 Satz 3 SGB IX (bzw. der Vorgängervorschrift § 82 Satz 2 SGB IX aF), einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch bei internen Stellenbesetzungen. Das ergibt eine Auslegung von § 165 Satz 3 SGB IX unter Berücksichtigung des Wortlauts, des systematischen Zusammenhangs, der Entstehungsgeschichte sowie von Sinn und Zweck der Bestimmung ( - Rn. 31 ff., BAGE 171, 176; vgl. auch Düwell in LPK-SGB IX 6. Aufl. § 165 Rn. 10; Kossens/von der Heide/Maaß/Kossens SGB IX 5. Aufl. § 165 Rn. 11; von Roetteken jurisPR-ArbR 24/2012 Anm. 4; aA:  2 A 13.10 - Rn. 19 ff.;  - zu II der Gründe;  - zu II III der Gründe).

30(a) Der Wortlaut von § 165 Satz 3 SGB IX ist - unter Berücksichtigung der inneren Systematik des § 165 SGB IX - nicht eindeutig. Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden öffentliche Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Daran knüpft § 165 Satz 3 SGB IX an, soweit dort formuliert ist, dass schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen sind, wenn sie sich „um einen solchen“ Arbeitsplatz beworben haben. Das Wort „solchen“ in § 165 Satz 3 SGB IX muss sich jedoch nicht zwangsläufig nur auf Arbeitsplätze beziehen, die der Agentur für Arbeit gemeldet werden und damit (auch) zur externen Besetzung anstehen, sondern kann sich auch ausschließlich auf die in § 165 Satz 1 SGB IX genannten frei werdenden, neu zu besetzenden sowie die neu eingerichteten Arbeitsplätze beziehen ( - Rn. 32, BAGE 171, 176).

31(b) Die Entstehungsgeschichte des § 165 SGB IX bestätigt dies und deutet darauf hin, dass eine Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber - trotz des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts - auch bei internen Stellenausschreibungen besteht. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wurde zum als weitere Pflicht für Bundesbehörden in § 14a SchwbG (BGBl. I S. 1394) als einer Vorgängerregelung des § 165 SGB IX eingeführt. Der Passus „nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes“ ist erst in die ab dem geltende Regelung von § 82 Satz 1 SGB IX aF aufgenommen worden und bezog sich auf die Meldepflicht, nicht dagegen auf die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch (vgl. dazu ausführlich  - Rn. 33 ff., BAGE 171, 176).

32(c) Aus einer am Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Norm folgt, dass der öffentliche Arbeitgeber nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet ist, auch interne schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen schwerbehinderte Bewerber durch das in § 165 Satz 3 SGB IX genannte Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung (im weitesten Sinne) zu überzeugen. Über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus soll sich der Arbeitgeber ein Bild von der Persönlichkeit des Bewerbers, seinem Auftreten, seiner Leistungsfähigkeit und seiner Eignung machen. Weiter stellt das Vorstellungsgespräch auch ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen ( - Rn. 38, BAGE 171, 176; - 8 AZR 563/12 - Rn. 59). Dieser Gesetzeszweck gebietet eine weite Auslegung von § 165 Satz 3 SGB IX dahin, dass eine Verpflichtung zur Einladung schwerbehinderter Menschen nicht nur dann besteht, wenn diese sich als externe Bewerber um eine „Einstellung“ bewerben, sondern auch dann, wenn sie sich als interne Bewerber auf eine andere Stelle bei ihrem Arbeitgeber bewerben, wobei damit häufig ein „beruflicher Aufstieg“ verbunden ist. Vorbehalte oder gar Vorurteile der personalverantwortlichen Personen können nicht nur gegenüber externen Bewerbern, sondern auch gegenüber bereits beschäftigten schwerbehinderten Menschen bestehen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich bestehende Behinderungen bei Ausübung der angestrebten Tätigkeit anders auswirken als bei Ausübung der bisherigen Tätigkeit ( - Rn. 39, aaO).

33(d) Der Senat kann über die Auslegung von § 165 Satz 3 SGB IX entscheiden, ohne zuvor im Hinblick auf das - 2 A 13.10 - Rn. 19 ff.) den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG anzurufen. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung - die im Übrigen zu einer nicht inhaltsgleichen Vorgängervorschrift ergangen ist - nicht tragend darauf gestützt, dass die Pflicht öffentlicher Arbeitgeber zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht für interne schwerbehinderte Bewerber gelte (vgl.  - Rn. 51 ff., BAGE 171, 176).

34(3) Der Umstand, dass das beklagte Land die Klägerin entgegen der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, begründet im vorliegenden Fall nicht die Vermutung, dass die (Schwer)Behinderung der Klägerin ursächlich für deren Benachteiligung war. Die Klägerin hat ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen in den Bewerbungsverfahren nicht mitgeteilt. Die Klägerin konnte auch nicht davon ausgehen, im Bewerbungsverfahren sei ihre Gleichstellung bekannt, sodass es ausnahmsweise keines Hinweises auf die Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung bedurft habe.

