BAG Urteil v. - 4 AZR 114/23

Eingruppierung einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit - Gruppenleiterin

Gesetze: § 12 Abs 1 S 1 TV-L, Anl A Teil II Abschn 12 UAbschn 12.1 Entgeltgr 9b TV-L

Instanzenzug: Az: 4 Ca 1473/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 3 Sa 680/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

2Die Klägerin war bei dem beklagten Land bis zum als Justizbeschäftigte tätig. Sie ist Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di, das beklagte Land Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) Anwendung.

3Die Klägerin war seit dem Jahr 2001 in einer Serviceeinheit für Familiensachen eingesetzt. Zum übernahm sie zusätzlich die Aufgaben einer Serviceteamleiterin für diese Serviceeinheit. Nach der „Darstellung der Tätigkeiten“ vom waren ihr die Aktenbearbeitung in der Serviceeinheit für Familiensachen mit einem Arbeitszeitanteil von 88 vH, davon schwierige Tätigkeit mit einem Arbeitszeitanteil von 39 vH, sowie die koordinierende Leitung der Bürokräfte dieser Serviceeinheit mit einem Arbeitszeitanteil von 12 vH übertragen. Als Teamleiterin oblagen der Klägerin die Koordinierung der Kräfte des Bürodienstes des Familiengerichts, die Wahrnehmung der Funktion der Ansprechpartnerin aus beiden hierarchischen Richtungen, die Zusammenarbeit mit den übrigen Leitungsträgern, kurzfristige Organisationsentscheidungen und die Unterstützung der Behördenleitung beim Erkennen und Lösen von Problemen. In der Serviceeinheit der Klägerin waren neben ihr zunächst acht Beschäftigte mit einem Arbeitskraftanteil (AKA) - umgerechnet auf sog. Vollzeitäquivalente - von insgesamt 5,87, vom bis zum sieben Beschäftigte mit 5,373 AKA und ab dem acht Beschäftigte mit 5,703 AKA tätig. Der Serviceeinheit waren ferner je zwei Auszubildende zugeordnet. Die Klägerin hatte diese den übrigen Beschäftigten der Serviceeinheit zuzuweisen.

4Die Klägerin erhielt zuletzt eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9a Stufe 6 TV-L. Sie beantragte im Hinblick auf die zum in Kraft getretene Änderung der Entgeltordnung zum TV-L mit Schreiben vom erfolglos die Höhergruppierung in Entgeltgruppe 9b TV-L.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie erfülle allein aufgrund ihrer Tätigkeit und unabhängig von der Größe der Serviceeinheit die tariflichen Anforderungen einer Gruppenleiterin iSd. Entgeltgruppe 9b TV-L.

6Die Klägerin hat zuletzt beantragt

7Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Bei den Tätigkeiten in der Serviceeinheit und deren Leitung handele es sich um unterschiedliche Arbeitsvorgänge. Die Klägerin werde auch nicht in einer großen Serviceeinheit eingesetzt. Der Vorschlag für eine eigenständige Entgeltregelung für die Leiterinnen „großer“ Serviceeinheiten sei in der Tarifrunde 2019 unter der Prämisse eingebracht worden, dass die Einheiten aus mindestens zehn Beschäftigten bestünden. Es sei allerdings versäumt worden, diese tariflich festzuschreiben. Daher sei auf die Zahl der zu koordinierenden Beschäftigten abzustellen und zu deren Berechnung die Nr. 6 der Vorbemerkungen zu allen Teilen der Entgeltordnung zum TV-L anzuwenden.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Revision.

Gründe

9Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Berufung zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.

10I. Die Klage ist zulässig.

111. Der Feststellungsantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin hat ihr auf zwei Streitgegenstände gestütztes Klagebegehren - nach richterlichem Hinweis - in der Berufungsinstanz in ein hinreichend bestimmtes Eventualverhältnis gesetzt, sodass keine unzulässige alternative Klagehäufung vorliegt (zu dieser  - Rn. 18 mwN; grdl.  - Rn. 13, BGHZ 189, 56). In der Hauptsache stützt sie sich auf die beiderseitige Tarifgebundenheit der Parteien und nur hilfsweise - für den Fall des Unterliegens - auf die vertragliche Inbezugnahme der maßgebenden Tarifbestimmungen. Der Antrag ist weiterhin dahin zu verstehen, dass die Verzinsung der Differenzbeträge ab dem Tag begehrt wird, der auf den sich aus § 24 Abs. 1 TV-L ergebenden Fälligkeitstag folgt. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Antragswortlaut, folgt aber aus dem Umstand, dass die Klägerin sich auf den TV-L als maßgebenden Tarifvertrag stützt (vgl.  - Rn. 10, 48).

