BGH Beschluss v. - 5 StR 559/23

Instanzenzug: Az: 5 StR 559/23 Beschlussvorgehend LG Lübeck Az: 7 KLs 776 Js 52762/21

Gründe

1Das Landgericht hat am die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

2Hiergegen richtete sich die vom Beschuldigten mit Schreiben vom eingelegte Revision, die am beim Landgericht einging. Mit Fax vom schrieb der Beschuldigte seinem Verteidiger: „Ich ziehe die Revision zurück! Bitte teilen Sie dies dem Gericht mit.“ Der Verteidiger nahm daraufhin mit dem Landgericht am zugegangenem Schreiben vom „in Absprache mit meinem Mandanten“ die Revision zurück. Die Strafkammervorsitzende übersandte unter dem eine Kopie der Rücknahmeerklärung an den Beschuldigten. Am beschloss das Landgericht die Kostenfolge nach § 473 Abs. 1 StPO.

3Mit einem an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht gerichteten Schreiben vom hat der Beschuldigte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und mit Schreiben vom (erneut) Revision eingelegt. Er sei infolge akuter paranoider Schizophrenie in seiner Handlungsfähigkeit „behindert“ und nicht in der Lage gewesen, seine Rechte wahrzunehmen. Der Beschuldigte hat damit die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme bestritten, was in der Regel eine feststellende Klärung durch förmliche Entscheidung des Rechtsmittelgerichts erfordert (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 410/17, NStZ 2018, 615; vom – 3 StR 257/00, NStZ 2001, 104).

41. Der Beschuldigte hat die Revision durch seinen Verteidiger wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).

5Er war bei der entsprechenden Auftragserteilung seines ausdrücklich von ihm ermächtigten Verteidigers (§ 302 Abs. 2 StPO) verhandlungsfähig. Zwar stand der Beschuldigte unter Betreuung. Es bedurfte ausweislich des vom Verteidiger vorgelegten Betreuerausweises aber für die Wirksamkeit von Willenserklärungen gegenüber Behörden nicht der Einwilligung des Betreuers. Der Beschuldigte war zudem prozessual handlungsfähig.

6a) Die prozessuale Handlungsfähigkeit setzt voraus, dass ein Angeklagter oder Beschuldigter bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage ist, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird – wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegen – allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 29/22; vom – 1 StR 327/19; vom – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 jeweils mwN).

7b) Nach diesen Maßstäben liegen keine Anhaltspunkte vor, die Zweifel daran begründen könnten, der Beschuldigte sei sich zum Zeitpunkt der Rechtsmittelrücknahme nicht der Bedeutung und Tragweite der Erklärung bewusst gewesen. Dies stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts und der beim Verteidiger zu den Umständen der Rücknahme eingeholten Stellungnahme fest.

8Zwar folgt aus den Urteilsgründen, dass der psychiatrische Sachverständige beim Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert hat und sich offensichtlich wahnhaft geprägte Gedankengänge auch noch in den Einlassungen des Beschuldigten in der Hauptverhandlung offenbart haben. Dies ist für die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung jedoch nicht von maßgeblicher Bedeutung (vgl. , NStZ 2017, 487, 488 mwN). Vielmehr zeigt schon das Schreiben vom , mit dem er zunächst selbst die Revision einlegte und in dem er die „Gesamtanfechtung“ des Urteils und Verletzung seines Notwehrrechts nach § 32 StGB anführte, ebenso wie sein Aufforderungsschreiben an seinen Verteidiger vom , dem Gericht die Rücknahme mitzuteilen, dass der Beschuldigte über Förmlichkeiten informiert war und entsprechend handelte. Der Verteidiger hat zudem in seiner Stellungnahme erklärt, es habe keinen Hinweis auf eine vorgelegene Geschäftsunfähigkeit des Beschuldigten gegeben. Dass dieser bei Abfassen seines Schreibens vom infolge der schizophrenen Erkrankung in seiner Willensentschließung und Willensbetätigung beschränkt war, ist danach nicht ersichtlich.

92. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war als unzulässig zu verwerfen, da dieser die wirksame und damit nicht widerrufbare oder anfechtbare Rücknahmeerklärung entgegensteht, die zum Verlust des Rechtsmittels führt. Eine Wiedereinsetzung ist rechtlich ausgeschlossen und daher unzulässig (BGH, aaO).

103. Die Revision hätte im Übrigen in der Sache keinen Erfolg gehabt, weil das Urteil keinen den Beschuldigten beschwerenden Rechtsfehler aufweist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290424B5STR559.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-67419