Antrag auf Erlass einer Kindergeldrückforderung infolge sachlicher sowie persönlicher Unbilligkeit nach Verletzung der Mitwirkungspflichten
infolge unterlassener Mitteilung des Umzug der Familie in die Türkei
Ausschluss einer Kindergeldrückforderung nach Treu und Glauben
Leitsatz
1. Hat der Kindergeldberechtigte seine steuerlichen Mitwirkungspflichten nach § 68 EStG verletzt, sind die Voraussetzungen
für einen Erlass nach § 227 AO infolge persönlicher Unbilligkeit nicht erfüllt.
2. Versäumnisse des Steuerpflichtigen während des Aufhebungs-, Rückforderungs- und Rechtsbehelfsverfahrens können nicht im
Billigkeitswege zu seinen Gunsten korrigiert werden. Denn der Erlass dient nicht dazu, die Folgen schuldhafter Versäumnis
von Rechtsbehelfsmöglichkeiten auszugleichen. Im Erlassverfahren ist vielmehr davon auszugehen, dass die Forderung zu Recht
festgesetzt worden ist.
3. Bei Einwänden, die die materiell-rechtliche Richtigkeit der Aufhebung einer bestandskräftig gewordenen Kindergeldfestsetzung
und Rückforderung des Kindergeldes betreffen, ist ein Erlass aus Billigkeitsgründen nur möglich, wenn die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung
und Rückforderung des Kindergeldes offensichtlich und eindeutig falsch sind und dem Kindergeldberechtigten nicht zuzumuten
war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wenden. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
4. Wurde die Kindergeldfestsetzung bestandskräftig aufgehoben, ist die Behörde nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zur Rückforderung
verpflichtet; die Rückforderung steht nicht im Ermessen der Behörde.
5. Der auch im Steuerrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben steht dem Kindergeld-Rückforderungsanspruch der Familienkasse
nicht entgegen, wenn es an einem Verhalten der Familienkasse fehlt, welches für den Rückforderungsschuldner bei objektiver
Auslegung den eindeutigen Schluss zugelassen hätte, dass ihm das zu Unrecht gezahlte Kindergeld endgültig belassen werde.
Außerdem kann sich nur derjenige gegenüber der Rückforderung auf Treu und Glauben berufen, der sich selbst rechtstreu verhalten
hat, was bei einer vorangegangenen Verletzung der Mitwirkungspflichten (hier: unterlassene Mitteilung des Wegzugs der Familie
in die Türkei) nicht der Fall ist.
6. Allerdings ist bei der Frage der sachlichen Unbilligkeit der Geltendmachung der Rückforderungsansprüche der Familienkasse
nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung das Verhalten des Kindergeldberechtigten und der Familienkasse zu berücksichtigen.
Das Verhalten der Beteiligten ist zu würdigen und gegeneinander abzuwägen. Dabei sind alle für die Abwägung relevanten Umstände
des Einzelfalls, insbesondere der Grad der Pflichtverletzung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Gedanke der Zumutbarkeit
zu berücksichtigen. Ist einerseits kein zögerliches oder fehlerhaftes Verhalten der Familienkasse, das zur Entstehung des
Rückforderungsanspruchs beigetragen hat, feststellbar und hat andererseits der Kläger eine Mitwirkungspflichtverletzung gemäß
§ 68 Abs. 1 EStG zu vertreten, ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Familienkasse einen Erstattungsanspruch abgelehnt
hat.
Fundstelle(n): BAAAJ-64944
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