Gesetze: § 244 Abs 3 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 44 KLs 2/23
Gründe
1Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtszug wegen schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei unter Freispruch im Übrigen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen und die weiter gehende Revision als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, wovon es zwei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen für vollstreckt erklärt hat. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf über die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hinaus nur das Folgende:
2Die Rüge, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 3 und Abs. 2 StPO verstoßen, indem es einen auf Einholung des Gutachtens eines psychiatrischen Sachverständigen über die Schuldfähigkeit des Angeklagten gerichteten Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 StPO abgelehnt und ein solches Gutachten nicht eingeholt habe, ist unbegründet.
31. Ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil kein Beweisantrag im Sinne der Vorschrift (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO) vorlag.
4a) Ein solcher erfordert die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dies setzt voraus, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht ausreichend ist die Benennung eines Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll. Ob der Antragsteller eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung aufstellt, ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere für einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens; denn insoweit ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen (vgl. zum Ganzen Rn. 13 mwN).
5b) Hieran gemessen stellten weder der (ohnehin prozessual überholte) Antrag des Verteidigers vom noch der um Behauptungen zum Konsumverhalten des Angeklagten ergänzte weitere Antrag vom einen Beweisantrag dar. Beide enthalten keine bestimmte Behauptung betreffend die tatsächlichen Voraussetzungen der – insoweit entgegen der Teilrechtskraft des im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnisses – geltend gemachten Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten. Das in beiden Anträgen gleichlautende Vorbringen, der Angeklagte sei „zum Tatzeitpunkt aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung infolge Medikamenten- und Drogenkonsums nicht in der Lage“ gewesen, „das Unrecht seines Handelns einzusehen“, oder es sei „jedenfalls die Fähigkeit des Angeklagten das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“, erheblich vermindert gewesen, bezeichnet – unter Verwendung der einschlägigen Rechtsbegriffe (§§ 20, 21 StGB) – lediglich das Beweisziel des Antragstellers (vgl. zur Abgrenzung bei beantragtem Sachverständigenbeweis Rn. 4 ff.; Urteil vom – 3 StR 516/14; Trüg/Habetha in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 244 Rn. 110; Schneider, NStZ 2023, 65, 67 ff.).
6Auch die in der Begründung des zweiten Beweisersuchens vom mitgeteilten Umstände betreffend den Drogen- und Arzneimittelkonsum und dessen Auswirkungen im „hier gegenständlichen Tatzeitraum“ verfehlen den gebotenen Konkretisierungsgrad. Bestimmte Anknüpfungstatsachen, aufgrund deren ein Sachverständiger eine Bewertung der mit dem Antrag behaupteten Intoxikationsfolgen vornehmen könnte, sind den Begründungsausführungen nicht zu entnehmen. Diese erschöpfen sich vielmehr in der Wiedergabe der ihrerseits wertenden, in tatsächlicher Hinsicht substanzarmen Angaben des Angeklagten zu seinem Konsum von Kokain und Benzodiazepin zwischen dem 27. Juli und dem , wonach er „fast täglich 1-2 g Kokain“ konsumiert habe, und zwar „regelmäßig“ nachmittags und sich über die gesamte Nacht bis zum nächsten Morgen hinziehend, was zu starker innerer Unruhe, Gereiztheit und aggressivem Verhalten geführt und teilweise Panikattacken ausgelöst habe; in den frühen Morgenstunden habe er dann täglich 1 mg des Medikaments Tavor auf ärztliche Anordnung eingenommen, sich hierdurch „meist müde, verwirrt und benebelt“ gefühlt und „im Endeffekt (…) fast durchgehend unter dem Einfluss berauschender Mittel“ gestanden. Eine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage für die behauptete „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ und deren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bieten diese Angaben namentlich deshalb nicht, weil das dem – rechtskräftigen – Schuldspruch zugrundeliegende Verhalten des Angeklagten sich nach den Urteilsfeststellungen aus mehreren Handlungen innerhalb des mehrwöchigen Tatzeitraums zusammensetzte und eine relevante Intoxikation gerade zu den fraglichen Zeitpunkten dem Vorbringen nicht entnommen werden kann.
72. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig, denn auch die Revisionsbegründung behauptet keine bestimmte Beweistatsache. Das Landgericht musste sich zu der mit dem Beweisersuchen angeregten Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der verminderten Schuldfähigkeit überdies nicht gedrängt sehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Zeugenbeweisersuchen zum Konsumverhalten des Angeklagten (Zeuginnen N. und E. ), denen das Landgericht nicht entsprochen hat und bei denen es sich mangels bestimmter Beweisbehauptung und Konnexität zwischen dieser und den Beweismitteln (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO) ebenfalls nur um Beweisanregungen handelte.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:270324B4STR433.23.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-68691