BFH Beschluss v. - VIII B 32/23

Auslegung von Feststellungserklärungen und zivilrechtlicher Vollmachten zur Bestimmung der Reichweite einer Empfangsvollmacht

Leitsatz

NV: Legt das Finanzgericht (FG) eine Feststellungserklärung, in der ein Empfangsbevollmächtigter bestimmt worden ist, und von den Feststellungsbeteiligten zuvor untereinander erteilte Vollmachten in der Weise aus, dass die Empfangsvollmacht auch einen vor Abgabe der Feststellungserklärung ausgeschiedenen Gesellschafter umfasst, gehören die vom FG getroffenen Feststellungen zum Umfang der Empfangsvollmacht zum Gesamtergebnis des Verfahrens. Stellt das FG in der rechtlichen Würdigung tragend auf diese Feststellungen ab, stützt es sich bei der Entscheidungsfindung nicht auf einen unterstellten Sachverhalt.

Gesetze: AO § 80; AO § 122 Abs. 1 Satz 3; AO § 183 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3; FGO § 76 Abs. 1 Satz 1; FGO § 96 Abs. 1 Satz 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Streitig ist im vorliegenden Verfahren, ob die angefochtenen Feststellungsbescheide für die Jahre 2007 bis 2009 (Streitjahre) mangels einer erforderlichen Einzelbekanntgabe aufzuheben sind und ob diese Feststellungsbescheide nichtig sind.

2 Der Kläger und Beschwerdeführer (im angefochtenen Urteil des Finanzgerichts —FG— der Kläger zu 1., hier der Kläger zu 2.) war in der Zeit vom bis zum zu 2 % an der Partnerschaftsgesellschaft „X“ (Beigeladene zu 1.) neben dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger zu 1.), der Partnerin T und dem Partner Q (Beigeladener zu 2.), beteiligt.

3 Der Kläger zu 1. gab am xx.xx.2010 seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück. Er schied damit kraft Gesetzes aus der Beigeladenen zu 1. aus. Bereits am xx.xx.2007 hatte der Kläger zu 1. die T in einer notariellen Generalvollmacht bevollmächtigt, ihn gerichtlich und außergerichtlich gegenüber Behörden und juristischen Personen zu vertreten. Zudem durfte T Untervollmachten erteilen.

4 Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) veranlagte die Beigeladene zu 1. mit Feststellungsbescheiden für 2007 vom , geändert durch Bescheid vom , für 2008 vom , geändert durch Bescheid vom , und für 2009 vom . Alle Feststellungsbescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).

5 In den Feststellungserklärungen der Beigeladenen zu 1. für die Streitjahre vom war von den an der Beigeladenen zu 1. zu diesem Zeitpunkt noch beteiligten Gesellschaftern die T als gemeinsame Empfangsbevollmächtigte bestellt worden.

6 Im Jahr 2012 begann das FA bei der Beigeladenen zu 1. mit einer Betriebsprüfung, die die Streitjahre umfasste. Während der laufenden Betriebsprüfung, am 15.05./, erteilte T dem Kläger zu 2. eine Vollmacht, die Beigeladene zu 1. im Zusammenhang mit der Betriebsprüfung zu vertreten. Die Vollmacht beinhaltete auch die Befugnis, Zustellungen zu bewirken und entgegenzunehmen. Die Betriebsprüfung wurde mit Betriebsprüfungsbericht vom abgeschlossen.

7 Am erließ das FA nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Feststellungsbescheide für die Streitjahre, in denen die Besteuerungsgrundlagen mit erheblichen Zuschätzungen festgestellt wurden. Die Bescheide waren an den Kläger zu 2. „als Empfangsbevollmächtigten“ für die Beigeladene zu 1. adressiert und trugen den Zusatz, dass die Bescheide mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehen.

