Instanzenzug: OLG Dresden Az: 18a U 2428/21vorgehend Az: 8 O 3025/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
2Der Kläger schloss am bei einer Niederlassung der Beklagten einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug BMW 520d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Nach Beendigung des Leasingvertrags kaufte der Kläger das Kraftfahrzeug.
3Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er bis auf den die Zahlung von Deliktszinsen betreffenden Antrag sein Begehren aus dem ersten Rechtszug im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision im Hinblick auf die Frage nach der Haftung für eine unzulässige Abschalteinrichtung, für deren Verwendung die Voraussetzungen des § 826 BGB nicht festgestellt werden können, zugelassen. Mit dem Rechtsmittel verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB.
7Bereits die schlüssige Darlegung des von der Beklagten verlangten Schadens sei fraglich. Denn der Kläger gehe bei der Berechnung der Höhe des zu ersetzenden Schadens von der Laufleistung des Kraftfahrzeugs seit Abschluss des Leasingvertrags aus. Dabei berücksichtige er nicht, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Wert der erlangten Nutzungen während der Laufzeit des Leasingvertrags den Leasingraten entspreche und ein Schaden deshalb erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags eingetreten sein könne. Vortrag zur Laufleistung beim Abschluss des Kaufvertrags und zum Kaufpreis fehle indes. Der insoweit beantragte Schriftsatznachlass habe nicht gewährt werden müssen. Ebenso könne offenbleiben, ob die zitierten Grundsätze auch für den Fall eines Finanzierungsleasings gälten und ob hier ein Fall des Finanzierungsleasings vorliege. Denn das Rechtsmittel sei aus anderen Gründen unbegründet.
8Hinsichtlich des implementierten Thermofensters könne offenbleiben, ob es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Denn eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB wegen der Verwendung eines Thermofensters komme nur dann in Betracht, wenn die für die Beklagten Verantwortlichen dabei in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Anhaltspunkte hierfür habe der Kläger aber nicht ausreichend dargetan. So habe der Kläger nicht bestritten, dass Thermofenster in einer Vielzahl von Fahrzeugen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) unbeanstandet zum Einsatz kämen. Das decke sich mit dem Inhalt des Berichts der Untersuchungskommission "Volkswagen". Auch lasse sich aus dem Unterbleiben der Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA nicht schließen, dass hier Umstände hätten verschleiert werden sollen. Denn das KBA wäre nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gehalten gewesen, die zur Prüfung erforderlichen Umstände zu erfragen. Soweit der Kläger drehzahl- und lastabhängige Abschalteinrichtungen behauptet habe, sei das "ins Blaue hinein" geschehen. So komme der angeführten Äußerung eines früheren Vorstandsmitglieds zu einer Vorrichtung "14/15V" keine Bedeutung zu, weil sich der Äußerung weder die Art der Abschalteinrichtung noch die betroffenen Motoren entnehmen ließen. In Bezug auf das behauptete Kaltstartheizen und die diesbezüglichen Ermittlungen eines Sachverständigen sei zunächst festzuhalten, dass das Fahrzeug des Klägers nicht über einen NOx-Katalysator verfüge, auf den sich die Funktion beziehen solle. Im Übrigen habe der Kläger eine von der Wirkung im Prüfstandsbetrieb abweichende Funktion des Kaltstartheizens im gewöhnlichen Fahrbetrieb nicht dargetan. Schließlich betreffe das Diagnosesystem nicht die Emissionskontrolle, sondern eine Manipulation dieses Systems und könne nur die Entdeckung unzulässiger Abschalteinrichtungen verhindern.
9Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil das Interesse des Fahrzeugkäufers, nicht zur Eingehung eines ungewollten Vertrags veranlasst zu werden, nicht im Regelungsbereich der genannten Bestimmungen liege.
II.
10Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
111. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die diesbezüglichen Einwände der Revision greifen nicht durch.
12a) Soweit die Revision die Auffassung vertritt, das Berufungsgericht habe übersehen, dass der Beklagten die Unzulässigkeit eines Thermofensters von vornherein habe klar sein müssen, kann das dem Rechtsmittel schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Schadensersatzhaftung nach §§ 826, 31 BGB - wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat - das Bewusstsein der Verantwortlichen der Beklagten von der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung und die billigende Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes voraussetzt (vgl. , NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28; Beschluss vom - VII ZR 223/20, juris Rn. 12). Bloßes Kennenmüssen genügt im Rahmen des § 826 BGB nicht.
13b) Im Übrigen hat der Senat die gerügten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
142. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
15Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
II.
16Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere vermögen die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen zu einem möglichen Schaden des Klägers und seinen diesbezüglichen Darlegungen die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen. Richtig ist zwar, dass ein ersatzfähiger Schaden nicht in Höhe gezahlter Leasingraten bestehen kann, weil der im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigende Wert der gezogenen Nutzungen den Leasingraten entspricht (vgl. , NJW 2022, 321 Rn. 40 ff.). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es deshalb auf den Abschluss des Kaufvertrags, den hiernach gezahlten Kaufpreis und die Laufleistung des Pkw nach dem Kauf an. Jedoch hatte der Kläger in diesem Zusammenhang nach einem anlässlich der mündlichen Verhandlung seitens des Berufungsgerichts erteilten Hinweis gemäß § 139 Abs. 5 ZPO einen Schriftsatznachlass beantragt, den das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht gewährt hat. Dementsprechend ist dem Kläger nunmehr insofern Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens zu geben und kann sein Rechtsmittel nicht ohne Rücksicht hierauf zurückgewiesen werden. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
17Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070524UVIAZR1377.22.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-68760