BGH Beschluss v. - 4 StR 5/24

Instanzenzug: Az: 3 KLs 8/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Urkundenfälschung, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat zudem gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

I.

3Der Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im Fall I.2. Tat 3 der Urteilsgründe liegen folgende Feststellungen zugrunde:

4Der Angeklagte baute mit Hilfe einer professionellen Aufzuchtanlage im Keller des von ihm mitbewohnten Mehrfamilienhauses insgesamt 22 Cannabispflanzen an. Der Ertrag der Pflanzen sollte – nach deren Aberntung – ausschließlich dem gewinnbringenden Weiterverkauf dienen. Im erntereifen Zustand hätten die 22 Pflanzen zusammen einen Ertrag an konsumfähigem Cannabismaterial von 550 g mit einer Wirkstoffmenge von 27,5 g THC erbracht.

II.

5Die auf die Revision des Angeklagten veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zu der durch das Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I 2024, Nr. 109 – Cannabisgesetz) erforderlich gewordenen Neufassung des Schuldspruchs in diesem Fall und zur teilweisen Aufhebung des Strafausspruchs.

61. Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO die durch das Cannabisgesetz eingeführten und für den Angeklagten günstigeren Straftatbestände des § 34 KCanG zugrunde zu legen (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 1 StR 106/24 Rn. 4).

7Danach hat sich der Angeklagte im Fall I.2. Tat 3 der Urteilsgründe auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wegen Handeltreibens mit Cannabis gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG schuldig gemacht. Da sich die Bezeichnung der strafbar bleibenden Handlungsformen im KCanG an den Begrifflichkeiten des BtMG orientiert (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130), ist für die Auslegung des Begriffs des Handeltreibens in § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG die zu dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ergangene Rechtsprechung entsprechend heranzuziehen. Danach ist als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG jede eigennützige auf dessen Umsatz gerichtete Tätigkeit anzusehen (vgl. dazu nur , BGHSt 50, 252, 256; weitere Nachweise bei Oğlakcıoğlu in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 213 mwN in Fn. 438), sodass auch der Anbau von Cannabis zum Zweck des späteren gewinnbringenden Weiterverkaufs als Handeltreiben mit Cannabis zu bezeichnen ist (vgl. dazu nur − 6 StR 239/22, NStZ 2023, 681 Rn. 9 mwN). Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO ab (vgl. Rn. 5 f.). § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der – den Anbau der Cannabispflanzen einräumende – Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

82. Die Einzelstrafe von neun Monaten, die das Landgericht in diesem Fall ausgehend von seiner rechtlichen Würdigung der Tat als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verhängt hat, kann nicht bestehen bleiben, weil der Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG deutlich niedrigere Mindest- und Höchststrafen vorsieht, als der vom Landgericht zugrunde gelegte Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 1 KCanG auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte (§ 337 StPO), auch wenn bei Vorliegen eines besonders schweren Falls die Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG naheliegend erscheint.

93. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei der gebotenen Prüfung, ob die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG gegeben sind, das Folgende zugrunde zu legen haben:

10a) Der Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne der Vorschrift liegt bei 7,5 g THC. Der Senat sieht weder Anlass noch Möglichkeit, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend festzusetzen (so bereits Rn. 11 ff.; Beschluss vom – 1 StR 106/24; HansOLG Hamburg, Beschluss vom – 5 Ws 19/24).

11aa) Der Gesetzgeber hat – nicht anders als im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes – die Bestimmung des konkreten Wertes einer nicht geringen Menge der Rechtsprechung überlassen. Soweit er hierzu ausgeführt hat, dass dieser Wert „abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis (…) aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ sei, „im Lichte der legalisierten Mengen“ an der bisherigen Definition „nicht mehr fest(ge)halten“ werden könne und der Grenzwert „deutlich höher“ angesetzt werden müsse (BT-Drucks. 20/8704, S. 132), kann dem zwar entnommen werden, dass dem Gesetzgeber ein höherer Grenzwert vor Augen stand, als er bisher von der Rechtsprechung unter der Geltung des BtMG für Cannabis angenommen worden ist. Der Senat vermag aber weder in tatsächlicher Hinsicht noch unter normativen Gesichtspunkten einen belastbaren Anknüpfungspunkt für eine von dem bisherigen Grenzwert abweichende Bestimmung zu finden.

