Vorlage von Bewerbungsunterlagen - digitales Leserecht
Leitsatz
Der Arbeitgeber, der den Bewerbungsprozess um eine ausgeschriebene Stelle mithilfe eines Softwareprogramms digital durchführt, genügt seiner Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat, wenn er dessen Mitgliedern für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein auf die im Programm hinterlegten Bewerbungsunterlagen bezogenes - mithilfe von zur Verfügung gestellten Laptops jederzeit nutzbares - Einsichtsrecht gewährt und die Möglichkeit besteht, Notizen anzufertigen.
Gesetze: § 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 99 Abs 4 BetrVG, § 99 Abs 2 Nr 3 BetrVG
Instanzenzug: ArbG Halle (Saale) Az: 7 BV 71/21 NMB Beschlussvorgehend ArbG Halle (Saale) Az: 3 BV 84/21 NMB Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 2 TaBV 1/22 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme.
2Die Arbeitgeberin - ein Unternehmen der Getränkeindustrie - beschäftigt regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Sie unterhält in L einen Betrieb, in dem der beteiligte Betriebsrat gebildet ist. Die Mitglieder des Betriebsrats verfügen über Laptops, die sie für ihre Betriebsratstätigkeit nutzen können.
3Die Arbeitgeberin verwendet in ihrem Unternehmen eine Software zum „Recruiting“. Das Programm verwaltet ua. Stellenausschreibungen und enthält ein internes und externes Bewerberportal. Ausweislich der Anlage 3b der hierzu geschlossenen Rahmen-Konzernbetriebsvereinbarung 01/2019 (KBV) müssen sich externe Bewerber einen Account anlegen, um am Bewerbungsprozess teilzunehmen. Bewerbungen, die dennoch in Papierform eingehen, werden zuvor manuell erfasst. Die weitere Bearbeitung erfolgt, nachdem der jeweilige Nutzer seine Zustimmung zur Datenverarbeitung erteilt hat (Nr. 2.3 der Anlage 3b zur KBV). Den Mitgliedern des Betriebsrats steht ein Einsichtsrecht in die in Nr. 8 der Anlage 3b zur KBV aufgeführten „Datenfelder“ des Programms zu. Sie enthalten ua. die persönlichen Angaben des Bewerbers, sein „Anschreiben“ und seinen Lebenslauf sowie etwaige Zeugnisse und Zertifikate.
4Die Arbeitgeberin schrieb im Frühjahr 2021 die Stelle eines „Prozess- und Projektspezialisten Technik“ aus. Hierauf gingen 33 externe Bewerbungen ein. Die „Bewerbungsunterlagen“ wurden im Programm „Recruiting“ hinterlegt.
5Die Arbeitgeberin bat den Betriebsrat am um Zustimmung zu der beabsichtigten Einstellung von Herrn G. Als „geplantes Eintrittsdatum“ war der angegeben. Nachdem dem Betriebsrat auf seine Bitte hin die Protokolle der Bewerbungsgespräche und die Stellenbeschreibung nachgereicht worden waren, verweigerte er mit Schreiben vom die Zustimmung zu der geplanten Einstellung. Am ersuchte die Arbeitgeberin den Betriebsrat erneut um Zustimmung zu der geplanten Einstellung, die er mit Schreiben vom verweigerte.
6Anfang August 2021 beantragte die Arbeitgeberin die gerichtliche Zustimmungsersetzung. Das Arbeitsgericht entschied über den Antrag am . Am teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie werde Herrn G ab dem vorläufig einstellen. Nachdem der Betriebsrat die Dringlichkeit dieser Maßnahme bestritten hatte, leitete die Arbeitgeberin am ein weiteres, auf eine entsprechende Feststellung gerichtetes Beschlussverfahren ein. Beide Verfahren wurden in der Beschwerdeinstanz vom Landesarbeitsgericht zur gemeinsamen Anhörung und Entscheidung verbunden.
7Die Arbeitgeberin hat gemeint, die Zustimmung des Betriebsrats sei zu ersetzen. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß unterrichtet worden. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verlange nicht, dass ihm die „Bewerbungsunterlagen“ in Papierform vorgelegt werden müssten. Ein Grund für die Verweigerung der Zustimmung bestehe nicht.
