Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 10 U 223/20vorgehend LG Frankfurt Az: 2-28 O 9/19nachgehend Az: IV ZR 349/22 Beschlussnachgehend Az: IV ZR 349/22 Beschluss
Gründe
1I. Der Kläger nimmt die Beklagte - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - auf Zahlung von Nutzungsentschädigung an die aus den Parteien bestehende Erbengemeinschaft wegen Nutzung eines von der Beklagten bewohnten Einfamilienhauses in Anspruch.
2Die Parteien sind Geschwister und Erben je zu 1/2 nach ihrer am verstorbenen Mutter (im Folgenden: Erblasserin). Die Erblasserin hatte am ein Testament errichtet. Dem Kläger und der Beklagten wurde am nach vorausgegangenem Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher Erbschein erteilt. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück, das von der Erblasserin und der Beklagten bis zum Tod der Erblasserin gemeinsam und danach von der Beklagten allein bewohnt wurde. Die Beklagte wohnte bis zum Tod der Erblasserin dort mietfrei. Vor dem zuständigen Amtsgericht war ein Zwangsversteigerungsverfahren zur Aufhebung der Erbengemeinschaft anhängig.
3Der Kläger begehrt von der Beklagten ab Dezember 2015 Nutzungsentschädigung für das von ihr bewohnte Einfamilienhaus. Die Beklagte meint, es sei der Wille der Erblasserin gewesen, dass das Haus im Besitz der Familie bleibe und sie dort weiterhin mietfrei wohnen könne.
4Das Landgericht hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben und das Oberlandesgericht die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO überwiegend zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Zurückweisungsbeschluss, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten über die Zahlung von monatlichen und rückständigen Nutzungsentschädigungen entschieden hat.
5II. Die Beschwerde hat zu einem geringen Teil Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit es das Vorbringen der Beklagten unberücksichtigt gelassen hat, dass der Kläger ab dem nicht mehr Miteigentümer der Immobilie gewesen sei.
61. Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revisionsinstanz von Interesse - ausgeführt, das Landgericht habe zu Recht angenommen, der Kläger könne von der Beklagten für die Zeit ab Dezember 2015 Entschädigung für die Nutzung des Anwesens verlangen. Der Verpflichtung zur Zahlung der Nutzungsentschädigung stehe der letzte Wille der Erblasserin nicht entgegen. Das Landgericht habe zutreffend darauf abgestellt, die Ausführungen in dem Testament gäben lediglich einen Wunsch der Erblasserin wieder, sie könnten aber keine rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen, insbesondere stellten sie auch keine Teilungsanordnung im Sinne von § 2048 BGB dar. Der Wortlaut der Textpassage "Es wäre schön, wenn …" sei diesbezüglich eindeutig. Soweit die Beklagte die Nutzungsentschädigung für zu hoch halte, weil der Kläger eigene Gegenstände im Haus lagere, fehle ein substantiierter Vortrag zum Wert ihrer Nutzungseinschränkungen. Überdies sei die Beklagte dem Vortrag des Klägers nicht entgegengetreten, er werde von ihr an dem Betreten des Hauses gehindert. Es erscheine treuwidrig, wenn sich die Beklagte dann darauf berufe, durch die Gegenstände in der Nutzung des Hauses eingeschränkt zu sein. Der Einwand der Beklagten in ihrer Gegenerklärung zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts, der Kläger sei aufgrund des Zuschlagsbeschlusses vom im Zwangsversteigerungsverfahren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Miteigentümer der Immobilie gewesen, sei verspätet gemäß §§ 525, 296 Abs. 2 ZPO.
72. Letzteres verletzt die Beklagte in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
8a) Bei Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschriften sind die Gerichte einer strengeren verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Die Überprüfung geht insoweit über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren, ist daher bereits dann verletzt, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift nicht zur Verhandlung zulässt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 74/20, ErbR 2021, 207 Rn. 8 m.w.N.; vom - IV ZR 319/16, VersR 2018, 890 Rn. 10 m.w.N.; st. Rspr.).
9b) Das ist hier der Fall. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Beklagten in ihrer Gegenerklärung vom , der Kläger sei seit dem nicht mehr Miteigentümer der Immobilie gewesen, gehörswidrig als verspätet zurückgewiesen. Unstreitige Tatsachen sind auch dann stets zu berücksichtigen, wenn sie erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen werden. Neuer unstreitiger Tatsachenvortrag kann nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden, sondern das Berufungsgericht hat solches Vorbringen vielmehr gemäß § 529 Abs. 1 ZPO selbst dann seiner Entscheidung zugrunde zu legen, wenn dadurch eine Beweisaufnahme erforderlich wird (vgl. grundlegend , BGHZ 161, 138 [juris Rn. 11, 14, 20]; , BGHZ 177, 212 Rn. 10; vgl. auch Senatsurteil vom - IV ZR 47/04, FamRZ 2005, 1555 [juris Rn. 17 m.w.N.]; , NJW 2018, 2269 Rn. 25 m.w.N.; st. Rspr.; Zöller/Heßler, ZPO 35. Aufl. § 531 Rn. 20 m.w.N.). Danach durfte das Berufungsgericht hier den Vortrag der Beklagten, der Kläger sei seit dem nicht mehr Miteigentümer, nicht nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO als neu und nicht zu berücksichtigen behandeln. Bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung hat der Kläger nicht auf den Schriftsatz der Beklagten vom , mit dem diese zu dem gerichtlichen Hinweisbeschluss Stellung genommen hatte, erwidert. Mit Schriftsatz vom hat er selbst aber auch vorgetragen, dass ab dem das Anwesen geräumt gewesen sei. Das Berufungsgericht wird dem Kläger insoweit zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme zum Schriftsatz der Beklagten vom zu geben haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070224BIVZR349.22.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-61657