122. Der Antrag ist auch im Übrigen als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig (dazu etwa  - Rn. 10 mwN, BAGE 177, 129). Der für das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Gegenwartsbezug besteht trotz der zwischenzeitlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Geltendmachung einer (zukünftigen) Erfüllung einer höheren, konkret bezeichneten Vergütung aus dem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (vgl.  - Rn. 12). Über weitere Vergütungselemente, insbesondere die Stufenzuordnung, besteht zwischen den Parteien kein Streit (zur anderenfalls erforderlichen Benennung der Stufe im Feststellungsantrag vgl.  - Rn. 15). Das Feststellungsinteresse ist schließlich auch für die zu den Hauptforderungen akzessorischen Zinsforderungen gegeben (sh. nur  - Rn. 14, BAGE 178, 107).

13II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist nicht nach Entgeltgruppe 9b TV-L zu vergüten und kann daher auch nicht die Verzinsung von Vergütungsdifferenzen beanspruchen.

141. Ein Anspruch ergibt sich nicht aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit. Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt nicht die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe 9b TV-L.

15a) Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der TV-L, der TV-L EntgeltO und der TVÜ-Länder.

16b) Die Klägerin war bis zum gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 TV-L iVm. Teil II Abschnitt 12 - Beschäftigte im Justizdienst - Unterabschnitt 12.1 - Beschäftigte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften - der Anlage A - Entgeltordnung zum TV-L (TV-L EntgeltO) in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung in Entgeltgruppe 9a TV-L eingruppiert. Seither ist für ihre Eingruppierung die ab dem geltende Fassung der TV-L EntgeltO maßgebend. Der begehrten Neufeststellung der Eingruppierung zum steht § 29d Abs. 1 TVÜ-Länder nicht entgegen.

17aa) Nach § 29d Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder sind Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber, der Mitglied der TdL ist, über den hinaus fortbesteht, und die am unter den Geltungsbereich des TV-L fallen, für den Fall, dass sich für sie eine höhere Eingruppierung ausschließlich aufgrund der zum in Kraft getretenen Änderungen in der Entgeltordnung zum TV-L ergibt, für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit in der bisherigen Entgeltgruppe eingruppiert. Eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppierung anhand dieser Vorschriften findet für die Dauer der unveränderten Tätigkeit grundsätzlich nicht statt (Protokollerklärung zu § 29d Abs. 1 iVm. der Protokollerklärung zu § 29a Abs. 2 TVÜ-Länder). In diesem Fall kommt eine Neueingruppierung gemäß § 29d Abs. 2 und Abs. 3 TVÜ-Länder nur in Betracht, wenn sich nach den zum in Kraft getretenen Änderungen in der Entgeltordnung zum TV-L eine höhere Entgeltgruppe ergibt und die Beschäftigte bis zum eine dementsprechende Eingruppierung beantragt hat.

18bb) Die Klägerin hat im Hinblick auf das durch § 2 Nr. 16 Buchst. a des Änderungstarifvertrags Nr. 11 zum TV-L vom zum neu eingefügte Tätigkeitsmerkmal im Teil II Abschnitt 12 Unterabschnitt 12.1 TV-L EntgeltO „Gruppenleiter bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften“ fristgemäß einen Antrag nach § 29d Abs. 2 Satz 1 TVÜ-Länder gestellt. Nach diesem Tätigkeitsmerkmal ergibt sich - bei dessen Vorliegen - für sie mit Entgeltgruppe 9b TV-L eine höhere Eingruppierung.

19c) Die maßgebenden Tätigkeitsmerkmale des TV-L EntgeltO lauten:

20d) Bei den der Klägerin übertragenen Aufgaben handelte es sich um einen einheitlichen Arbeitsvorgang iSv. § 12 Abs. 1 TV-L. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

21aa) Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 TV-L ist die Beschäftigte in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Das ist der Fall, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen (§ 12 Abs. 1 Satz 4 TV-L). Bezugspunkt der tariflichen Bewertung ist danach der Arbeitsvorgang ( - Rn. 16; - 4 AZR 161/20 - Rn. 19).