8Die Arbeitgeberin hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Bedeutung - beantragt,
9Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen, und die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne nicht ersetzt werden. Er sei nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Die „Bewerbungsunterlagen“ hätten ihm in Papierform vorgelegt werden müssen. Unabhängig hiervon bestünden auch Gründe für die Verweigerung der Zustimmung.
10Das Arbeitsgericht hat den - dort in der Hauptsache zur Entscheidung gestellten - Antrag der Arbeitgeberin auf Feststellung, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung von Herrn G als erteilt gilt, abgewiesen. Dem als Hilfsantrag angebrachten Zustimmungsersetzungsantrag hat es stattgegeben. Hiergegen hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt. Dem Feststellungsantrag nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat das Arbeitsgericht ebenfalls entsprochen. Gegen diesen Beschluss haben der Betriebsrat Beschwerde und die Arbeitgeberin Anschlussbeschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat beide Beschwerden des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren auf vollständige Antragsabweisung weiter.
11B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Einstellung von Herrn G zu ersetzen ist. Der hierauf gerichtete Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig und begründet. Damit erübrigt sich eine Entscheidung über den Feststellungsantrag zu 2.
12I. Der Zustimmungsersetzungsantrag hat Erfolg.
131. Der Antrag zu 1. ist zulässig. Für ihn besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu - Rn. 14 mwN, BAGE 167, 43). Die Arbeitgeberin, die in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, benötigt zu der Einstellung von Herrn G die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
142. Der Antrag ist auch begründet.
15a) Gegenstand des Verfahrens ist die betriebsverfassungsrechtliche Befugnis der Arbeitgeberin, die geplante Einstellung auf der Grundlage des mit Schreiben vom eingeleiteten Zustimmungsverfahrens endgültig durchzuführen. Die Arbeitgeberin hat dieses Zustimmungsersuchen nicht dadurch zurückgezogen, dass sie den Betriebsrat am erneut um Zustimmung gebeten hat. Ein neues Zustimmungsverfahren zu einer eigenständigen personellen Einzelmaßnahme hätte sie damit nur dann eingeleitet, wenn sie von der ursprünglich geplanten Einstellung Abstand genommen hätte (vgl. dazu etwa - Rn. 24 ff., BAGE 117, 123; - 1 ABR 54/03 - Rn. 14, BAGE 113, 102). Dies war nicht der Fall. Die Arbeitgeberin strebte vielmehr weiterhin - entsprechend ihrem „ersten“ Ersuchen - die endgültige künftige Einstellung von Herrn G an. Dem Schreiben vom lag weder eine neue Stellenausschreibung noch eine erneut vorgenommene Bewerberauswahl zugrunde. Die Arbeitgeberin verschob lediglich das zunächst beabsichtigte Einstellungsdatum um einen Monat und teilte dies dem Betriebsrat - zusammen mit weiteren ergänzenden Informationen über die geplante Einstellung - mit.
16b) Das Zustimmungsverfahren wurde ordnungsgemäß eingeleitet.
17aa) Die gerichtliche Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG setzt eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG voraus. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die geplante personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu informieren. Erforderlich und ausreichend ist eine Unterrichtung, die es dem Betriebsrat ermöglicht, aufgrund der mitgeteilten Tatsachen zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe gegeben ist. Bei einer Einstellung sind nach § 99 Abs. 1 Satz 2 BetrVG insbesondere der in Aussicht genommene Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen ( - Rn. 29, BAGE 167, 43).
18bb) Diesen Anforderungen wird die Unterrichtung gerecht.
19(1) Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat mit Schreiben vom die notwendigen persönlichen Daten von Herrn G, die Position, die er im Betrieb bekleiden sollte, und seine vorgesehene Eingruppierung mit. Sie überließ dem Betriebsrat in der Folgezeit die für die neu geschaffene Stelle eines Prozess- und Projektspezialisten angefertigte Stellenbeschreibung und die Protokolle der mit Herrn G geführten Bewerbungsgespräche. Ferner unterrichtete sie ihn mit Schreiben vom ergänzend über die voraussichtlichen Auswirkungen der geplanten Einstellung.
