BGH Beschluss v. - 4 StR 448/23

Instanzenzug: LG Arnsberg Az: II-2 KLs 4/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen suchte der jugendliche Angeklagte am Abend des den ihm aus der Nachbarschaft vom Sehen her bekannten 83-jährigen Geschädigten B.     in dessen Wohnung auf, um ihn zur Herausgabe von dessen Pkw Audi A3 zu bewegen. Mit dem Fahrzeug beabsichtigte der Angeklagte, am Folgetag ein ihm gefallendes Mädchen von der Schule abzuholen und hierdurch zu beeindrucken. Ob der Angeklagte zunächst erfolglos versuchte, den Geschädigten zur Herausgabe seines Pkw zu bewegen oder (heimlich) den Autoschlüssel und damit dann den Pkw zu entwenden, vermochte das Landgericht nicht aufzuklären. Jedenfalls scheiterten etwaige dahingehende Bemühungen und der Angeklagte fasste den Entschluss, das Fahrzeug bzw. zunächst den Schlüssel mit Gewalt an sich zu bringen und zu diesem Zweck den Geschädigten anzugreifen und gegebenenfalls auch zu töten. Der Angeklagte versetzte ihm zehn Stich- bzw. Schnittwunden mittels eines Klappmessers in den Bereich des Oberkörpers und des Halses. Dabei erkannte er, dass er durch seine massiven Gewalthandlungen das Tatopfer möglicherweise tödlich verletzen könnte, nahm dies jedoch billigend in Kauf, um sich in den Besitz des Fahrzeugs zu bringen. Der heftig aus mehreren Wunden blutende Geschädigte brach daraufhin im Flur seiner Wohnung zusammen. Der Angeklagte nahm den Autoschlüssel an sich, verließ die Wohnung und begab sich anschließend zum Parkplatz. Er nutzte den Pkw in den folgenden zwei Tagen, ohne dessen Rückführung in Betracht zu ziehen. Am verunfallte er mit dem Fahrzeug. Die hierdurch ausgelösten Ermittlungen führten schließlich zum Auffinden der Leiche des Geschädigten, der infolge des erheblichen Blutverlusts durch die bis zu 19 cm tiefen Stichverletzungen binnen weniger Minuten verstorben war.

3Das Landgericht hat die Mordmerkmale der Ermöglichungsabsicht und der niedrigen Beweggründe bejaht.

II.

41. Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil in der Hauptverhandlung nur ein Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie als psychiatrischer Sachverständiger, nicht aber auch ein „Fachmann in Form eines Kinder- und Jugendpsychiaters“ gehört worden sei, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

5Eine Aufklärungsrüge setzt unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte Tatsache behauptet, die durch die unterbliebene Beweiserhebung bewiesen worden wäre (st. Rspr.; Rn. 18; Urteil vom – 5 StR 649/18 Rn. 12 jew. mwN). Bereits hierzu fehlt es an einem hinreichenden Vortrag. Soweit die Revision vorbringt, ein entsprechend qualifizierter Sachverständiger hätte Auskunft darüber geben können, „inwiefern“ das jugendliche Alter des Angeklagten, die fehlende Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer und die sogenannte „Übertötung“ in Einklang zu bringen seien sowie dass das Nachtatverhalten des Angeklagten nur auf eine psychiatrische Störung im Sinne eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zurückzuführen sei, handelt es sich lediglich um das Beweisziel.

62. Die Überprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Die Verurteilung wegen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB wird bereits durch die rechtsfehlerfrei getroffene Feststellung, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, eine andere Straftat zu ermöglichen, getragen.

73. Der Strafausspruch weist jedoch mehrere Rechtsfehler auf und kann daher nicht bestehen bleiben.

8a) Die Jugendkammer hat dem Angeklagten zu Unrecht angelastet, neben dem Mordmerkmal der Ermöglichungsabsicht auch das der niedrigen Beweggründe verwirklicht zu haben.

9aa) Zwar ist sie zutreffend davon ausgegangen, dass die Beantwortung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen hat (st. Rspr.; Rn. 3; Beschluss vom – 4 StR 327/17 Rn. 8 mwN). Sie hat jedoch übersehen, dass niedrige Beweggründe, die zugleich spezielle Mordmerkmale erfüllen und denen darüber hinaus kein weiterer Unrechtsgehalt zukommt, von diesen speziellen Mordmerkmalen verdrängt werden (vgl. Rn. 8 [Habgier]; Urteil vom – 1 StR 50/11, BGHSt 56, 239, Rn. 24; Urteil vom – 3 StR 1/99, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 38 [Verdeckungsabsicht]).

10bb) Danach war hier für die Annahme niedriger Beweggründe kein Raum. Die Jugendkammer hat ihre Wertung, der Angeklagte habe das Mordmerkmal der Ermöglichungsabsicht verwirklicht, rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass er sich den Gewahrsam an dem Fahrzeug mittels Gewalt gegen den Geschädigten verschaffen wollte und dabei dessen Tod als Folge der die Wegnahme zumindest erleichternden Gewalteinwirkung billigend in Kauf nahm (vgl. zu einer solchen Fallkonstellation , BGHSt 39, 159, 160). Diesen für den Angeklagten im Vordergrund stehenden Handlungsantrieb (Besitzerlangung an dem Pkw) hat die Jugendkammer sodann aber auch in maßgeblicher Weise zur Begründung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe herangezogen. Dass daneben auch andere Beweggründe vorlagen, die für sich genommen als „niedrig“ im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB zu bewerten sind, ergeben die Urteilsgründe nicht. Soweit es dem Angeklagten darum ging, mit dem erbeuteten Fahrzeug einer jungen Frau zu imponieren, kann daraus für sich genommen noch kein niedriger Beweggrund abgeleitet werden. Auch die Feststellung eines krassen Missverhältnisses zwischen Tatanlass und Tötung genügt allein für diese Annahme nicht, insbesondere wenn der Täter – wie vorliegend festgestellt – den Tötungsentschluss spontan fasste (vgl. , Rn. 11; Urteil vom – 1 StR 505/99 Rn. 8).

11b) Die Zumessung der Jugendstrafe erweist sich zudem auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil dem Angeklagten angelastet worden ist, dass der Geschädigte langsam verblutet sei und dabei über einige Minuten hinweg massive Schmerzen erlitten habe. Hierfür gibt es in den Feststellungen und der Beweiswürdigung keine Stütze. Die Urteilsgründe ergeben lediglich, dass das Tatopfer binnen weniger Minuten infolge massiven Blutverlusts verstarb.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130324B4STR448.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-67164