22bb) Maßgebend für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit nicht aus, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Beschäftigte zu übertragen. Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dem Arbeitsvorgang hinzuzurechnen sind dabei nach Satz 1 der Nr. 1 der Protokollerklärung zu § 12 Abs. 1 TV-L auch Zusammenhangsarbeiten. Das sind solche, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben einer Beschäftigten bei der tariflichen Bewertung zwecks Vermeidung tarifwidriger „Atomisierung“ der Arbeitseinheiten nicht abgetrennt werden dürfen, sondern diesen zuzurechnen sind. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten ( - Rn. 20; ausf. - 4 AZR 195/20 - Rn. 27 ff. mwN, BAGE 172, 130).

23cc) Der Begriff des „Arbeitsvorgangs“ ist ein feststehender, abstrakter, von den Tarifvertragsparteien vorgegebener Rechtsbegriff. Seine Anwendung durch die Tatsachengerichte ist revisionsgerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar (st. Rspr., vgl. zB  - Rn. 18).

24dd) Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, bei der Tätigkeit der Klägerin als Serviceteamleiterin handele es sich um einen einheitlichen Arbeitsvorgang. Unmittelbare Leitungstätigkeiten und andere Tätigkeiten ließen sich zwar unterscheiden. Letztlich dienen jedoch alle Tätigkeiten der Beschäftigten dem Arbeitsergebnis der Leitung der jeweiligen Gruppe. Wenn die Leiterin einer Organisationseinheit selbst Aufgaben wahrnimmt, die innerhalb des von ihr betreuten Bereichs anfallen, gehören diese Tätigkeiten als Zusammenhangsarbeiten zur einheitlich zu bewertenden Leitungstätigkeit (vgl.  - Rn. 19, BAGE 170, 214; - 4 ABR 8/18 - Rn. 31 zur Tätigkeit einer Teamleiterin in der Pflege; - 4 AZR 66/05 - Rn. 14 mwN zur Tätigkeit als Stationsschwester iSd. Bundes-Angestelltentarifvertrags). Dies kommt auch in der Protokollerklärung Nr. 5 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO zum Ausdruck, nach welcher die Tätigkeit von Gruppenleitern die Koordination der Geschäftsabläufe innerhalb einer großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit beinhaltet. Weiterhin waren die Tätigkeiten der Betreuung von Aktenvorgängen in der Serviceeinheit und der Leitung der Serviceeinheit während der gesamten Arbeitszeit der Klägerin tatsächlich nicht getrennt. Die Klägerin musste nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch dann, wenn sie Aktenvorgänge bearbeitete, stets damit rechnen, Leitungsaufgaben wahrnehmen zu müssen.

25e) Die Klägerin ist nicht als Gruppenleiterin iSd. Entgeltgruppe 9b TV-L beschäftigt worden.

26aa) Gruppenleiter bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften iSd. Entgeltgruppe 9b TV-L sind solche Beschäftigte, denen die Koordination der Geschäftsabläufe innerhalb einer großen Geschäftsstelle oder einer großen Serviceeinheit übertragen ist (BeckOK TV-L EntgO/Steuernagel Stand TV-L-EGO T2.12.1 Rn. 17a; Natter ZTR 2021, 175). Dem Merkmal „groß“ kommt entgegen der Auffassung der Klägerin eine eigenständige Bedeutung zu. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl.  - Rn. 35 mwN, BAGE 164, 326).

27(1) Das Tätigkeitsmerkmal „Gruppenleiter bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften“ ist selbst nicht weiter definiert. Die Regelung verweist insoweit mit dem Klammerzusatz auf die Protokollerklärung Nr. 5 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO. Deren Wortlaut enthält zwar keine Definition des Begriffs „Gruppenleiter bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften“. Sie legt mit dem Merkmal „Koordination der Geschäftsabläufe innerhalb einer großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit“ aber die Anforderungen an die Tätigkeit von Gruppenleitern fest. Damit wird zugleich der Begriff „Gruppenleiter“ bestimmt. Anhaltspunkte für einen lediglich deskriptiven Charakter lassen sich der Protokollerklärung nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut, dass allein die beispielhafte („insbesondere“) Aufzählung der einzelnen Tätigkeiten der Erläuterung dient. Gegenteiliges folgt nicht aus der Verwendung des Wortes „beinhaltet“. Die Tarifvertragsparteien haben damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Koordinationsfunktion in der Praxis regelmäßig nicht zeitlich überwiegend ausgeübt wird und die Gruppenleiter in der jeweiligen Organisationseinheit vor allem operativ mitarbeiten (vgl. Natter ZTR 2021, 175). Hätten die Tarifvertragsparteien mit „große Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit“ nur den Regelfall beschreiben wollen, hätte die Formulierung, die Tätigkeit von Gruppenleitern beinhaltet die Koordination der Geschäftsabläufe, zB innerhalb einer großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit, nähergelegen. Stünde - wie die Klägerin meint - bereits mit der Übertragung der Tätigkeit einer Gruppenleitung das Vorliegen einer „großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit“ fest, wäre das Adjektiv „groß“ überflüssig. Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Tarifvertragsparteien keine überflüssigen, weil inhaltsleeren Regelungen treffen wollen (vgl. etwa  - Rn. 35 mwN), ist dem Wort „groß“ eine eigenständige Bedeutung beizumessen.