20(2) Die Arbeitgeberin kam zudem ihrer Verpflichtung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nach, dem Betriebsrat die erforderlichen „Bewerbungsunterlagen“ vorzulegen. Den Mitgliedern des Betriebsrats stand nach Nr. 8 der Anlage 3b zur KBV ein Einsichtsrecht in die dort näher aufgeführten „Datenfelder“ des Programms „Recruiting“ zu. Mithilfe der zur Verfügung stehenden Laptops konnten sie daher jederzeit die im Programm hinterlegten Anschreiben und Lebensläufe sowie - sofern übermittelt - Zeugnisse und Zertifikate der insgesamt 33 externen Bewerber um die Stelle eines „Prozess- und Projektspezialisten Technik“ einsehen. Anders als der Betriebsrat meint, war die Arbeitgeberin nicht gehalten, ihm die „Bewerbungsunterlagen“ der Interessenten in Papierform vorzulegen. Dies ergibt die Auslegung von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
21(a) Die sprachliche Fassung der Norm steht der Annahme, ein Arbeitgeber könne seine Vorlagepflicht gegenüber dem Betriebsrat durch die Gewährung eines jederzeitigen digitalen Leserechts - wie hier nach Nr. 8 der Anlage 3b zur KBV - erfüllen, nicht entgegen. Zwar zeigen die Begriffe „Bewerbungsunterlagen“ und „vor(zu)legen“, dass dem im Jahr 1972 in Kraft getretenen § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG - entsprechend der damaligen Lebenswirklichkeit - die Vorstellung zugrunde liegt, derartige Unterlagen würden stets in physisch verkörperter Form eingereicht und müssten dem Betriebsrat daher auch in dieser Form überlassen werden (in diesem Sinn auch - zu B II 1 der Gründe, BAGE 50, 236, wo „Urkunden“, „Sachen“ und „Schriftstücke“ benannt werden). Umgangssprachlich beschreibt eine „Unterlage“ etwas „schriftlich Niedergelegtes, das als Beweis, Beleg, Bestätigung … für etwas dient“ (vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch 9. Aufl. Stichwort „Unterlage“; ähnlich auch Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „Unterlage“: „als Beweisstück, Nachweis, Beleg dienende, schriftliche Aufzeichnungen“). Das Verb „vorlegen“ bedeutet typischerweise „etwas vor jemanden zur Ansicht, Begutachtung, Bearbeitung … hinlegen“ (vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch 9. Aufl. Stichwort „vorlegen“) oder etwas „vorzeigen, zeigen, vorweisen“ (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „vorlegen“). Der durch den Wortlaut der Norm vermittelte Wortsinn lässt jedoch erkennen, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat digital verfügbare „Bewerbungsunterlagen“ auch nur in dieser Form zur Verfügung stellen muss. Bei einem funktionalen Verständnis sind solche „Unterlagen“ alle Interessenbekundungen und dem Arbeitgeber zu diesem Zweck übermittelten Daten, die von den Bewerbern übersandt werden. In welchem Format die Einreichung dieser Angaben beim Arbeitgeber erfolgt, ist für ihre Eigenschaft als Grundlage für dessen spätere Auswahlentscheidung unerheblich. Zudem geht das Gesetz - wie der in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verwendete bestimmte Artikel („die“) zeigt - davon aus, der Arbeitgeber müsse dem Betriebsrat grundsätzlich auch nur die ihm selbst übermittelten „Original“-Unterlagen zur Verfügung stellen (in diesem Sinn auch - zu B II 4 und 5 der Gründe, aaO). Dies lässt den Schluss zu, dass er nicht gehalten ist, dem Betriebsrat digital über ein Bewerberportal eingegangene „Bewerbungsunterlagen“ in Papierform zu überlassen.
22(b) Ein solches Verständnis entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung.
