Instanzenzug: Az: 9 U 69/22vorgehend Az: 65 O 135/21
Gründe
I.
1Die Klägerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung.
2Sie erwarb im November 2020 ein Fahrzeug mit Dieselmotor. Unter Behauptung unzulässiger Abschalteinrichtungen hat die Klägerin von der Beklagten im Wesentlichen verlangt, sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil sich die Berufungsbegründung nicht mit den tragenden Gründen des erstinstanzlichen Urteils auseinandersetze. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
31. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip).
42. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Darlegung, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger als unzutreffend bekämpft und welche rechtlichen oder tatsächlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. nur , NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10 f.; Beschluss vom - VIa ZB 19/22, juris Rn. 8; Beschluss vom - VIa ZR 56/23, juris Rn. 5, jeweils mwN).
6b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Klägerin.
7aa) Das Landgericht hat die Klageabweisung darauf gestützt, ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Klägerin durch den Einbau manipulativer Abschalteinrichtungen in sittenwidriger Weise geschädigt habe, seien nicht ersichtlich oder vorgetragen. Abgesehen von der fehlenden objektiven Sittenwidrigkeit gemäß § 826 BGB habe die Klägerin auch keinen Schaden dargelegt. Die Klägerin sei keine objektiv nachteilige Verbindlichkeit eingegangen. Behördliche Maßnahmen drohten nicht, jedenfalls sei dies nicht hinreichend dargetan.
8bb) Mit dieser Argumentation des Landgerichts setzt sich die Berufungsbegründung der Klägerin auseinander. Zwar umfasst die 139 Seiten lange Berufungsbegründung Wiederholungen erstinstanzlichen Vortrags, formelhafte Wendungen und allgemeine Ausführungen, die dem sieben Seiten langen Urteil des Landgerichts nicht ohne Weiteres zugeordnet werden können. Trotz dieser Mängel lässt sich der Berufungsbegründung aber entnehmen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die Klägerin die vom Landgericht für tragend gehaltenen Erwägungen für unrichtig erachtet. So verhält sich die Berufungsbegründung etwa auf Seite 3 (GA III 14) zur objektiven Sittenwidrigkeit und zum Vorsatz der Beklagten, wozu ab Seite 27 (GA III 38 ff.) näher vorgetragen wird. Damit wendet sich die Berufungsbegründung ersichtlich gegen die Auffassung des Landgerichts, ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Klägerin durch den Einbau manipulativer Abschalteinrichtungen in sittenwidriger Weise geschädigt habe, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschränkt sich die Berufungsbegründung insoweit nicht auf die "bloße Wiedergabe der Schlussanträge des Generalanwaltes bei dem EuGH".
9Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht einen Schaden der Klägerin verneint hat. Die Berufungsbegründung führt auf Seite 31 (GA III 42) zu amtlichen Rückrufen bei Fahrzeugen mit dem gleichen Motor aus, spricht in diesem Zusammenhang von der "Gefahr der Betriebsuntersagung" und trägt auf Seite 123 ff. (GA III 134 ff.) näher zum Schaden durch den Fahrzeugerwerb vor. Darin liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein hinreichender Angriff gegen den vom Landgericht für die Verneinung eines Schadens der Klägerin für entscheidend erachteten Gesichtspunkt.
103. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 577 Abs. 3 ZPO. Ob und inwieweit die Berufung der Klägerin mit der gegebenen Begründung in der Sache Erfolg haben kann, ist keine Frage der Zulässigkeit der Berufung, sondern ihrer Begründetheit.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200224BVIAZB11.23.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-63568