28(2) Systematische Erwägungen sowie Sinn und Zweck der Regelung bestätigen dieses Verständnis.

29(a) Die Verweisung auf Definitionen in Protokollerklärungen entspricht einer üblichen Regelungstechnik in Tarifverträgen. Die Tarifvertragsparteien haben davon auch in Entgeltgruppe 9b TV-L Gebrauch gemacht. Die Verweisung in diesem Tätigkeitsmerkmal unterscheidet sich in ihrem Wortlaut („Hierzu Protokollerklärung“) nicht von den anderen Verweisungen. Daher ist davon auszugehen, dass die Protokollerklärung Nr. 5 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO - wie auch die anderen Protokollerklärungen - materieller Bestandteil der tariflichen Regelung ist und damit Regelungscharakter hat.

30(b) Dem Erfordernis der großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit steht nicht entgegen, dass der Tarifvertrag keine gesonderte Regelung für die Eingruppierung von Beschäftigten aufweist, die Geschäftsabläufe innerhalb einer nicht großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit koordinieren. Die Tätigkeit dieser Beschäftigten wird - ebenso wie bis zum  - von den Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppe 9a TV-L erfasst. Ihre Tätigkeit hebt sich dadurch aus Entgeltgruppe 6 TV-L heraus, dass sie schwierig ist. Die Koordination der Geschäftsabläufe innerhalb einer nicht großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit entspricht ihrer Wertigkeit nach den im nicht abschließenden Katalog der Protokollerklärung Nr. 3 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO aufgelisteten Tätigkeiten (vgl.  - Rn. 43; vgl. zur Heranziehung der Tätigkeitsbeispiele als Richtlinien für die Subsumtion unter den Oberbegriff  - Rn. 55; - 4 AZR 252/19 - Rn. 42). Die Tarifvertragsparteien konnten sich daher auf die Einfügung des neuen Tätigkeitsmerkmals „Gruppenleiter bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften“ beschränken. Sie haben mit der Größe der Geschäftsstelle oder der Serviceeinheit auf einen Faktor abgestellt, der an die Leitungsfunktion anknüpft und sich auf die Anforderungen auswirkt (vgl.  - Rn. 31, BAGE 170, 214). Damit ist sichergestellt, dass es sich um eine anspruchsvollere Tätigkeit handelt als die schwierige Tätigkeit der Koordination der Geschäftsabläufe innerhalb einer nicht großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit.

31(3) Eine „große Geschäftsstelle oder Serviceeinheit“ im Tarifsinn liegt grundsätzlich dann vor, wenn der dort bestehende Arbeitskräftebedarf - bemessen anhand von Vollzeitäquivalenten - den Mindestwert für die Annahme einer „Gruppe“ von Beschäftigten, deren Geschäftsabläufe zu koordinieren sind, um ein Mehrfaches übersteigt.

32(a) Die Tätigkeit der Gruppenleiter bezieht sich - ausgehend von der Organisationsstruktur bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften und der organisatorischen Gliederung der Einheit der Geschäftsstelle (iSv. § 153 GVG, § 7 ArbGG, § 13 VwGO, § 12 FGO, § 4 SGG) in einzelne Abteilungen - auf die Beschäftigten der jeweiligen Teileinheit Geschäftsstelle oder Serviceeinheit. Diese muss „groß“ sein. Das ist im Geltungsbereich des Tarifvertrags einheitlich und damit unabhängig von den Gegebenheiten des einzelnen Gerichts oder der Gerichtsbarkeit zu beurteilen (zu diesem Vergleichsmaßstab vgl.  - Rn. 39, BAGE 170, 214).