23(aa) Die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG soll dem Betriebsrat zum einen diejenigen Informationen verschaffen, die er benötigt, um sein Recht zur Stellungnahme sachgerecht ausüben zu können. Der Arbeitgeber hat ihn daher so zu unterrichten, dass er aufgrund der mitgeteilten Tatsachen in die Lage versetzt wird zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt. Zum anderen soll der Betriebsrat vor einer Einstellung die Möglichkeit haben, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen - als dem vom Arbeitgeber ausgewählten - Stellenbewerbers sprechen (vgl. - Rn. 28 mwN). Dies erfordert, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Unterlagen aller Stellenbewerber in der Regel so überlässt, dass sie ihm für die Dauer der gesetzlichen Entscheidungsfrist über das Zustimmungsgesuch - einschließlich der Sitzung, in der hierüber beschlossen wird - zur Verfügung stehen (vgl. - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 113, 109; - 1 ABR 72/83 - zu B II 1 und 2 der Gründe, BAGE 50, 236).
24(bb) Diesen Vorgaben ist genügt, wenn der Arbeitgeber - wie hier - den Mitgliedern des Betriebsrats für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG ein auf die digital vorhandenen „Bewerbungsunterlagen“ aller Interessenten bezogenes Einsichts- und Leserecht gewährt. Damit hat der Betriebsrat die Möglichkeit, sich diejenigen Informationen zu verschaffen, die er benötigt, um eine Stellungnahme nach § 99 Abs. 2 BetrVG abgeben zu können. Der jederzeit mögliche Zugriff auf die hinterlegten Bewerberdaten mithilfe der vorhandenen Laptops erlaubt es ihm, eigene Vorschläge für eine Auswahl zu unterbreiten oder auf Umstände hinzuweisen, die nach seiner Auffassung für einen anderen Bewerber sprechen. Darüber hinaus ist sichergestellt, dass die „Unterlagen“ den Mitgliedern des Betriebsrats auch während der Sitzung, in der der Beschluss gefasst wird, ohne Weiteres zur Verfügung stehen. Sie haben damit die Möglichkeit, sich mit den Personalien aller Bewerber vertraut zu machen und darüber zu diskutieren (vgl. zu diesem Aspekt - zu B II 2 der Gründe, BAGE 50, 236). Der Betriebsrat hat in diesem Fall auch den gleichen Informationsstand wie der Arbeitgeber, der die Bewerberauswahl ebenfalls anhand der im System erfassten Angaben durchführt (vgl. hierzu - zu B II 2 b bb (2) der Gründe, BAGE 113, 109).
25(c) Gesetzessystematische Erwägungen stehen einem solchen Normverständnis nicht entgegen. Zwar räumt § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Betriebsrat grundsätzlich ein Recht auf (vorübergehende) Überlassung der „Bewerbungsunterlagen“ und nicht lediglich ein „Einblicksrecht“ ein, wie es in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG für die Bruttoentgeltlisten vorgesehen ist. Das den Betriebsratsmitgliedern zu gewährende Einsichts- und Leserecht geht jedoch über eine bloße Befugnis zur jederzeitigen Einsichtnahme in die Unterlagen hinaus. Die Betriebsratsmitglieder haben von Gesetzes wegen die - insoweit auch nicht durch die KBV einschränkbare - Möglichkeit, sich (erforderlichenfalls umfangreiche) Notizen zu machen oder sog. Screenshots anzufertigen. Schon aus diesem Grund stehen dem Betriebsrat damit weitergehende Befugnisse als nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG zu (vgl. dazu - Rn. 41 mwN, BAGE 119, 356).
26(d) Auch die Gesetzeshistorie gebietet keine andere Auslegung. Der Umstand, dass die sprachliche Fassung des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) vom (BGBl. I S. 1762) nicht an die fortschreitende Digitalisierung angepasst wurde, lässt nicht den Schluss zu, die Vorlage von Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat habe stets in Papierform zu erfolgen. Wie die durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz modifizierten gesetzlichen Bestimmungen erkennen lassen, hat der Gesetzgeber einen Bedarf für Änderungen insoweit nur bei der Möglichkeit zur Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz sowie bei der Unterzeichnung (Signatur) und Niederlegung von Betriebsvereinbarungen und Einigungsstellensprüchen in elektronischer Form gesehen. Dies zeigt, dass er - anders als der Betriebsrat meint - die Regelung des § 99 BetrVG trotz der ihm bekannten Veränderungen in der Arbeitswirklichkeit für ausreichend hält, um den sich hieraus ergebenden Anforderungen gerecht zu werden.
