Anforderungen an gerichtliche Würdigung für die Annahme des Vorliegens schädlicher Neigungen bei Heranwachsendem
Gesetze: § 17 Abs 2 JGG, § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 116a StPO
Instanzenzug: LG München I Az: 1 JKLs 463 Js 153955/22 jug
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in acht Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; zudem hat es gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 69.000 € angeordnet. Die gegen ihre Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat, betreffend die Einziehung auch zugunsten der nichtrevidierenden Mitangeklagten V. (§ 357 Satz 1 StPO), den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); der Schuldspruch birgt hingegen keinen Rechtsfehler zu ihren Lasten (§ 349 Abs. 2 StPO).
2Der Rechtsfolgenausspruch hält der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand.
3a) Die Annahme schädlicher Neigungen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 2 Alternative 1 JGG) begegnet mit der hierfür gegebenen Begründung durchgreifenden Bedenken.
4aa) Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, sofern erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; Rn. 7; vom – 2 StR 218/20 Rn. 22 und vom – 3 StR 331/19 Rn. 12 mwN; Beschluss vom – 3 StR 581/14 Rn. 5).
5bb) Diesen Vorgaben wird das Urteil nicht gerecht.
6(a) Das Landgericht hat sich nicht mit der Persönlichkeitsentwicklung der nicht vorgeahndeten Angeklagten vor der Tatserie, insbesondere nicht mit etwaigen daraus ersichtlichen Erziehungsdefiziten, auseinandergesetzt, sondern die schädlichen Neigungen allein mit der Begehung der Betrugstaten begründet (UA S. 38 f.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 78/16 Rn. 6 und vom – 3 StR 473/15 Rn. 5). Die erforderliche Gefahrenprognose im Hinblick auf zukünftig zu erwartende Straftaten fehlt. Das Geständnis der Angeklagten, ihre Entschuldigung gegenüber den beiden Betrugsopfern und die von ihr ernsthaft erstrebte Schadenswiedergutmachung als gewichtige ihr günstige Umstände bleiben unerörtert.
7(b) Auch die Begründung der schädlichen Neigungen zum Urteilszeitpunkt erweist sich als unzulänglich. Das Landgericht hat allein darauf abgestellt, dass die Angeklagte mit der Betreuung ihrer beiden unter einer Stoffwechselerkrankung leidenden Kleinkinder „ausgelastet“ sei (UA S. 39) und daher nach wie vor kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielen könne. Dies besagt nichts über die weitere Persönlichkeitsentwicklung der nunmehr erwachsenen Angeklagten und eine etwaige „Nachreifung“. Vielmehr hätte das Landgericht erörtern müssen, dass die letzte Tat zum Schluss der Verhandlung rund zwei Jahre zurücklag und die Angeklagte seitdem nicht erneut straffällig geworden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 170/15 Rn. 8; vom – 4 StR 37/15 Rn. 7 und vom – 2 StR 455/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 11 Rn. 9).
8(c) Diese Erörterungsmängel erfordern eine erneute tatgerichtliche Würdigung. Die Feststellungen bleiben hiervon unberührt und damit aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.
9b) Die Einziehungsanordnung (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand. Die Angeklagte hat sich, wie im Urteil ausgeführt wird (UA S. 10), mit der Verrechnung einer von ihr in Höhe von 70.000 € geleisteten Sicherheit, aufgrund derer sie vom weiteren Vollzug eines Untersuchungshaftbefehls verschont worden war, zur Schadenswiedergutmachung einverstanden erklärt. Mit einem wirksamen Verzicht auf die Rückzahlung des hinterlegten Betrages könnte die Angeklagte den staatlichen Zahlungsanspruch aus § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB erfüllt haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 373/20 Rn. 3; vom – 5 StR 560/18 Rn. 5 und vom – 5 StR 198/18, BGHSt 63, 305 Rn. 22 f., 33). Die rudimentären Ausführungen hierzu (vgl. auch UA S. 41) lassen indes die revisionsgerichtliche Überprüfung einer tatsächlich schon eingetretenen Erfüllungswirkung (vgl. § 362 Abs. 1, §§ 378, 376 Abs. 1 Nr. 1, 2 BGB iVm Art. 18 ff. des Bayerischen Hinterlegungsgesetzes in der Fassung vom ; § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Alternative 1 StPO) nicht zu.
10Gemäß § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung der Einziehungsanordnung in den sechs Betrugsfällen zu Lasten des Zeugen A. und in den zwei zu Lasten des Zeugen B. mit einem Gesamtbetrag von 69.000 € auf die Mitangeklagte V. zu erstrecken.
Jäger Wimmer Bär
Leplow Allgayer
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200224B1STR30.24.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-64137