35(a) Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen § 165 Satz 3 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung iSv. § 22 AGG nur begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war oder er diese kennen musste. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise bereits über diese Information verfügt. Andernfalls fehlt es an der Ursächlichkeit der (Schwer)Behinderung für die benachteiligende Maßnahme (ausführlich dazu  - Rn. 33 ff. mwN, BAGE 173, 288). Einer Mitteilung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung bedarf es nicht, wenn dem Arbeitgeber außerhalb des Bewerbungsverhältnisses die Schwerbehinderteneigenschaft positiv bekannt ist. Das kann bei einer Innenbewerbung der Fall sein (vgl.  - Rn. 32, BAGE 173, 93; - 8 AZR 759/13 - Rn. 42).

36(b) Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Bewerbungsverfahren auf Arbeitgeberseite die Gleichstellung der Klägerin bekannt war, sodass es ausnahmsweise keines Hinweises in den Bewerbungsunterlagen bedurfte. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um eine interne Bewerbung handelte und in der für Personal zuständigen Abteilung der zentralen Universitätsverwaltung die Gleichstellung der Klägerin bekannt war.

37(aa) In der vorliegenden Fallgestaltung spricht die Vielzahl der beim beklagten Land im Bereich der Universität beschäftigten Arbeitnehmer und die dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren dafür, dass eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung in den Bewerbungsunterlagen mitzuteilen ist. Die Bewerbungsverfahren für die ausgeschriebenen Stellen sind in der Naturwissenschaftlichen Fakultät II, Institut für Physik, und in der Naturwissenschaftlichen Fakultät III, Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, durchgeführt worden. Die das Bewerbungsverfahren durchführenden Fakultäten sind von der zentralen Personalabteilung organisatorisch getrennt. Während die Auswahl der Bewerber in den Instituten der verschiedenen Fakultäten durchgeführt wurde, ist die Personalabteilung zuständig für den anschließenden formalen Abschluss des Arbeitsvertrags mit den im Bewerbungsverfahren ausgewählten Bewerbern.

38(bb) Die dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren war für die Klägerin aufgrund der Stellenausschreibungen auch erkennbar. Danach sollte die Bewerbung unmittelbar an ein bestimmtes Institut in den unterschiedlichen Fakultäten gerichtet werden. Sämtliche in den Stellenausschreibungen angegebenen Kontaktdaten waren solche des jeweiligen Instituts, insbesondere des jeweiligen namentlich benannten Professors. Kontaktdaten der zentralen Personalabteilung enthielten die Stellenausschreibungen dagegen nicht.

39(cc) Aus den Stellenausschreibungen war auch ersichtlich, dass alle für die Auswahlentscheidung relevanten Informationen in den Bewerbungsunterlagen mitgeteilt werden sollten. Die Bewerbungen sollten ausweislich der Stellenausschreibungen ausdrücklich „mit den üblichen Unterlagen“ eingereicht werden. Die Stellenausschreibungen enthielten auch keinen Hinweis darauf, dass die bei der Universität geführten Personalakten im Bewerbungsverfahren eingesehen werden würden, etwa in der Form, dass eine Einwilligung in die Einsichtnahme erteilt werden möge. Entsprechend hat die Klägerin auch jeweils vollständige Bewerbungsunterlagen bestehend aus einem Anschreiben, einem ausführlichen Lebenslauf sowie dem Zeugnis einer Berufsfachschule eingereicht.

40(dd) Dagegen enthalten die Bewerbungsunterlagen gerade keinen Hinweis auf die Gleichstellung der Klägerin mit einem schwerbehinderten Menschen. Aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Bewerbungsverfahrens konnte und musste die Klägerin davon ausgehen, dass es ihr freistand, ob sie die bestehende Gleichstellung im Bewerbungsverfahren offenlegt. Grundsätzlich liegt es in der Entscheidung des Bewerbers, ob er seine Behinderung oder Schwerbehinderung vom Arbeitgeber bei der Behandlung der konkreten Bewerbung berücksichtigt haben will oder nicht. Eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung schon bei einer Bewerbung besteht grundsätzlich nicht, ebenso wenig wie ein grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers (vgl.  - Rn. 40 mwN). Nachdem die Klägerin - trotz des Hinweises in beiden Stellenausschreibungen, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt werden - auf ihre Gleichstellung nicht hingewiesen hat, ist davon auszugehen, dass sie von ihrem Recht Gebrauch machen wollte, die Gleichstellung im Bewerbungsverfahren nicht offenzulegen. Die die Bewerbungsverfahren durchführenden Fakultäten waren aus diesem Grund nicht gehalten, ohne Veranlassung und ausdrücklichem Einverständnis der Klägerin bei der zentralen Personalabteilung eine etwaige Schwerbehinderung oder Gleichstellung abzufragen.

41III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:250424.U.8AZR143.23.0

Fundstelle(n):
DB 2024 S. 2633 Nr. 43
DB 2024 S. 2633 Nr. 43
UAAAJ-69368