27(e) Datenschutzrechtliche Erwägungen führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Das digitale Einsichtsrecht des Betriebsrats beschränkt sich im Entscheidungsfall auf diejenigen Unterlagen, die - wenn sie physisch vorhanden wären - dem Betriebsrat in dieser Form hätten überlassen werden müssen. Die darin liegende Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 DSGVO iVm. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG erforderlich, weil sie der Erfüllung einer in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgesehenen Pflicht des Arbeitgebers dient (vgl. ausf. dazu - Rn. 62 ff.). Zudem sind die Mitglieder des Betriebsrats in jedem Fall verpflichtet, über die ihnen in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Arbeitnehmer Stillschweigen zu bewahren.
28(3) Soweit der Betriebsrat im Anhörungstermin vor dem Senat erstmals geltend gemacht hat, die Unterrichtung sei auch deshalb nicht ordnungsgemäß gewesen, weil es bei der Verwendung der Software „Recruiting“ zu technischen Problemen gekommen sei und die Namen der Bewerber anonymisiert gewesen seien, handelt es sich um neuen Sachvortrag. Dieser ist in der Rechtsbeschwerde nach § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig.
29c) Die Zustimmung des Betriebsrats gilt nicht nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt. Dies steht aufgrund der präjudiziellen Wirkung der insoweit rechtskräftigen (§ 322 Abs. 1 ZPO) Entscheidung des Arbeitsgerichts, mit der es den erstinstanzlichen Antrag der Arbeitgeberin auf eine entsprechende Feststellung abgewiesen hat, bindend fest (vgl. zur präjudiziellen Wirkung rechtskräftiger Beschlüsse - zu B II 3 c der Gründe).
30d) Die Zustimmung ist jedoch zu ersetzen.
31aa) Der Betriebsrat hat seine Zustimmung mit Schreiben vom zu Unrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG verweigert.
32(1) Die Vorschrift erfordert die durch Tatsachen begründete Besorgnis, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer, auch wenn sie nicht gekündigt werden, sonstige Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt wäre. Ein sonstiger Nachteil liegt vor, wenn sich die tatsächliche oder rechtliche Stellung eines Arbeitnehmers nicht unerheblich verschlechtert. Regelungszweck des § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG ist die Erhaltung des Status quo der bereits im Betrieb tätigen Arbeitnehmer (vgl. - zu B I 3 b aa der Gründe, BAGE 112, 251).
33(2) Derartige Nachteile, die den schon beschäftigten Arbeitnehmern durch die Einstellung von Herrn G als „Prozess- und Projektspezialist Technik“ im Bereich Instandhaltung entstehen könnten, sind weder vom Betriebsrat dargetan noch ersichtlich. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin - anders als vom Betriebsrat gewünscht - anstelle der von ihr geplanten Maßnahme keinen Elektriker einstellt, begründet keinen durch die Einstellung von Herrn G bedingten Nachteil der bereits beschäftigten Elektriker. Dass es für diese Arbeitnehmer infolge seiner Einstellung zu Mehrarbeit oder Arbeitsverdichtung kommen wird, ist nicht erkennbar.
34bb) Auf die weiteren von ihm im laufenden Zustimmungsersetzungsverfahren geltend gemachten Zustimmungsverweigerungsgründe kann sich der Betriebsrat nicht berufen. Diese Gründe hat er in seinen Zustimmungsverweigerungsschreiben nicht vorgebracht. Ein Nachschieben weiterer Gründe nach Ablauf der Wochenfrist scheidet aus (vgl. - Rn. 40 mwN, BAGE 167, 252).
35II. Im Hinblick auf den Antrag nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG war das Verfahren einzustellen (vgl. dazu - Rn. 48 f. mwN, BAGE 130, 1).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:131223.B.1ABR28.22.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 1084 Nr. 19
BB 2024 S. 1087 Nr. 19
DB 2024 S. 1145 Nr. 18
DStR-Aktuell 2024 S. 12 Nr. 18
NJW 2024 S. 10 Nr. 19
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2024 S. 1154
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2024 S. 1154
GAAAJ-64750