BGH Beschluss v. - VIa ZR 7/23

Instanzenzug: Az: I-25 W 53/23vorgehend Az: 16 O 223/18

Gründe

I.

1Die Antragstellerin begehrt die Festsetzung einer Terminsgebühr.

2Sie ist eine Partnerschaftsgesellschaft, die den Antragsgegner in einer Schadensersatzklage gegen einen Fahrzeughersteller im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal anwaltlich vertreten hat. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, wogegen beide Seiten Berufung erhoben haben. Vor der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht haben die Beklagte am und der Kläger - hiesiger Antragsgegner - am ihre Berufungen zurückgenommen.

3Im April 2022 hat die Antragstellerin die Festsetzung ihrer Vergütung gegen den Antragsgegner beantragt. Dabei hat sie eine 1,2 Terminsgebühr mit der Begründung begehrt, sie habe an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung mitgewirkt. Der Berichterstatter habe am angerufen und mit dem Klägervertreter die Berufungsrücknahme der Gegenseite sowie die Rechtsprechung des Berufungsgerichts erörtert, die Berufungsrücknahme des Klägers angeregt und deren Rechtsfolgen beleuchtet.

4In dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom hat das Landgericht die Terminsgebühr nicht angesetzt. Der dagegen von der Antragstellerin eingelegten sofortigen Beschwerde hat das dem Antragsgegner zugestellt am , abgeholfen und die Terminsgebühr festgesetzt. Dagegen hat der Antragsgegner eingehend beim Landgericht am seinerseits sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde des Antragsgegners für zulässig und - soweit vorliegend von Interesse - begründet erachtet und den Beschluss vom dahin abgeändert, dass keine Terminsgebühr anfalle. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie aufgrund der Zulassung durch das Oberlandesgericht (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und deshalb (vgl. , WM 2015, 728 Rn. 4; Beschluss vom - IX ZB 14/19, WM 2020, 1554 Rn. 4; Beschluss vom - VII ZB 46/21, BGHZ 233, 258 Rn. 8; jeweils mwN) statthaft, weil - wie das Oberlandesgericht zu Recht angenommen hat - die sofortige Beschwerde des Antragsgegners nach § 104 Abs. 3 Satz 1, § 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO statthaft war. Der Antragsgegner ist hinsichtlich der Terminsgebühr durch den Abhilfebeschluss des erstmalig beschwert und möchte diese Beschwer durch Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss in der Form, die er durch den Abhilfebeschluss erhalten hat, beseitigen (vgl. , NJW 2021, 553 Rn. 6 mwN).

72. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Verwerfung der sofortigen Beschwerde des Antragsgegners als unzulässig.

8a) Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen, weil es im Falle ihrer Unzulässigkeit an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht fehlt. War die sofortige Beschwerde statthaft, aber unzulässig, hat das Beschwerdegericht sie jedoch sachlich beschieden, ist diese Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuheben und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (vgl. , ZIP 2004, 1379; Beschluss vom - IX ZB 101/11, NJW-RR 2014, 162 Rn. 4; Beschluss vom - I ZB 30/21, NJW-RR 2022, 571 Rn. 11; jeweils mwN).

9b) So liegt es hier. Die am beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Antragsgegners war verfristet. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) begann gemäß § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung - hier: des Abhilfebeschlusses, in dessen Form der Antragsgegner den Kostenfestsetzungsbeschluss angefochten hat - an den Antragsgegner am Freitag, den und endete gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des , einem Freitag.

10c) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass sich - wie der Antragsgegner im Rechtsbeschwerdeverfahren vorträgt und durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung sowie eines nicht in der Akte enthaltenen Schriftsatzes glaubhaft macht - für ihn vor der vorgenannten Zustellung eine Anwaltskanzlei bei dem Landgericht bestellt habe, und zwar durch den dort als Rechtsanwalt tätigen Antragsgegner, wobei die Anwaltskanzlei eine andere Anschrift habe als dessen Privatanschrift und er das an seine Privatanschrift zugestellte Schreiben erst am folgenden Tag dem Briefkasten entnommen habe. Zwar geht die Rechtsbeschwerdeerwiderung im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO in einem anhängigen Verfahren die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hat und eine gleichwohl an die anwaltlich vertretene Partei vorgenommene Zustellung wirkungslos ist und Fristen nicht in Lauf setzt (, NJW-RR 2021, 581 Rn. 5 mwN). Keiner Klärung bedarf, ob dies auch dann gilt, wenn sich die Partei - wie hier - selbst vertritt (verneinend , juris Rn. 21 zum sozialgerichtlichen Verfahren; bejahend , juris Rn. 36 ff. zur Zustellung eines Widerspruchsbescheids; VerfGH Berlin, Beschluss vom - 96/18, juris Rn. 23 zum Strafverfahren). Jedenfalls kann sich der Antragsgegner nach dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (vgl. , NJW 2018, 3581 Rn. 37 mwN; BVerfG, NJW 2002, 2456) nicht darauf berufen, die Zustellung hätte an seine Kanzleiadresse gerichtet werden müssen und eine Heilung der am durch Einwurf in den Briefkasten an der Privatadresse erfolgten Zustellung gemäß § 189 ZPO sei erst am Folgetag durch Leerung des Briefkastens eingetreten (vgl. , NJW-RR 2023, 766 Rn. 30). Damit verhielte er sich unter Ausnutzung formaler verfahrensrechtlicher Positionen widersprüchlich, was die Rechtsordnung zwar grundsätzlich zulässt, aber dann als rechtsmissbräuchlich erachtet, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. , NJW 1997, 3377, 3379 f.; Urteil vom - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 323; Beschluss vom - II ZR 61/07, NJW-RR 2008, 1310 Rn. 2, 5). Das ist hier der Fall. Der Antragsgegner hat die am bei dem Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde dahingehend formuliert, er lege „gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts … vom , zugestellt am “ sofortige Beschwerde ein. Damit hat er - auch der Antragstellerin gegenüber - zu erkennen gegeben, er lasse die Zustellung als am erfolgt gegen sich gelten. Ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung hat der Antragsgegner am - also hiervon ausgehend fristgemäß - versucht, den Beschwerdeschriftsatz an das Landgericht zu übermitteln, was erst am Folgetag gelungen sei. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nicht gestellt worden und Wiedereinsetzung nach Ablauf der Frist des § 234 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass eine Zustellung bei Verletzung einer Verfahrensvorschrift nur dann unwirksam ist, wenn der Zweck der verletzten Verfahrensvorschrift dies erfordert (vgl. , BGHZ 193, 353 Rn. 25), der Zweck der nach dem Vortrag des Antragsgegners verletzten Verfahrensvorschrift des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach den genannten Umständen des Einzelfalls die Unwirksamkeit hier aber nicht erfordert.

11d) Auf die Frage, ob eine Terminsgebühr anzusetzen war, kommt es demnach im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht an.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300424BVIAZB7.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-68402