Verstoß gegen rechtliches Gehör bei Übergehen des klägerischen Vortrags zu Reaktion auf ärztlichen Befund
Leitsatz
Zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Übergehen von Vortrag des Klägers, wie er auf einen richtigen ärztlichen Befund reagiert hätte.
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO
Instanzenzug: Az: 7 U 120/20vorgehend Az: 4 O 344/16
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt die Beklagten nach ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger hielt sich wegen einer zuvor diagnostizierten chronischen Pankreatitis zur stationären Behandlung im Krankenhaus der Streithelferin der Beklagten zu 1 auf. Der Entlassbrief enthielt unter anderem die Diagnose: "kein Anhalt für pathologische Veränderungen. Nach dem Endosono-Befund und dem Zytologie-Befund handelt es sich um extraduktales PankreasCA bzw. ein Seitenast-Pankreas Ca.". Eine pathologische Untersuchung des Instituts der Beklagten zu 2 ergab die Diagnose "Zellbild mit Nachweis von Anteilen eines nekrotisierenden Adenocarcinoms, morphologisch u.a. auch vereinbar mit einem duktalen Pankreascarcinom". Danach stellte sich der Kläger im Krankenhaus der Beklagten zu 1 vor, wo er an der Bauchspeicheldrüse operiert wurde. Die Untersuchung des bei der Operation entnommenen Gewebematerials zeigte lediglich eine Weichgewebsnekrose ohne Malignität. In der Folge kam es zu erheblichen Komplikationen.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
4Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit es die Berufung des Klägers hinsichtlich der Beklagten zu 2 zurückgewiesen hat (1.). Soweit das Berufungsgericht die Berufung des Klägers hinsichtlich der Beklagten zu 1 zurückgewiesen hat, hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg (2.).
51. Das Berufungsgericht hat das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör entscheidungserheblich verletzt.
6a) Das Berufungsgericht hat - soweit hier erheblich - ausgeführt, die Behandlung durch die Ärzte der Beklagten zu 1 sei korrekt gewesen. Auch die Beklagte zu 2 hafte nicht. Ihre fehlerhafte Befundung hätte sich jedenfalls nicht ausgewirkt, da sich eine Operationsindikation auch bei korrekter Befundung ergeben hätte. Das Wachstum eines Pankreastumors verlaufe so rasch und aggressiv, dass eine suspekte Raumforderung stets Anlass für eine Operation und Entfernung des Gewebes gebe. Hätte, was korrekt gewesen wäre, die Diagnose "fragliches Adenokarzinom" oder "verunreinigtes Gewebe" gelautet, hätte dennoch die Operationsindikation gestellt werden können. Es wäre auch dann operiert worden, wenn in dem pathologischen Befund von einem Verdacht auf ein Karzinom die Rede gewesen wäre. Eine weitere Diagnostik wäre nicht erforderlich gewesen, zumal die Operationsindikation aufgrund von zwei Befunden, nämlich des Tumorverdachts aufgrund der Endosonografie und zum anderen wegen eines Verdachts aufgrund einer histologischen pathologischen Untersuchung gestellt worden sei.
7b) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zurecht, dass das Berufungsgericht Vortrag des Klägers dazu, wie er sich bei korrekter Befundung durch die Beklagte zu 2 verhalten hätte, übergangen hat.
8aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Solche Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. zuletzt BVerfG[K], , juris Rn. 25 mwN).
9bb) Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung ausgeführt, dass er sich bei einem reinen Verdacht auf ein Karzinom unter keinen Umständen für die Operation entschieden hätte. Eine Operation hätte er in jedem anderen Fall geradezu ausgeschlossen. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Kläger ausgeführt, dass sein Recht, sich selbst bei einer Verdachtsdiagnose nicht behandeln zu lassen, nicht übergangen werden dürfe. Dass die Plausibilität seines Entscheidungskonflikts nachgewiesen sei, belege sein Verhalten in dem Zeitpunkt, als erstmals der Verdacht einer Veränderung der Pankreas bei erhöhten Tumormarkerwerten bestanden habe und er hieraus keine therapeutischen Konsequenzen gezogen habe.
10cc) Das Berufungsgericht hat sich mit diesem Vortrag des Klägers nicht befasst. Es hat allein darauf abgestellt, dass sich auch bei korrekter Befundung durch die Beklagte zu 2 eine Operationsindikation ergeben hätte.
11dd) Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es geprüft hätte, wie der Kläger auf die zutreffende Befundung reagiert hätte und ob er auch - gegebenenfalls bei anderer Aufklärung - in die Operation eingewilligt hätte.
122. Soweit das Berufungsgericht die Berufung des Klägers hinsichtlich der Beklagten zu 1 zurückgewiesen hat, hat weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird insoweit gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:230124BVIZR213.22.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2024 S. 705 Nr. 11
UAAAJ-63221