BGH Urteil v. - VII ZR 745/21

Instanzenzug: Az: 5 U 2780/19vorgehend LG Amberg Az: 13 O 1098/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2Er erwarb im Oktober 2015 von einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug GLK 220 CDI, 4Matic, BlueEfficiency als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 34.900 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 ausgestattet, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt worden ist. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), bei der während der Warmlaufphase des Motors die Temperatur des Kühlwassers begrenzt wird und sich dadurch die Stickoxidemissionen verringern. Das Fahrzeug ist von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3Der Kläger hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises nebst Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 3.959,53 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung verlangt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde.

4Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

5Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

6Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Von einem sittenwidrigen Verhalten könne zwar ausgegangen werden, wenn der Autohersteller zur Erlangung einer Typgenehmigung eine Motorsteuerungssoftware einsetze, deren Programmierung bewirke, dass das für die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte erforderliche Emissionskontrollsystem nur in der von der Motorsteuerung erkannten Prüfsituation arbeite, während im normalen Fahrbetrieb höhere Stickoxid-Emissionen erfolgten. Arbeite die beanstandete Steuerungssoftware unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen im Grundsatz in gleicher Weise wie im normalen Fahrbetrieb, sei der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gerechtfertigt.

9Die unstreitige Verwendung der KSR im Fahrzeug des Klägers begründe den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht. Der Kläger habe keine ausreichenden Anhaltspunkte aufgezeigt, um von einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung auszugehen. Aus dem vorgelegten Sachverständigengutachten ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Prüfzyklus (Neuer Europäischer Fahrzyklus - NEFZ) an der niedrigen Motordrehzahl und dem geringen Luftmassenstrom erkannt werde. Dass im realen Fahrzeugbetrieb die Regelung nicht aktiviert werde, liege allein daran, dass dort stärker beschleunigt und die zunächst aktivierte Sollwert-Absenkung nach 5 Sekunden dauerhaft abgeschaltet werde. Der Sachverständige habe zwar ausgeführt, die Sollwert-Absenkung arbeite in Abhängigkeit von einer Prüfstandserkennung. Diese Aussage habe sich jedoch nicht auf den Realbetrieb unter gleichen Bedingungen wie im Prüfzyklus bezogen, sondern auf eine hiervon abweichende “normale" Fahrweise, wobei der Sachverständige auf die geringen Beschleunigungen im Prüfzyklus hingewiesen habe, die dem tatsächlichen Fahrverhalten im Realbetrieb nicht entsprächen. Eine Erkennung der Vorkonditionierung könne den Ausführungen des Sachverständigen nicht entnommen werden.

10Die Äußerungen des KBA in dem vom Kläger angeführten Bericht des Bayerischen Rundfunks ließen ebenfalls nicht darauf schließen, dass die KSR eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung sei. Welche Prüfbedingungen die Behörde gemeint habe und ob es sich dabei um solche Abschalteinrichtungen gehandelt habe, die nur auf dem Prüfstand zum Einsatz kämen (wie etwa die Vorkonditionierung), bleibe offen. Amtliche Auskünfte des KBA gegenüber verschiedenen Gerichten, darunter dem Oberlandesgericht Naumburg, besagten, dass die Sollwert-Absenkung, die im Motorwarmlauf für geringere Stickoxid-Emissionen sorge, auch im Fahrbetrieb gegeben sei, wobei die Regelung allerdings bei Abweichungen von den Prüfbedingungen des NEFZ im realen Verkehr oft abgeschaltet werde. Damit habe das KBA bestätigt, dass bei Bedingungen, die den Prüfbedingungen des NEFZ vergleichbar seien, die Sollwert-Absenkung im realen Fahrbetrieb nicht anders arbeite als bei der Emissionsprüfung auf dem Rollenprüfstand. Die gegenüber dem Oberlandesgericht Celle erteilte Auskunft des KBA habe sich sogar auf ein typgleiches Fahrzeug des Modells GLK 220 GDI bezogen.

11Da sich die KSR im realen Fahrbetrieb unter vergleichbaren Bedingungen nicht anders verhalte als unter Prüfbedingungen, komme eine Haftung wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nur in Betracht, wenn die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und Verwendung der Abschalteinrichtungen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und den darin enthaltenen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich gehandelt hätten. Davon könne nicht ausgegangen werden, weil sich der Beklagten die Unzulässigkeit der KSR auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Funktion zur Einhaltung des Stickoxid-Grenzwerts im Prüfzyklus benötigt worden sei, nicht habe aufdrängen müssen. Im Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung für das Fahrzeug sei eine genaue Beschreibung der Emissionsstrategien im Typgenehmigungsverfahren nicht vorgeschrieben gewesen.

12Eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeuges scheide unter dem Gesichtspunkt eines Betrugs (§ 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB) aus, weil der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen bei einem selbständigen Händler erworben habe und deshalb das Erfordernis der Stoffgleichheit nicht erfüllt sei.

13Dahinstehen könne auch, welche Auswirkungen das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf die Gültigkeit der von der Beklagten ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung habe, weil die §§ 6, 27 EG-FGV nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien.

II.

14Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

151. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Rn. 14, VersR 2021, 1252; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

16a) Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe das Vorbringen des Klägers zur Prüfstandsbezogenheit der im Fahrzeug verbauten KSR unzutreffend gewürdigt und von der gebotenen Beweiserhebung abgesehen, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

17b) Fehlt es damit an einem begründeten Angriff gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Prüfstandsbezogenheit der KSR sei nicht substantiiert vorgetragen, zeigt die Revision auch keine anderen Umstände auf, die über die bloße Verwendung einer - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung hinaus die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten indizieren würden und die vom Berufungsgericht übergangen worden wären.

182. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245).

19Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraft-fahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenz-hypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalt-einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 aus-gerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zu-lassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungs-bescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erwor-benen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebs-beschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungs-widersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff.,BGHZ 237, 245; ebenso Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21 juris).

20Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, BGHZ 237, 245).

III.

21Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:270324UVIIZR745.21.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-66103