BGH Urteil v. - VII ZR 636/21

Instanzenzug: Az: 2 U 8/21vorgehend LG Aachen Az: 4 O 116/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im November 2013 erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs VW Golf in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 ausgestattet und verfügt unter anderem über eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung (Thermofenster). Es ist nicht von einem Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

2Der Kläger hat zuletzt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren, verlangt. Hilfsweise hat er die Feststellung der Ersatzpflicht für im Einzelnen bezeichnete unzulässige Abschalteinrichtungen, die im Klägerfahrzeug verbaut seien, begehrt (Thermofenster, Ladeverhalten der Autobatterie, OBD-System). Für den Fall der Unzulässigkeit auch dieses Antrags hat er hilfsweise die Zahlung von 30.721,21 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung, Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden wegen der im ersten Hilfsantrag im Einzelnen bezeichneten Abschalteinrichtungen, sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende landgerichtliche Urteil hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er die zuletzt gestellten Anträge weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

5Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus, da die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht schlüssig behauptet seien. Ob das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge, könne letztlich dahinstehen. Soweit der Kläger eine Zyklus- bzw. Prüfstandserkennung behaupte, fehle es jedenfalls an Vortrag, dass daran eine unzulässige Emissionsregelung geknüpft sei. Für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit müsse hinzukommen, dass die geltenden Emissionsgrenzwerte nur im Prüfbetrieb aufgrund der Abschalteinrichtung eingehalten werden könnten. Greifbare Anhaltspunkte dafür zeige der Kläger nicht auf. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der EG-FGV.

II.

6Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

71. Die mit dem Hauptantrag erhobene Feststellungsklage ist zwar zulässig. Der Kläger verfügt über das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche, im Revisionsverfahren von Amts wegen zu überprüfende (vgl. , NJW 2018, 227 Rn. 10) Feststellungsinteresse. Nach seinem Vortrag ist die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, weil künftige Aufwendungen in Form von Transport-, Stand-, An- und Abmeldekosten möglich erscheinen, die im Rahmen des vom Kläger gewählten sogenannten "großen" Schadensersatzes ersatzfähig sein können (vgl. , NJW 2022, 1093 Rn. 15 m.w.N.).

82. Die Feststellungsklage ist aber unbegründet. Einen Anspruch auf den großen Schadensersatz hat das Berufungsgericht zutreffend abgelehnt. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB verneint hat.

9a) Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Rn. 14, VersR 2021, 1252; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

10b) An die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung, deren Einsatz die Voraussetzungen des § 826 BGB erfülle, in seinem Fahrzeug dargelegt, ist der Senat mangels eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Sie beruht insbesondere nicht auf überspannten Substantiierungsanforderungen. Dies gilt auch mit Blick auf die von der Revision angeführten Entscheidungen des Rn. 24 ff., WM 2021, 1609) und vom (VIII ZR 57/19 Rn. 7 ff., WM 2020, 476). Vortrag dazu, dass die revisionsrechtlich als unzulässig zu unterstellende Abschalteinrichtung in Form der Fahrkurvenerkennung dafür sorgt, dass die Emissionsgrenzwerte für Stickoxid nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, zeigt die Revision nicht auf.

11c) Soweit die Revision die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen erscheine nicht als besonders verwerflich, wenn die geltenden Emissionsgrenzwerte im Prüfbetrieb auch ohne die Abschalteinrichtung eingehalten würden, für fehlerhaft hält, dringt sie damit nicht durch. Dies steht vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Rn. 17, ZIP 2021, 297; Beschluss vom - VIa ZR 334/21 Rn. 24, juris). Die entgegenstehende Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg (Urteil vom , DAR 2021, 454 Rn. 37), auf die sich die Revision beruft, hat der Senat mit Urteil vom aufgehoben (VII ZR 412/21, juris); das Oberlandesgericht hatte seine dieser Entscheidung zugrunde liegende Auffassung bereits zuvor aufgegeben (vgl. Urteil vom - 8 U 64/21 Rn. 12, juris).

12d) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

133. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat (Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris), kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245). Dafür ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen und der Schaden beläuft sich auf einen gemäß § 287 ZPO zu schätzenden Betrag innerhalb eines Rahmens zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 42, 72 ff., BGHZ 237, 245). Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Vorbehalt einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( Via ZR 335/21 Rn. 45, BGHZ 237, 245).

III.

14Die angefochtene Entscheidung ist danach aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat ist nicht veranlasst, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, den Differenzschaden geltend zu machen (zur gebotenen Wahl der Schadensart vgl. , NJW-RR 2022, 23 Rn. 16 ff.) und einen solchen Schaden darzulegen. Dabei wird er zu beachten haben, dass bei der Wahl des Differenzschadens ein Feststellungsantrag wegen des Vorrangs der Leistungsklage mangels Feststellungsinteresses des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) unzulässig wäre, weil dieser den Differenzschaden beziffern kann (vgl. VIa ZR 1083/22, juris; Urteil vom - VIa ZR 37/21, WM 2023, 2191 Rn. 19; zum "kleinen" Schadensersatz vgl. , NJW-RR 2022, 23 Rn. 15).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:150224UVIIZR636.21.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-63234