8 Mit zwei Schreiben vom und vom teilte der Kläger zu 2. dem FA mit, dass die ihm von der T erteilte Vollmacht, die Beigeladene zu 1. als Empfangsbevollmächtigte zu vertreten, nur für die in der Beigeladenen zu 1. verbliebenen Gesellschafter (die T und den Beigeladenen zu 2.) gelte, nicht jedoch für die zuvor ausgeschiedenen Partner (die Kläger zu 1. und 2.). Er widersprach einer wirksamen Bekanntgabe des Feststellungsbescheids mit Wirkung ihm gegenüber und verlangte eine Einzelbekanntgabe der Feststellungsbescheide unter seiner Privatanschrift.

9 Diesen Antrag auf Einzelbekanntgabe lehnte das FA am ab. Die geänderten Feststellungsbescheide seien dem Kläger zu 2. ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Er sei als Verfahrensbevollmächtigter der Empfangsbevollmächtigten T gemäß § 80 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO bestellt worden. Bei Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten des Empfangsbevollmächtigten genüge es für eine wirksame Bekanntgabe mit Wirkung gegenüber allen Feststellungsbeteiligten, dem Verfahrensbevollmächtigten eine Ausfertigung des Bescheids zu übermitteln. Zudem habe er die Feststellungsbescheide jedenfalls tatsächlich erhalten. Das FA wies den anschließend erhobenen Einspruch des Klägers zu 2. ab. Im Verfahren 13 K 3706/15 F beim FG beantragte der Kläger zu 2., das FA zu verurteilen, ihm die Feststellungsbescheide für die Beigeladene zu 1. für die Streitjahre vom nach § 183 Abs. 2 AO einzeln bekannt zu geben; hilfsweise das Schreiben vom in einen Einspruch gegen die Feststellungsbescheide umzudeuten. Das FG wies diese Klage mit Urteil vom  - 13 K 3706/15 F als unzulässig ab, da es sich im Hauptantrag um eine Leistungsklage handele, für die der Kläger zu 2. kein Rechtsschutzbedürfnis habe. Die mit dem Hilfsantrag begehrte Umdeutung des Schreibens in einen Einspruch gegen die Feststellungsbescheide legte das FG als Feststellungsklage aus, die ebenfalls unzulässig sei. Der Senat wies die anschließend erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zu 2. im Verfahren VIII B 61/17 als unbegründet zurück.

10 Der Kläger zu 2. erhob anschließend Einspruch gegen die Feststellungsbescheide für die Streitjahre. Das FA verwarf diesen Einspruch als unzulässig, da ihm die Feststellungsbescheide vom wirksam bekannt gegeben worden seien und der Einspruch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist erhoben worden sei. In dem sich anschließenden Klageverfahren beantragte der Kläger zu 2., die Feststellungsbescheide für die Streitjahre aufzuheben und hilfsweise, deren Nichtigkeit festzustellen. Diese Klage wies das als unbegründet ab. Der Kläger zu 2. habe die Feststellungsbescheide in seiner Funktion als Verfahrensbevollmächtigter der T tatsächlich erhalten, sodass jedenfalls mit der Kenntnisnahme eine Bekanntgabe auch ihm gegenüber eingetreten sei. Der Senat hat mit Beschluss vom  - VIII B 2/19 die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zu 2. als unbegründet zurückgewiesen, soweit diese das Begehren betraf, die Feststellungsbescheide der Streitjahre aufzuheben. Er hat das Urteil des FG jedoch hinsichtlich der begehrten Feststellung der Nichtigkeit aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen, da das FG den Kläger zu 1. als ausgeschiedenen Gesellschafter zu diesem Verfahren gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) notwendig hätte beiladen müssen.

11 Am erhob der Kläger zu 1. Einspruch gegen die Feststellungsbescheide, die ihm als im Jahr 2010 ausgeschiedenem Gesellschafter nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden seien. Die Bekanntgabe der Bescheide an den Kläger zu 2. wirke ihm gegenüber nicht, da dieser nicht sein Verfahrensbevollmächtigter gewesen sei, zudem habe er auch nicht die T zur Empfangsbevollmächtigten für sich bestellt, da er schon vor der Erstellung der Feststellungserklärungen aus der Beigeladenen zu 1. ausgeschieden sei. Es sei mangels einer Einzelbekanntgabe der Bescheide gegenüber ihm keine Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt worden und auch nicht abgelaufen. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Eine Pflicht zur Einzelbekanntgabe an den Kläger zu 1. habe nicht bestanden, da dem FA bei Erlass der Feststellungsbescheide der Streitjahre nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger zu 1. aus der Beigeladenen zu 1. ausgeschieden war. Der Kläger zu 1. erhob Klage, die beim FG zunächst unter dem Aktenzeichen 13 K 459/19 F geführt wurde. Er begehrte vor dem FG die Aufhebung der Feststellungsbescheide für die Streitjahre, hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit der Feststellungsbescheide.