33(b) Der Tarifvertrag definiert nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen von einer „großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit“ auszugehen ist. Soweit das beklagte Land geltend macht, der Vorschlag einer eigenständigen Entgeltregelung für die Leiterinnen „großer“ Serviceeinheiten oder Geschäftsstellen sei in den Tarifvertragsverhandlungen unter der Prämisse eingebracht worden, dass dort mindestens zehn Personen beschäftigt sind, lässt schon nicht erkennen, ob insoweit eine Einigung erzielt worden ist. Jedenfalls hat ein solches Verständnis im Tarifvertrag keinen Niederschlag gefunden (zu diesem Erfordernis  - Rn. 45 mwN, BAGE 172, 130).

34(c) Bei der Wortlautauslegung ist daher anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff „groß“ in dem Sinne gebraucht haben, der dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten Kreise entspricht, wenn nicht sichere Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung gegeben sind ( - Rn. 50; - 4 AZR 41/08 - Rn. 21, BAGE 129, 355). Danach wird das Adjektiv „groß“ benutzt, um zu beschreiben, dass etwas den Durchschnitt oder einen Vergleichswert übertrifft (Duden Deutsches Universalwörterbuch 10. Aufl. Stichwort „groß“). Der Vergleich kann quantitativer, aber auch qualitativer Natur sein. Stets notwendig ist jedoch ein Bezugsobjekt. Daher kann das Adjektiv „groß“ allein ohne Betrachtung des Kontextes keinen Aufschluss darüber geben, was die Tarifvertragsparteien unter einer „großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit“ verstanden haben (vgl.  - Rn. 24, BAGE 170, 214).

35(d) Die Größe einer Geschäftsstelle oder Serviceeinheit iSd. Protokollerklärung Nr. 5 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO ist vorrangig von dem bestehenden Geschäftsanfall abhängig. Dieser kann über den in Vollzeitäquivalenten zu erfassenden Arbeitskräftebedarf der Gruppe erfasst werden.

36(aa) Mit dem Tätigkeitsmerkmal „Gruppenleiter“ iSd. Entgeltgruppe 9b TV-L soll der mit der Koordinierungstätigkeit in einer „großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit“ verbundenen Bedeutung des Aufgabengebiets und den damit einhergehenden Anforderungen und Belastungen entsprochen werden. Der Umfang des Aufgabengebiets, dessen Geschäftsabläufe eine Gruppenleiterin zu koordinieren hat, wird vor allem durch den Geschäftsanfall bestimmt. Dieser kommt in der Anzahl der dort tätigen Beschäftigten zum Ausdruck und kann in erster Linie durch den - in Vollzeitäquivalenten ausgedrückten - Arbeitskräftebedarf erfasst werden. Allein die Anzahl der beschäftigten Personen „nach Köpfen“ ist hierzu nicht in gleichem Maße geeignet. In besonders gelagerten Fallgestaltungen können allerdings auch andere Faktoren von Bedeutung sein, soweit sie an die Koordination der Geschäftsabläufe anknüpfen und größere Anforderungen an die Tätigkeit stellen. Das kann beispielsweise bei einer besonders großen Anzahl zugewiesener Teilzeitbeschäftigter der Fall sein, wenn diese geeignet ist, die Koordinierung innerhalb der Gruppe, etwa im Hinblick auf die Dienst- und Urlaubsplanung, außerordentlich zu erschweren.

37(bb) Die Tätigkeit einer Gruppenleiterin iSd. Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe 9b TV-L und die einer Beschäftigten, der die Koordination der Geschäftsabläufe innerhalb einer nicht großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit übertragen ist, unterscheiden sich im Wesentlichen - ausgehend vom Arbeitsanfall und dem damit verbundenen Arbeitskräftebedarf - durch die Größe der von ihnen geleiteten Gruppen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist eine „Gruppe“ eine „kleine als Einheit zusammengehörige Schar von Menschen“ (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „Gruppe“) oder ein „Kreis von Menschen, die aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten zusammengehören“ (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort „Gruppe“). In der Soziologie versteht man unter „Gruppe“ ein Gebilde von drei bis etwa 25 Mitgliedern, die über längere Zeit miteinander ein gemeinsames Ziel verfolgen, in einem kontinuierlichen Kommunikations- und Interaktionszusammenhang stehen und gruppenspezifische Rollen, Normen und Werte ausbilden (Gabler Wirtschaftslexikon 19. Aufl. Stichwort „Gruppe“). Danach setzt eine Gruppenleitung neben der Gruppenleiterin mindestens zwei weitere Beschäftigte voraus (vgl.  -). Die Koordinierung der Geschäftsabläufe einer „großen Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit“ liegt allerdings nicht bereits bei jeder Überschreitung dieser Mindestwerte vor. Eine solche kann erst dann angenommen werden, wenn die Gruppe erheblich größer ist als die kleinstmögliche Gruppe. Um von einer großen Geschäftsstelle oder Serviceeinheit und damit von einer wahrnehmbar gesteigerten Bedeutung des Aufgabengebiets ausgehen zu können, muss der Mindestwert der Gruppengröße von drei Vollzeitäquivalenten daher um ein Mehrfaches überschritten sein.