12bb) Bei der herkömmlichen Bestimmung des Grenzwertes der nicht geringen Menge für Cannabisprodukte hat sich der Bundesgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht an der durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und diese gestützt vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf 15 Milligramm THC festgelegt. Das Vielfache der so bestimmten Konsumeinheit hat er mit der Maßzahl 500 bestimmt. Hiermit sollte die wesentlich geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Verhältnis zu Heroin abgebildet, aber auch – angesichts der gegenüber § 29 Abs. 1 BtMG „außerordentlichen“ Verschärfung der Strafrahmen in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und insbesondere in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG – den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit Rechnung getragen werden. Auf dieser Grundlage errechnet sich die nicht geringe Menge als 500 Konsumeinheiten zu je 15 Milligramm, was 7,5 Gramm THC entspricht (vgl. , BGHSt 33, 8 ff.). Dies hat der Bundesgerichtshof unter ausführlicher Auseinandersetzung mit neueren Erkenntnissen zur Gefährlichkeit von Cannabis insoweit bestätigt gesehen und am Grenzwert festgehalten (vgl. Rn. 11 ff., 14; Beschluss vom – 1 StR 106/24 Rn. 9 ff.; Beschluss vom – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1 unter Hinweis auf , BVerfGE 90, 145).

13Dass sich die wissenschaftlichen Grundlagen zur Einschätzung der Gefährlichkeit von Cannabis maßgeblich geändert hätten, lässt sich weder der Gesetzesbegründung entnehmen (vgl. zu den – fortbestehenden – gesundheitlichen Risiken vielmehr BT-Drucks. 20/8704, S. 68; siehe dazu auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom – 5 Ws 19/24, juris Rn. 30) noch legen dies gutachterliche Stellungnahmen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von ärztlichen Verbänden und Gesellschaften abgegeben wurden, nahe (vgl. insbesondere die Stellungnahmen der Bundesärztekammer vom [BT – Ausschuss f. Gesundheit, Ausschussdrucks. 20(14)154(11)], der Bundespsychotherapeutenkammer vom [Ausschussdrucks. 20(14)154(1)], des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärztinnen vom [Ausschussdrucks. 20(14)154(4)], der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. vom [Ausschussdrucks. 20(14)154(30)], der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. vom [Ausschussdrucks. 20(14)154(27)] sowie die gemeinsame Stellungnahme mehrerer kinder- und jugendmedizinischer, -psychiatrischer und -psychotherapeutischer Fachverbände und -gesellschaften vom [Ausschussdrucks. 20(14)154(29)]).

14cc) Auch unter normativen Gesichtspunkten bieten weder der Gesetzestext noch der den Gesetzesmaterialien entnehmbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt für eine abweichende Festsetzung des Grenzwertes (vgl. Rn. 21). Soweit darauf abgehoben wird, dass der Erwerb von Cannabis im illegalen Handel wegen des unbekannten THC-Anteils oder möglicher „giftige(r) Beimengungen“ mit erhöhten Gesundheitsrisiken verbunden sei (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1 und 68) und deshalb ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis auf der Grundlage eines (mengenlimitierten) Eigenanbaus oder eines nicht gewerblichen gemeinschaftlichen Anbaus mit kontrollierter Weitergabe erleichtert werden solle, kann dem lediglich ein Strategiewechsel in Bezug auf den angestrebten Schutz der Volksgesundheit vor den Gefahren des Cannabiskonsums entnommen werden.

15Vor diesem Hintergrund haben auch die den Eigenanbau rechtlich erst ermöglichenden und auf Rohmengen oder Pflanzenzahlen bezogenen Besitz- und Anbauerlaubnisse in § 3 Abs. 1 und 2 KCanG sowie § 9 Abs. 1 KCanG keine weitergehende Aussagekraft. Die sich daraus ergebenden sog. legalisierten Mengen sind unabhängig von ihrem THC-Anteil und folgen einem anderen Regelungsregime. Normative Anknüpfungspunkte für die Bewertung von für den illegalen Markt vorgesehenen Handelsmengen – wie hier – enthalten sie nicht (vgl. dazu auch Rn. 19; Beschluss vom – 1 StR 106/24 Rn. 21 ff.; HansOLG Hamburg, Beschluss vom – 5 Ws 19/24, juris Rn. 28 ff.).

16b) Nicht anders als unter der Geltung des BtMG kommt es beim Anbau von Cannabispflanzen zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs der Ernteerträge für die Frage, ob sich das darin liegende Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf eine nicht geringe Menge im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG „bezieht“, auf die Menge an, die mit der bereits begonnenen Aufzucht letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (vgl. ‒ 3 StR 407/12, NStZ 2013, 546 Rn. 27 ff. mwN).

174. Im Übrigen hat die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060524B4STR5.24.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-68689