12 Am wurde der Austritt des Beigeladenen zu 2. aus der Beigeladenen zu 1. in das Partnerschaftsregister eingetragen.

13 Das FG hat für den zweiten Rechtsgang die Klage des Klägers zu 2. auf Feststellung der Nichtigkeit der Feststellungsbescheide der Streitjahre unter dem Aktenzeichen 13 K 3433/19 F aufgenommen. Durch Beschluss vom hat das FG die Klagen des Klägers zu 1. und des Klägers zu 2. zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen 13 K 3433/19 F fortgeführt. Durch Urteil vom  - 13 K 3433/19 F hat es die Klage hinsichtlich der begehrten Aufhebung der Bescheide und Feststellung der Nichtigkeit der Feststellungsbescheide abgewiesen.

14 Gegen die Entscheidung des FG haben der Kläger zu 1. und der Kläger zu 2. jeweils Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die beim Senat unter dem gemeinsamen Aktenzeichen VIII B 32/23 geführt werden.

15 Der Kläger zu 1. und der Kläger zu 2. machen in getrennten Begründungen Zulassungsgründe geltend. Sie beantragen jeweils,

die Revision gegen das zuzulassen.

16 Das FA beantragt,

die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

II.

17 1. Die Beschwerden des Klägers zu 1. und des Klägers zu 2. werden gemäß § 121 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Verbindung ist sach- und ermessensgerecht, da sich beide Beschwerden gegen dasselbe FG-Urteil richten und zumindest hinsichtlich der begehrten Nichtigkeitsfeststellung der Feststellungsbescheide für die Streitjahre auch über die Zulassung der Revision für denselben Streitgegenstand zu entscheiden ist.

18 2. Die Revision ist nicht zuzulassen, soweit sich der Kläger zu 1. gegen die Abweisung seiner Klage auf Aufhebung der Feststellungsbescheide für die Streitjahre vom durch das FG wendet.

19 a) Der gerügte Verfahrensmangel, das FG habe entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO das Gesamtergebnis des Verfahrens seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt, ist nicht gegeben.

20 aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gesamtergebnis des Verfahrens umfasst den gesamten durch das Klagebegehren begrenzten und durch die Sachaufklärung des Gerichts und die Mitverantwortung der Beteiligten konkretisierten Prozessstoff (, BFH/NV 2021, 641, Rz 3). Das Gesamtergebnis des Verfahrens wird insbesondere durch die Schriftsätze der Beteiligten, ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sowie in einem etwaigen Erörterungstermin, ihr Verhalten, die den Streitfall betreffenden Steuerakten, beigezogene Akten eines anderen Verfahrens, vom Gericht eingeholte Auskünfte, Urkunden und die aufgrund einer gegebenenfalls durchgeführten Beweisaufnahme gewonnenen Beweisergebnisse konkretisiert. Auch offenkundige und gerichtsbekannte Tatsachen sind zu berücksichtigen (BFH-Beschlüsse vom  - X B 156/19, BFH/NV 2020, 1077, Rz 10; vom  - VIII B 135/21, BFH/NV 2022, 1301, Rz 4; vom  - VIII B 99/22, BFH/NV 2024, 32, Rz 11).

