BGH Beschluss v. - 5 StR 92/24

Instanzenzug: Az: 625 KLs 2/23

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte von sämtlichen 19 Tatvorwürfen (im Wesentlichen Beleidigungen, Körperverletzungen, tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte) freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es hat deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass dieser bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ-RR 2023, 150, 151 mwN).

4b) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Anordnung der Maßregel rechtsfehlerhaft, weil die Urteilsgründe zur Gefährlichkeitsprognose und zur Aussetzungsentscheidung einen unaufgelösten Widerspruch aufweisen.

5aa) Das sachverständig beratene Landgericht hat auf Grundlage der Diagnose einer schweren emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie einer Gesamtwürdigung der Angeklagten und ihrer Taten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür angenommen, dass die Angeklagte infolge ihres Zustandes weitere Straftaten begehen wird. Eine Änderung sei nicht zu erwarten, weil es ihr an der Krankheits- und Behandlungseinsicht fehle. Dies komme dadurch zum Ausdruck, dass die Angeklagte sich nicht für psychisch krank halte und während der einstweiligen Unterbringung die ärztlich verordneten Medikamente nur widerwillig eingenommen habe; ohne Medikation werde es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weiteren erheblichen Straftaten kommen. Die Anordnung der Maßregel sei verhältnismäßig, da es der Angeklagten an der Bereitschaft fehle, sich freiwillig in dem strukturierten Behandlungsrahmen zu bewegen, der geeignet und erforderlich sei, um einer Gefährdung der Allgemeinheit begegnen zu können. Es sei daher ein verbindlicher Rahmen erforderlich, wie ihn die Unterbringung biete, weil die Angeklagte nicht motiviert sei, an der Behandlung mitzuwirken und Medikamente einzunehmen. Dies könne mit der gebotenen Zuverlässigkeit nur durch den Maßregelvollzug in einer geschlossenen Einrichtung gewährleistet werden.

6bb) Die Aussetzungsentscheidung stützt das Landgericht auf die Annahme des Vorliegens besonderer Umstände im Sinne von § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB. Danach habe sich die Angeklagte infolge der Medikation stabilisiert und die Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer Straftaten sei bei gesicherter Einnahme der Medikamente gering, welche durch die strikte und zeitlich eng getaktete Anbindung an die forensische Ambulanz gewährleistet sei.

7Dem Landgericht gerät dabei aus dem Blick, dass die Angeklagte weder krankheits- noch behandlungseinsichtig ist. So entsteht ein Widerspruch zu der die Anordnung der Maßregel begründenden Annahme, die Medikation könne mit der gebotenen Zuverlässigkeit nur im verbindlichen Rahmen einer Unterbringung in der Maßregeleinrichtung gewährleistet werden. Dieser wird auch im Rahmen der Prüfung der Aussetzung der Maßregel nicht aufgelöst, denn dazu hätte es einer näheren Auseinandersetzung damit bedurft, aus welchen Gründen die Angeklagte gleichwohl die ambulante Behandlung in Anspruch nehmen werde.

82. Der Senat hebt das angefochtene Urteil mit Ausnahme der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen in den Fällen II.1.3 bis II.1.17 der Urteilsgründe auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Zudem wird es in den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe näher in den Blick nehmen können, ob die diesen Vorwürfen zugrundeliegenden Verfahren infolge des Verbindungsbeschlusses des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom und des Eröffnungsbeschlusses vom (848 Ds 121/19, FA 11 Bl. 18 und 24) noch beim Amtsgericht anhängig sind.

93. Über den Freispruch der Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit und ihre Unterbringung muss somit – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) – neu entschieden werden. Das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ermöglicht es, in einer neuen Hauptverhandlung anstelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Daraus folgt, dass hier auf die Revision der Angeklagten ein mit der Maßregelanordnung ergangenes freisprechendes Erkenntnis ebenfalls aufgehoben werden kann (vgl. , juris Rn. 17; Beschlüsse vom – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1, Rn. 9; vom – 3 StR 337/19, NStZ-RR 2020, 8, 9).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070524B5STR92.24.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-69110