Instanzenzug: Az: I-5 U 80/21vorgehend LG Mönchengladbach Az: 11 O 152/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger kaufte am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise über ein Darlehen der Mercedes-Benz Bank AG, das er in der Folgezeit tilgte. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
3Der Kläger hat zuletzt den Ersatz der geleisteten Kaufpreisanzahlung und der gezahlten Darlehensraten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Erledigung des ursprünglich weitergehenden Zahlungsantrags (Berufungsantrag zu 4) und des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 3) verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat weitgehend Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht zu. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten sei nicht festzustellen. Der Kläger habe weder konkrete Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Steuerung des Thermofensters oder der KSR noch sonstige Umstände aufgezeigt, aus denen sich eine besonders verwerfliche Vorgehensweise der Beklagten ergäbe. Dabei könne zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Das Berufungsurteil hat gleichwohl Bestand, soweit der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 1 vom bis zur Zustellung der Klageschrift am Zinsen begehrt hat. Die Beklagte ist durch die vorgerichtliche Mahnung des Klägers nicht in Verzug geraten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises ohne die Berücksichtigung von Nutzungsvorteilen verlangt und hiervon die Rückgabe des Fahrzeugs abhängig gemacht. Er hat daher - selbst wenn ihm ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf großen Schadensersatz zustünde - eine weit übersetzte Leistung begehrt (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 64 ff.). Unter diesen Umständen scheidet ein Schuldnerverzug aus (vgl. aaO, Rn. 86; Urteil vom - VIa ZR 26/21, WM 2023, 2190 Rn. 12; Urteil vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 34). Die Beklagte hat daher allenfalls Prozesszinsen seit dem zu entrichten (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).
IV.
12Im Übrigen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:270224UVIAZR1208.22.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-61661