21 bb) Für eine einwandfreie Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens darf das Gericht weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden noch seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen. Ebenso wenig darf das Gericht Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung ankommt, ungeprüft behaupten. Es darf auch nicht von einem entscheidungserheblichen Sachverhalt ausgehen, der in den Akten keine Stütze findet oder der nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird (BFH-Beschlüsse vom  - X B 156/19, BFH/NV 2020, 1077, Rz 11; vom  - VIII B 135/21, BFH/NV 2022, 1301, Rz 5; vom  - VIII B 99/22, BFH/NV 2024, 32, Rz 12).

22 cc) Das FG hat den Streitfall nicht auf der Grundlage eines von ihm unterstellten Sachverhalts entschieden, auch wenn es den Sachverhalt des Streitfalls durch die Vernehmung verschiedener in der Beschwerdebegründung benannter Zeugen zuvor nicht weiter aufgeklärt hat.

23 aaa) Das FG hat sich maßgeblich darauf gestützt, dass im Rahmen der Feststellungserklärungen der T im Jahr 2011 gegenüber dem FA eine Empfangsvollmacht (§ 183 Abs. 1 Satz 1 AO) auch für den Kläger zu 1. erteilt wurde. T habe sich als vertretungsberechtigte Gesellschafterin der Beigeladenen zu 1. im Rahmen der Feststellungserklärungen zur Empfangsbevollmächtigten der Feststellungsbeteiligten der Beigeladenen zu 1. für die Streitjahre bestellt. Aufgrund der Generalvollmacht habe die T sich als Vertreterin des Klägers zu 1., der ebenfalls Feststellungsbeteiligter gewesen sei, in den Feststellungserklärungen gegenüber dem FA auch für diesen zur Empfangsbevollmächtigten für die Feststellungsbescheide der Streitjahre erklärt. Im Jahr 2014 habe die T in ihrer Rolle als Empfangsbevollmächtigte der Gesellschafter der Beigeladenen zu 1. einschließlich des Klägers zu 1. den Kläger zu 2. zu ihrem Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 80 AO bestellt. Mit der Bekanntgabe der Feststellungsbescheide an den Kläger zu 2. als Verfahrensbevollmächtigten seien diese mit Wirkung für T als Empfangsbevollmächtigte der Gesellschafter der Beigeladenen zu 1. bekannt gegeben worden und hätten somit Wirkung für und gegen die Feststellungsbeteiligten entfaltet, für die T die Empfangsbevollmächtigte sei. Die mittelbare Bekanntgabe an die T als Empfangsbevollmächtigte sei auch für den ausgeschiedenen Kläger zu 1. wirksam gewesen.

24 bbb) Das FG hat mit dieser Beurteilung bei seiner Entscheidung keine Umstände herangezogen, die nicht zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehörten. Die Auslegung des Inhalts der Feststellungserklärungen zur Bestellung der T zur Empfangsbevollmächtigten der im Jahr 2011 vorhandenen Gesellschafter der Beigeladenen zu 1. im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 AO und zum Umfang dieser Empfangsvollmacht im Außenverhältnis auch für den vor Abgabe der Feststellungserklärungen aus der Beigeladenen zu 1. ausgeschiedenen Kläger zu 1. wegen der von diesem an T erteilten Generalvollmacht betrifft dem materiellen Recht zuzurechnende Fragen der Auslegung zivilrechtlicher und verfahrensrechtlicher Willenserklärungen, die der BFH als Revisionsgericht nur im Hinblick auf die Einhaltung der Auslegungsregeln gemäß §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs überprüfen kann (vgl. , BFHE 216, 399, BStBl II 2007, 369, unter II.3.a und b [Rz 26, 27]). Insoweit hat das FG rechtliche Schlussfolgerungen getroffen und Tatsachen festgestellt, jedoch keine nicht vorhandenen Tatsachen für seine Entscheidungsfindung herangezogen. Die Fragen, ob die erteilte Generalvollmacht die T berechtigte, sich im Wege einer In-sich-Bestellung durch die Abgabe der Feststellungserklärungen auch für den zuvor aus der Beigeladenen zu 1. ausgeschiedenen Kläger zu 1. zur Empfangsbevollmächtigten gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 AO zu bestellen und ob die T den Kläger zu 2. umfassend als Verfahrensbevollmächtigten für diese verfahrensrechtliche Stellung als Empfangsbevollmächtigten eingesetzt hat, betreffen ebenfalls nur eine materiell-rechtliche Würdigung des FG und sind keine vom FG ohne hinreichende Sachverhaltsaufklärung bei der Entscheidung des Streitfalls unterstellten Tatsachen, die außerhalb des konkretisierten Gesamtergebnisses des Verfahrens liegen. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt danach nicht vor, da das FG für die Entscheidungsfindung Tatsachen heranzieht, die es aus der Auslegung zivilrechtlicher und verfahrensrechtlicher Willenserklärungen und der Beurteilung von Rechtsfragen gewonnen hat und die zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehören.

