BGH Urteil v. - VI ZR 755/20

(Diesel-Abgasskandal: Schadensersatzanspruch aufgrund des Kaufs eines VW Cross Touran DSG 2,0 l TDI mit einem Dieselmotor Typ EA189)

Leitsatz

Zur deliktischen Haftung des Kfz-Herstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 EGV 715/2007

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 U 277/19vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 16 O 2645/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - den beklagten Fahrzeughersteller (Beklagte zu 2; im Folgenden: Beklagte) auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am bei einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Cross Touran DSG 2,0 l TDI zu einem Preis von 16.300 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Motor des Fahrzeugs war zum Erwerbszeitpunkt mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet, die erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet, und in diesem Fall in einen Modus schaltet, in dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Ausstoß an Stickoxiden (NOx-Werte) verringert. Im normalen Fahrbetrieb hingegen aktiviert diese Software einen anderen Modus, in dem eine Abgasrückführung nur in geringerem Umfang stattfindet. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Prüfzyklus eingehalten.

3Am hatte die Beklagte eine - von einer Pressemitteilung vom gleichen Tag begleitete - Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stehe. An die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung schloss sich eine monatelange Medienberichterstattung an. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte im Oktober 2015, die Abschalteinrichtung zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Ebenfalls im Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der jedermann unter Eingabe der Fahrzeugidentitätsnummer ermitteln konnte, ob in das betreffende Fahrzeug die beschriebene "Umschaltlogik" verbaut gewesen ist. Die Beklagte unterrichtete auch Vertragshändler und Servicepartner darüber, dass Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA189 über eine solche "Umschaltlogik" verfügten. Die Beklagte entwickelte, um die Vorgaben des KBA zu erfüllen, im weiteren Fortgang der Ereignisse ein Software-Update. Ein solches Software-Update war bei dem von dem Kläger erworbenen Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt noch nicht aufgespielt, wurde aber später im Rahmen einer Rückrufaktion installiert.

4Mit seiner Klage begehrt der Kläger - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - zuletzt die Zahlung von 16.300 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie gegen Zahlung einer Entschädigung für dessen Nutzung, die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme der Zug-um-Zug-Leistung sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 12.283,73 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 958,19 € verurteilt und den Verzug der Beklagten mit der Annahme der Zug-um-Zug-Leistung festgestellt. Mit ihrer von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung des Klägers insgesamt weiter.

Gründe

I.

5Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte dem Kläger wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von dem Kläger gezogenen Nutzungen. Die Beklagte habe ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Auto produziert und dieses unter Vertuschung des Mangels auf den Markt gebracht, das der Kläger in Unkenntnis der Sachlage und damit auch ungewollt gekauft habe. In dieser Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit liege ein Schaden, der auch nicht durch die nach Abschluss des Kaufvertrags erfolgte Installation eines Software-Updates - unabhängig von seiner Eignung, den Mangel vollständig und ohne nachteilige Folgen für das Fahrzeug zu beseitigen - entfallen sei. Darauf, ob der der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnende Schädigungsvorsatz auch noch nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 fortbestand, komme es nicht an, weil maßgeblicher Zeitpunkt insoweit der Zeitpunkt der Schädigungshandlung sei. Diese sei auch sittenwidrig. Dem stünden die von der Beklagten ab dem ergriffenen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung - auch unter Schutzzweckgesichtspunkten - nicht entgegen, weil die Beklagte die Öffentlichkeit nicht freiwillig informiert habe, ihre öffentlichen Äußerungen insgesamt eine bagatellisierende Tendenz aufgewiesen hätten, sie nicht alles ihr Mögliche zur Schadensabwendung getan und sie das "Erfolgsabwendungsrisiko" zu tragen habe.

6Dementsprechend seien auch der Annahmeverzug der Beklagten festzustellen und dem Kläger vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten zuzuerkennen.

II.

7Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

8Soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) ungeachtet der seit September 2015 erfolgten Verhaltensänderung der Beklagten für gegeben hält, steht dies in Widerspruch zur gefestigten, wenn auch erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und ist rechtsfehlerhaft (unter II.1). Infolgedessen ist das Berufungsurteil aufzuheben. Soweit die Beklagte durch dieses zur Zahlung von 12.283,73 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 958,19 € verurteilt worden ist, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), weil insoweit die Sache nach dem festgestellten Sachverhältnis nicht zur Endentscheidung reif ist (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 nicht geprüft (unter II.2). Der Senat hat hingegen, weil insoweit weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO), in der Sache selbst zu entscheiden, soweit in dem Berufungsurteil der Verzug der Beklagten mit der Annahme der Zug-um-Zug-Leistung festgestellt worden ist. Mit diesem Antrag ist der Kläger jedenfalls deshalb abzuweisen, weil ihm Ansprüche aus § 826 BGB nicht zustehen (unter II.1).

91. Das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem massenweisen Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung im Verhältnis zu Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, ist zwar - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist - objektiv sittenwidrig und geeignet gewesen, die Haftung der Beklagten zu begründen (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 16 mwN; ferner , NJW 2021, 3725 Rn. 17; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 16). Ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB besteht aber - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, die die Revision mit Erfolg angreift - nicht, weil sich auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen und des revisionsrechtlich erheblichen Parteivorbringens das gesamte Verhalten der Beklagten im Zeitraum bis zum Eintritt des Schadens bei dem Kläger in der gebotenen Gesamtschau aufgrund einer zwischenzeitlichen Verhaltensänderung der Beklagten (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 15 ff.; , NJW 2021, 3725 Rn. 18 f.; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 17) nicht als sittenwidrig darstellt (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 7; auch VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 14). Dieser Zeitraum ist insofern maßgeblich (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. nur , NJW 2020, 2798 Rn. 30 f.; vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 13).

10Die Beklagte hat ihr Verhalten im September 2015 nach außen erkennbar maßgeblich geändert. Denn sie ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Hierdurch wurden wesentliche Elemente, die ihr bisheriges Verhalten gegenüber bisherigen Käufern von Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber dem Kläger und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im Januar 2016 entstanden sein könnte, nicht gerechtfertigt ist (vgl. , NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; vom - VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 14 f.; vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 9; Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 17; vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 8).

112. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob die Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 begründet ist. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, um diesem Gelegenheit zu geben, die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO).

12a) Bei diesen Normen handelt es sich - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.

13b) Die oben angeführten Abgasnormen - auch in Verbindung mit der Übereinstimmungsbescheinigung - schützen allerdings nicht die allgemeine Handlungsfreiheit und als deren Ausfluss das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers, das heißt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mit der Folge, dass die - gegebenenfalls auch fahrlässige - Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung zu einem deliktischen Anspruch des Käufers gegen den Hersteller auf Rückerstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises führte. Die allgemeine Handlungsfreiheit fällt nicht in den sachlichen Schutzbereich dieser Normen (so bereits Senatsurteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 76; nachfolgend ständige Rechtsprechung des BGH). Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) lässt sich nichts entnehmen, was zu einer Abkehr von dieser Rechtsprechung nötigen würde ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 24-26; Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 23).

14c) Jedoch kann dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Schutzgesetzverletzung zustehen, weil ihm aufgrund des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs ein Vermögensschaden in Form des Differenzschadens entstanden ist. Ein solcher Schaden, der darauf zurückzuführen ist, dass der Hersteller die ihm auch zugunsten des Käufers auferlegten Pflichten nach dem europäischen Abgasrecht nicht eingehalten hat, fällt nach Maßgabe des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) in den sachlichen Schutzbereich der europäischen Abgasnormen und ist insoweit im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB zu entschädigen.

15d) Ob dem Kläger im Ergebnis ein solcher Anspruch zusteht, lässt sich auf der Grundlage der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht wird dem Kläger im erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben haben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

Seiters                      Oehler                      Müller

                Böhm                   Katzenstein

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:230124UVIZR755.20.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 759 Nr. 16
GAAAJ-64134