Diesel-Abgasskandal: Deliktische Haftung des Motorenherstellers
Leitsatz
Zur deliktischen Haftung des Motorenherstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber einem Fahrzeugkäufer, der bei Erwerb des Fahrzeugs wusste, dass dieses mit der vom KBA als unzulässig beanstandeten Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war.
Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 EGV 715/2007
Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 4 U 46/19vorgehend LG Osnabrück Az: 12 O 2668/18
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die beklagte Motorenherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger erwarb im Februar 2016 bei einem Händler einen nicht von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagen des Typs Audi A4 Avant 2.0 TDI zum Preis von 19.525 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Die Beklagte ist Herstellerin des Motors. Die Motorsteuerung war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und in diesem Falle in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-optimierten Modus, schaltete. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
3Vor Abschluss des Kaufvertrags, am , hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stehe. Weitere interne Prüfungen hätten ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vorhanden sei. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom , die Abschalteinrichtung zu entfernen. Mit Pressemitteilung vom wies die Beklagte darauf hin, dass die betroffenen Aggregate zur Lösung des Problems ein Software-Update erhalten würden, was weniger als eine Stunde Arbeitszeit in Anspruch nehmen würde. Der Kläger hatte bei Erwerb des Fahrzeugs Kenntnis von diesen Umständen; er wusste auch, dass die Abschaltsoftware in dem erworbenen Fahrzeug verbaut war. Nach Erwerb des Fahrzeugs ließ er das ihm zur Beseitigung der Abschalteinrichtung angebotene Software-Update durchführen.
4Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten in Bezug auf Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte das Fahrzeug dahingehend beeinflusst habe, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweise als im regulären Betrieb, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
I.
5Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint. Das Verhalten der Beklagten sei zwar grundsätzlich als sittenwidrig anzusehen. Es fehle aber an der Kausalität dieses Verhaltens für den Eintritt eines Schadens beim Kläger. Denn der Kläger habe zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs gewusst, dass der Motor mit einer Abgasmanipulationssoftware ausgestattet gewesen sei und Audi eine Lösung des Problems habe finden müssen. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass das Fahrzeug seine Zulassung im Straßenverkehr habe verlieren können. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Aufspielen des Software-Updates nicht seinen Erwartungen entsprochen und er von Audi eine andere Lösung erwartet habe. Dass andere, ihn besserstellende Maßnahmen als das von der Beklagten bereits mit der Pressemitteilung vom angekündigte Software-Update geplant oder geeignet gewesen seien, um die weitere Zulassung des Fahrzeugs und dessen beanstandungsfreien Betrieb zu garantieren, sei weder erkennbar noch vorgetragen.
II.
6Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz zu Recht versagt.
71. Die Feststellungsklage war nicht bereits als unzulässig abzuweisen (vgl. zum Vorrang der Zulässigkeits- vor der Begründetheitsprüfung: , NJW 2012, 1209 Rn. 44 f.; vom - II ZR 319/98, NJW 2000, 3718 Rn. 21).
8a) Der Feststellungsantrag ist trotz seiner weiten Formulierung hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er lässt noch ausreichend deutlich erkennen, auf welches konkrete zum Ersatz verpflichtende Ereignis die Klage gestützt wird (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 12; VIa ZR 110/21, juris Rn. 16). Der im Antrag enthaltenen Beschreibung der Verletzungshandlung als Beeinflussung der Abgasemission im Sinne einer Prüfstandserkennung ist mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass der Kläger die behauptete Ersatzpflicht der Beklagten darauf gründet, dass sie den in das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor mit der vom KBA mit Bescheid vom als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung versah und in den Verkehr brachte.
9b) Es kann offenbleiben, ob dem Feststellungsantrag das - auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende - Feststellungsinteresse fehlt (vgl. dazu Senatsurteil vom - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 14 ff.; VIa ZR 1083/22, juris LS und Rn. 16 mwN). Das Rechtsschutzbedürfnis in seiner besonderen Ausprägung in § 256 ZPO in Form des "rechtlichen Interesses an alsbaldiger Feststellung" ist keine Prozessvoraussetzung, ohne deren Vorliegen einem Gericht eine Sachprüfung und ein Sachurteil überhaupt verwehrt sind. Ob es zu bejahen wäre, muss nicht geklärt werden, wenn die Klage in der Sache abweisungsreif ist (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 404/02, VersR 2004, 525 juris Rn. 12; , NJW 2012, 1209 Rn. 44 f.; Becker-Eberhard in MünchKommZPO, 6. Aufl., § 256 Rn. 38). So verhält es sich im Streitfall.
102. Der mit der Klage verfolgte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen Ausstattung des im Fahrzeug des Klägers verbauten Motors mit einer Prüfstandserkennungssoftware steht dem Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu.