25 ccc) Nimmt man mit dem FG an, dass T auch für den Kläger zu 1. bestellte Empfangsbevollmächtigte gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 AO war und der Kläger zu 2. der Verfahrensbevollmächtigte der T gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 80 AO war, bedurfte es keiner Einzelbekanntgabe der Feststellungsbescheide der Streitjahre an den Kläger zu 1. Die dem Kläger zu 2. als Verfahrensbevollmächtigten der Empfangsbevollmächtigten T bekannt gegebenen Feststellungsbescheide der Streitjahre waren daher an T und damit an den Kläger zu 1. wirksam bekannt gegeben worden. Nach § 183 Abs. 3 Satz 1 AO können Feststellungsbescheide dem Empfangsbevollmächtigten auch mit Wirkung für einen ausgeschiedenen Gesellschafter bekannt gegeben werden, soweit und solange dieser Gesellschafter der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten nicht widersprochen hat. Dies gilt unabhängig davon, ob die Finanzbehörde in diesem Zeitpunkt Kenntnis von dessen Ausscheiden hat (vgl. , BFH/NV 2000, 1074, unter II.2.c [Rz 23] mit Verweis auf , BFHE 177, 22, BStBl II 1995, 357, unter 1. [Rz 11]).

26 b) Soweit der Kläger sich in der Beschwerdebegründung darauf stützt, das FG habe seine Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, indem es die Zeugen A und B nicht zur Frage der Kenntnis des FA vom Ausscheiden des Klägers zu 1. aus der Beigeladenen zu 1. vor der Bekanntgabe der geänderten Feststellungsbescheide für die Streitjahre befragt habe, liegt ebenfalls kein Verfahrensmangel vor.

27 aa) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben. Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn das FG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht und das angegriffene Urteil ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auf der unterbliebenen Zeugenvernehmung beruhen kann (BFH-Beschlüsse vom  - X B 64/17, BFH/NV 2018, 538, Rz 10, 11; vom  - VIII B 82/21, BFH/NV 2022, 1295, Rz 3; vom  - VIII B 121/20, BFH/NV 2021, 1329, Rz 17). Die Beweiserhebung kann unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom  - X B 242/10, BFH/NV 2011, 1715, m.w.N.; vom  - X B 64/17, BFH/NV 2018, 538, Rz 11; vom  - VIII B 121/20, BFH/NV 2021, 1329, Rz 17).

28 bb) Nach diesen Vorgaben musste das FG die in der Beschwerdebegründung angeführten Zeugen A und B nicht vernehmen. Die Beweiserhebung war für das FG unerheblich. Denn nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG hatte sich die T mit Unterschrift der Feststellungserklärungen für die Streitjahre Ende 2011 gegenüber dem FA auch für den (im Jahr 2010 ausgeschiedenen) Kläger zu 1. zur Empfangsbevollmächtigten erklärt, weil der Kläger zu 1. die T schon im Jahr 2007 mit der erteilten Generalvollmacht zur Entgegennahme von ihm gegenüber zu erlassenden Bescheiden bevollmächtigt hatte. Zudem lag in der Bekanntgabe an den Kläger zu 2. als Verfahrensbevollmächtigten aus Sicht des FG eine wirksame Bekanntgabe an die T als Empfangsbevollmächtigte, die gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 AO auch Feststellungsbescheide mit Wirkung für den ausgeschiedenen Kläger zu 1. habe entgegen nehmen können (unter II.2.a cc ccc). Ausgehend von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG war eine Vernehmung der Zeugen A und B zu einer etwaigen Kenntnis des FA vom Ausscheiden des Klägers zu 1. aus der Beigeladenen zu 1. vor der Bekanntgabe der geänderten Feststellungsbescheide für die Streitjahre nicht entscheidungserheblich.

