BGH Beschluss v. - VIII ZR 212/21

Instanzenzug: Az: 6 U 117/20 Beschlussvorgehend Az: 8 O 485/19nachgehend Az: VIII ZR 212/21 Beschluss

Gründe

11. Die vorliegend eine Aussetzung des Verfahrens tragenden Fragen sind mit denjenigen in den vorgenannten Senatsbeschlüssen vergleichbar.

22. Der Entscheidungserheblichkeit dieser Fragen steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht den erst in zweiter Instanz gehaltenen Sachvortrag des Klägers zu den Umständen des Vertragsschlusses und des Vorliegens eines - aus seiner Sicht ein Widerrufsrecht (§ 355 Abs. 1, § 312c Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 312g Abs. 1 BGB in der vom bis zum geltenden Fassung, inhaltlich identisch mit heutiger Fassung) begründenden - Fernabsatzvertrags (über eine Finanzdienstleistung) nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen hat.

3Zwar hat der Kläger neuen Sachvortrag gehalten, dieser ist aber teilweise unstreitig und insoweit ungeachtet des § 531 ZPO stets vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. , BGHZ 220, 77 Rn. 28; vom - II ZR 391/18, WM 2021, 390 Rn. 29; Beschluss vom - XI ZR 538/17, NJW 2018, 2269 Rn. 25; jeweils mwN).

4a) Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde ist der Vortrag des Klägers zu den Umständen des Vertragsschlusses, den er in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom gehalten hat, neu im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Denn in der Klageschrift hatte er noch vorgetragen, er "und die Beklagte" hätten "den Leasingvertrag in den Geschäftsräumen des aus dem Leasingvertrag ersichtlichen Kreditvermittlers" geschlossen. Hiernach war ein gesetzlicher beziehungsweise rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter der Beklagten beim Vertragsschluss anwesend.

5Demgegenüber hat der Kläger in der Berufungsinstanz vorgebracht, die Klageschrift enthalte einen "redaktionellen Fehler" und sein erstinstanzlicher Vortrag, wonach der "streitgegenständliche Leasingvertrag im stationären Handel abgeschlossen" worden sei, sei unrichtig. Denn er habe sich vor Vertragsschluss "lediglich in den Geschäftsräumen des den hiesigen Leasingvertrag vermittelnden Autohauses" befunden, was jedoch nicht ausreichend sei, den Vertrag als "Präsenzgeschäft" zu werten. Das Autohaus als Vertragsvermittler habe nicht, wie zuvor behauptet, als Stellvertreter der Beklagten, sondern "nur als Bote" gehandelt.

6b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dieser neue Sachvortrag in einem entscheidungserheblichen Teil unstreitig.

7aa) Zwar hat die Beklagte den Klägervortrag, wonach die Mitarbeiterin des Autohauses keine weitergehenden Befugnisse gehabt hätte, als das Leasingformular der Beklagten nach deren Vorgabe auszufüllen und die Legitimation beziehungsweise die Identität des Klägers zu bestätigen, mithin "lediglich als Ausfüllhilfe" tätig gewesen sei, bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO). Denn die Beklagte hat demgegenüber vorgebracht, die Mitarbeiterin des Autohauses habe dem Kläger den Inhalt des Leasingvertrags vollumfänglich erläutert und sei dazu ermächtigt gewesen, ihm verbindliche Informationen zu geben. Damit liegt hinsichtlich des Umfangs der Befugnisse der Mitarbeiterin des Autohauses (neuer) streitiger Sachvortrag vor, der nach § 531 Abs. 2 ZPO insoweit zutreffend vom Berufungsgericht nicht berücksichtigt wurde. Der Kläger hat Gründe im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach dieser Vortrag ausnahmsweise zuzulassen wäre, nicht vorgebracht, vielmehr hat er selbst einen "redaktionellen Fehler" eingeräumt.

8Er hat sich den seinem eigenen Vortrag (Mitarbeiterin als bloße "Ausfüllhilfe") widersprechenden Beklagtenvortrag (Mitarbeiterin sei zur Auskunfts- und Informationserteilung befugt) nicht, auch nicht hilfsweise unter dem Gesichtspunkt des gleichwertigen Parteivorbringens zu eigen gemacht (vgl. hierzu , NJW-RR 1994, 1405 unter III 1 mwN; vom - II ZR 155/98, NJW 2000, 1641 unter II 2; vom - I ZR 150/15, NJW 2018, 2412 Rn. 39).

9bb) Jedoch ist nach Vorstehendem zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz unstreitig geworden, dass die Mitarbeiterin des Autohauses jedenfalls nicht als Stellvertreterin der Beklagten gehandelt hat. Den entsprechenden Vortrag des Klägers, wonach diese "nicht als rechtsgeschäftlicher Stellvertreter der Beklagten tätig" geworden sei, hat die Beklagte nicht bestritten.

10c) Dies hat das Berufungsgericht nicht beachtet und den gesamten Klägervortrag nicht berücksichtigt. Dadurch hat es die Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO offensichtlich fehlerhaft angewandt und - wie von der Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend gerügt - das rechtliche Gehör des Klägers (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZR 226/19, juris Rn. 13 mwN).

11Anders als die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung meint, kann die Entscheidungserheblichkeit dieser Gehörsverletzung derzeit nicht verneint werden. Denn die Frage, ob das Vorliegen eines Fernabsatzgeschäfts (über Finanzdienstleistungen) lediglich dann ausscheidet, wenn dem Verbraucher ein Stellvertreter des Unternehmers gegenübertritt, und es daher bei - wie hier - fehlender Stellvertretung auf Befugnisse zur Auskunfts- und Informationserteilung nicht ankommt, ist Gegenstand der Vorlagefrage im eingangs genannten Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. Vorlagebeschlüsse des Landgerichts Ravensburg vom - 2 O 238/20, juris Rn. 74, 95 aE; vom - 2 O 378/20 u.a., juris Rn. 154, 157).

123. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:221122BVIIIZR212.21.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-65273