38bb) Die Klägerin war nicht als Gruppenleiterin iSd. Entgeltgruppe 9b TV-L beschäftigt. Ihr oblag zwar die Koordinierung der Geschäftsabläufe innerhalb der Serviceeinheit für Familiensachen. Diese ist - wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat - jedoch keine „große“ Serviceeinheit im Tarifsinn.

39(1) Bei der tariflichen Anforderung „groß“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff als solchen erkannt und ihn bei der Subsumtion beibehalten hat, ob es Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat sowie darauf, ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zB  - Rn. 50, BAGE 168, 306).

40(2) Diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab hält das Berufungsurteil nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Prüfung nicht den zutreffenden Begriff „große Geschäftsstelle bzw. Serviceeinheit“ iSd. Protokollerklärung Nr. 5 zu Teil II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO zugrunde gelegt. Das Landesarbeitsgericht ist zwar im Ansatz zutreffend von der Bedeutung des Begriffs „groß“ im allgemeinen Sprachgebrauch und der Notwendigkeit eines Bezugsobjekts ausgegangen. Es hat aber rechtsfehlerhaft angenommen, die Größe der Serviceeinheit sei in erster Linie „nach Köpfen“ der zu koordinierenden Beschäftigten zu beurteilen. Zudem hat es zu Unrecht angenommen, die der Serviceeinheit zugewiesenen Auszubildenden seien nach Nr. 6 Satz 2 der Vorbemerkungen zu allen Teilen der Entgeltordnung zum TV-L nicht zu berücksichtigen. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, weil die Eingruppierung nicht von der Zahl der unterstellten Beschäftigten, sondern von der Größe der Geschäftsstelle oder Serviceeinheit abhängt.

41(3) Der Senat kann die erforderliche Prüfung jedoch selbst vornehmen. Das Landesarbeitsgericht hat die hierzu erforderlichen Feststellungen getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Danach handelt es sich bei der Serviceeinheit für Familiensachen nicht um eine große Serviceeinheit im Tarifsinn.

42(a) Der Serviceeinheit der Klägerin waren - umgerechnet auf sog. Vollzeitäquivalente - zwischen 5,37 und 5,87 Beschäftigte zugeordnet. Diese Anzahl der zugewiesenen Vollzeitäquivalente rechtfertigt die Annahme einer „großen Serviceeinheit“ nicht.

43(b) Eine andere Beurteilung ist nicht ausnahmsweise im Hinblick auf die Zahl der Teilzeitbeschäftigten und der zugeordneten Auszubildenden geboten. Der Klägerin waren höchstens acht Beschäftigte zugewiesen, sodass nicht von einem besonders hohen Koordinierungsaufwand aufgrund von Teilzeitbeschäftigten ausgegangen werden kann. Ihr war auch nicht die Ausbildung der beiden Auszubildenden übertragen; sie hatte diese weder im Dienst- und Urlaubsplan zu berücksichtigen noch ihnen konkrete Aufgaben zuzuweisen und ihre Bearbeitung zu kontrollieren. Ihr oblag es nur, die Auszubildenden den Beschäftigten zuzuweisen und dies bei der Zuteilung von Arbeiten an diese zu berücksichtigen. Zudem fiel diese Aufgabe nicht ständig, sondern nur außerhalb der Zeiten des Berufskollegs und des fachtheoretischen Unterrichts der Auszubildenden an.

442. Aus den vorgenannten Gründen ist die Klage auch unbegründet, soweit sich die Klägerin auf die Anwendung der tariflichen Bestimmungen infolge der vertraglichen Bezugnahmeklausel stützt.

45III. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:240124.U.4AZR114.23.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-68310