29 3. Soweit die Kläger zu 1. und 2. mit übereinstimmenden Begründungen die Zulassung der Revision hinsichtlich der vom FG abgewiesenen Nichtigkeitsfeststellungsklage begehren, haben die Beschwerden ebenfalls keinen Erfolg.

30 Aufgrund der gerügten unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung zu den in der Beschwerdebegründung benannten Sachverhalten ist die Revision nicht zuzulassen und die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Denn die geltend gemachten Verstöße einer unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung waren nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG für die Entscheidung nicht erheblich.

31 a) Das FG hat sich in materiell-rechtlicher Hinsicht auf den Standpunkt gestellt, dass die Feststellungsbescheide der Streitjahre bestandskräftig geworden waren und eine inhaltliche Überprüfung, ob eine Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO des FA bestand und ob das FA die streitigen Sachverhalte innerhalb der Schätzung zutreffend behandelt hat, bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen ausgeschlossen war. Es hat in der Vorentscheidung im Rahmen der Nichtigkeitsfeststellungsklage nur geprüft, ob die Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen in den Streitjahren objektiv wegen des Überschreitens des Schätzungsrahmens und subjektiv als Willkürmaßnahmen des FA nichtig sein könnten (s. S. 13 und 14 der Vorentscheidung, m.w.N.). Insoweit hat das FG sich nicht damit auseinandergesetzt, ob eine Schätzungsbefugnis bestand und zu den von den Klägern zu 1. und 2. benannten Sachverhalten im Rahmen der Schätzung der Höhe nach jeweils nur untersucht, ob die Beurteilung und Begründung des FA auf eine willkürliche Schätzung des FA schließen ließ, weil der objektive Schätzungsrahmen überschritten worden sei oder Anhaltspunkte für eine bewusste Schätzung zum Nachteil der Kläger zu 1. und 2. bestünden. Solche Anhaltspunkte hat das FG jeweils verneint.

32 b) Eine inhaltliche Aufklärung und Überprüfung der der Schätzung zugrunde liegenden Sachverhalte von Amts wegen war für das FG angesichts der durch die Bestandskraft der Feststellungsbescheide der Streitjahre gezogenen Grenzen einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Bescheide nicht relevant. Auch der Prüfungsmaßstab des FG im Rahmen der Nichtigkeitsfeststellungsklage, ob eine Willkürschätzung vorliegt, gebot keine weitergehende Sachverhaltsaufklärung in dieser Richtung. Verfahrensmängel des FG aufgrund der gerügten unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung sind danach nicht gegeben.

33 c) Die Kläger zu 1. und 2. rügen mit ihrem Vorbringen zudem im Wesentlichen keine Sachaufklärungsverstöße des FG, sondern machen im Stile einer Revisionsbegründung geltend, dass das FG die Annahme einer Schätzungsbefugnis des FA und die Schätzung der Erlöse und Einkünfte in den Streitjahren durch das FA auch der Höhe nach zu Unrecht nicht beanstandet habe. Mit dem Vorbringen, das FG habe bei seiner rechtlichen Würdigung unzutreffende Sachverhalte und rechtliche Beurteilungen zugrunde gelegt, kann die Zulassung der Revision jedoch nicht erreicht werden, da es sich insoweit um die Geltendmachung von materiellen Rechtsfehlern des FG bei der Sachverhaltsfeststellung und der rechtlichen Würdigung des Streitfalls handelt.

34 4. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer weiteren Begründung ab.

35 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. für das Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig (§ 139 Abs. 4 FGO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.040624.VIIIB32.23.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 1494 Nr. 26
BB 2024 S. 1950 Nr. 35
BFH/NV 2024 S. 908 Nr. 8
OAAAJ-69289