11a) Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB scheidet bereits deshalb aus, weil das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger nicht als sittenwidrig zu qualifizieren ist.
12aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit dem massenweisen Einbau einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware in die Steuerung des Motors EA189 nur im Verhältnis zu solchen Personen objektiv sittenwidrig, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit erwarben und zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 16; vom - VI ZR 151/20, VersR 2021, 1511 Rn. 12; vom - VI ZR 676/20, VersR 2022, 652 Rn. 18; vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; , NJW 2021, 3725 Rn. 17; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 16). Denn nur im Verhältnis zu solchen Fahrzeugkäufern ist die Annahme gerechtfertigt, dass sie beim Erwerb des Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Abgasgrenzwerte und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten; nur ihnen gegenüber war Raum für ein bewusstes und gezieltes Ausnutzen diesbezüglicher Arglosigkeit seitens der Beklagten (vgl. , VersR 2020, 1267 Rn. 37; vom - VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 15, 17; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 16, 19-21; , NJW-RR 2022, 243 Rn. 17).
13bb) Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht. Denn nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts wusste er bei Erwerb des Fahrzeugs, dass dieses mit der vom KBA als unzulässig beanstandeten Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war. Diese tatbestandliche Feststellung ist bindend. Sie erbringt gemäß § 314 Satz 1, § 525 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen in der Berufungsinstanz. Die Beweiskraft der tatbestandlichen Feststellung wird nicht durch das Sitzungsprotokoll entkräftet. Der Kläger hat auch keinen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt. Eine etwaige Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen kann aber nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO behoben werden. Eine Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO kommt zur Richtigstellung eines derartigen Mangels nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 89/18, VersR 2019, 953 Rn. 14 mwN).
14Abgesehen davon hat der Kläger sein Fahrzeug erst nach den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit, insbesondere der Ad-hoc-Mitteilung vom erworben. Aufgrund dieser Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für das bewusste Ausnutzen einer diesbezüglichen Arglosigkeit dieser Käufer war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (vgl. , ZIP 2020, 1715 Rn. 37; vom - VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 15, 17; vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8, 12).
15Die von der Revision insoweit vorgebrachten Einwände geben zu einer anderen Bewertung keinen Anlass (vgl. , aaO Rn. 12-20; vom - VI ZR 526/20, zVb unter II 2 b) bb)).
16Eine abweichende Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deshalb geboten, weil im Fahrzeug des Klägers zusätzlich eine getriebebezogene Abschalteinrichtung verbaut wäre, die ebenfalls die Werte auf dem Prüfstand verfälsche. Die Revision zeigt insoweit schon keinen Vortrag des Klägers in den Vorinstanzen auf, aus dem sich - über die bloße pauschale Behauptung hinaus - greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer solchen Steuerungsstrategie in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben könnten. Der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandsbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Euro-5-Norm) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße genügt nicht (vgl. , zVb unter II 2 a; vom - VI ZR 435/20, VersR 2022, 1122 Rn. 13 ff.; vom - VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 23; VIa ZR 397/21, juris Rn. 7, 9). Abgesehen davon zeigt die Revision keinen Sachvortrag des Klägers auf, der den Schluss zuließe, dass die Beklagte, die den Motor, nicht aber das Fahrzeug hergestellt hat, für die Verwendung einer getriebebezogenen Abschalteinrichtung verantwortlich ist.
17b) Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Zwar sind diese Bestimmungen unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.
18Einer Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV steht jedoch entgegen, dass es sich bei ihr nicht um den Fahrzeughersteller handelt, den die europäischen Abgasnormen - soweit ihnen drittschützender Charakter zukommt - allein in die Pflicht nehmen (vgl. VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246 Rn. 20). Einen vorsätzlichen Verstoß des Herstellers des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen unionsrechtliche Vorgaben, an dem sich die Beklagte im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB hätte beteiligen können (vgl. VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246 Rn. 21), hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Dem in der Revisionsbegründung als übergangen gerügten Klägervortrag sind insoweit ebenfalls keine Anhaltspunkte zu entnehmen.
193. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung eine Haftung der Beklagten auf die Entwicklung des Software-Updates gestützt hat, steht dem bereits entgegen, dass es sich um einen anderen Streitgegenstand handelt, der von dem vorliegenden Feststellungsantrag nicht erfasst wird (vgl. die Ausführungen unter Ziffer 1. a).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200224UVIZR236.20.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 8 Nr. 22
NJW 2024 S. 8 Nr. 22
NJW-RR 2024 S. 703 Nr. 11
WM 2024 S. 764 Nr. 16
KAAAJ-64377