BGH Beschluss v. - 3 StR 343/23

Instanzenzug: LG Aurich Az: 19 KLs 2/23

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes, schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchten Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und unter Annahme einer prognostizierten Therapiedauer von einem Jahr und sechs Monaten bestimmt, dass zwei Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt lediglich zu einer Änderung der Dauer des Vorwegvollzugs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

21. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch, zum Strafausspruch und zur Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

32. Auch ist die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB frei von Rechtsfehlern.

4a) Das Landgericht hat - soweit für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung - die nachfolgenden Feststellungen und Wertungen zum Drogenkonsum des Angeklagten getroffen:

5Der zur Tatzeit 22-jährige Angeklagte ist seit Jahren betäubungsmittelabhängig; er leidet an einer polyvalenten Suchterkrankung (ICD-10 F 19.2). Er begann im Alter von 16 Jahren täglich bis zu zwei Gramm Cannabis und Alkohol zu konsumieren. Ab dem Ende seines 16. Lebensjahres nahm er zusätzlich an den Wochenenden Ecstasy, Amphetamin und Kokain in unterschiedlichen Mengen zu sich, teils über mehrere Tage hinweg. Nach einer Unterbrechung seines Amphetaminkonsums im Alter von 17 Jahren stieg dieser ab dem Jahr 2020/2021 bis zu seiner Inhaftierung im vorliegenden Verfahren erheblich an, sodass er neben zwei Gramm Cannabis fast täglich Amphetamin und bis zu fünf Gramm Kokain konsumierte. Hinzu trat ein Beikonsum von Tilidin, Tramal, Fentanyl und Heroin. Der Angeklagte verspürte stetig erheblichen Suchtdruck. Aufgrund dieses Drogenkonsums war er nicht in der Lage, den Realschulabschluss zu erreichen oder einer geregelten beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

6b) Gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO ist die Maßregelanordnung am Maßstab des zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts geltenden Rechts zu beurteilen, mithin anhand der zum in Kraft getretenen Neufassung des § 64 StGB (vgl. , juris Rn. 9; vom - 3 StR 280/23, juris Rn. 39; BGH, Beschlüsse vom - 6 StR 405/23, juris Rn. 6; vom - 4 StR 364/23, NStZ-RR 2024, 13; vom - 5 StR 246/23, juris Rn. 2; vom - 5 StR 345/23, juris Rn. 2; vom - 3 StR 304/23, juris Rn. 14). Auch nach der gegenwärtig geltenden Gesetzesfassung, durch welche die Voraussetzungen für eine Unterbringung moderat verschärft worden sind, ist diese von der Strafkammer rechtsfehlerfrei angeordnet worden.

7aa) Beim Angeklagten liegt ein Hang vor, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.

8(1) Für einen Hang ist nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF eine SubstanzkonsumstöDas Tatbestandsmerkmal der „Substanzkonsumstörung“ soll Täter mit einer substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankung im medizinischen Sinne (vgl. ICD-10-GM F10 bis F19, Erweiterung .2: „Abhängigkeitssyndrom“) und Fälle eines Substanzmissbrauchs erfassen, dessen Schweregrad unmittelbar unterhalb einer Abhängigkeit einzuordnen ist. Damit ist ein Missbrauch gemeint, der nach ICD-10 als eine schwere Form des schädlichen Gebrauchs (vgl. ICD-10-GM F10 bis F19, Erweiterung .1: „Schädlicher Gebrauch“) einzustufen ist. Bei einem lediglich einfachen bzw. episodenhaften schädlichen Gebrauch (vgl. ICD-10-GM F10 bis F19 und ICD-11 6C40 ff.) soll dagegen eine Unterbringung nicht (mehr) möglich sein (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 44 f., 69).

9Um die Unterbringung insbesondere in Fällen schädlichen Gebrauchs von Substanzen rechtfertigen zu können, müssen grundsätzlich schwerwiegende und dauernde störungsbedingte Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit oder der Leistungsfähigkeit durch das Tatgericht in den Urteilsgründen festgestellt werden (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO). Erforderlich sind äußere, überprüfbare Veränderungen in mindestens einem der genannten Bereiche der Lebensführung. Hier muss sich die Störung schwerwiegend auswirken, also das Funktionsniveau in gravierender Weise beeinträchtigen, und im Tatzeitpunkt für längere Zeit vorhanden gewesen sein; eine lediglich vorübergehende konsumbedingte Verringerung oder Aufhebung der „sozialen Funktionsfähigkeit“ genügt nicht. Beide Merkmale - dauernd und schwerwiegend - müssen im betroffenen Lebensbereich kumulativ erfüllt sein (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 45 f., 69; s. auch BGH, Beschlüsse vom - 6 StR 327/23, juris Rn. 12; vom - 3 StR 304/23, juris Rn. 15 mwN).

10(2) Die Urteilsgründe belegen eine solche Substanzkonsumstörung mit dauernder und schwerwiegender Beeinträchtigung der Lebensgestaltung sowie der Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Angeklagten. Das Landgericht hat darauf abgestellt, dass der Angeklagte aufgrund seines langjährigen sowie ununterbrochenen Betäubungsmittelkonsums körperlich abhängig ist und unter dem starken Drang steht, regelmäßig Betäubungsmittel zu sich zu nehmen. Auch hat die Strafkammer die schwerwiegenden Auswirkungen des Betäubungsmittelkonsums auf seine schulische Ausbildung und berufliche Tätigkeit in den Blick genommen. Den Urteilsgründen ist im Übrigen zu entnehmen, dass der Angeklagte aufgrund seines erheblichen Drogenkonsums seine familiären Bindungen vernachlässigte.

11bb) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen haben die Anlasstaten ihre Ursache in der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten.

12(1) Gemäß § 64 Satz 1 Halbsatz 1 StGB nF muss die Anlasstat nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Mit der Ergänzung der gesetzlichen Regelung um den Begriff „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das Kausalitätserfordernis zwischen dem Hang und der Anlasstat konkretisiert und - gegenüber der vormaligen Rechtslage - verschärft (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26 und S. 46 ff.). Nach der Neuregelung muss die Substanzkonsumstörung mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend sein. Demgegenüber genügt nach dem Willen des Gesetzgebers eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt; eine Mitursächlichkeit unterhalb dieser Schwelle reicht nicht mehr aus. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46 ff., 69 f.; BR-Drucks. 687/22, S. 50 ff., 78 f.; s. auch BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 246/23, juris Rn. 3; vom - 6 StR 316/23, juris Rn. 8; vom - 5 StR 345/23, juris Rn. 2; vom - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; vom - 4 StR 347/23, juris Rn. 9; vom - 3 StR 304/23, juris Rn. 16).

13(2) Nach Maßgabe dessen belegen die Feststellungen, dass die Betäubungsmittelsucht des Angeklagten für die Anlasstaten überwiegend ursächlich war. Die Taten des Angeklagten zielten auf die Befriedigung der eigenen Sucht. Es handelte sich bei den von ihm verübten Raub- und Diebstahlstaten um typische Beschaffungsdelikte.

14cc) Auch die Gefahr erheblicher zukünftiger Straftaten des Angeklagten hat die Strafkammer - der Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen folgend - tragfähig bejaht. Sie hat insofern darauf abgehoben, dass der Angeklagte unbehandelt weitere Delikte im Bereich der Beschaffungskriminalität verüben werde.

15dd) Schließlich hält die Annahme der Erfolgsaussicht einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt der Rechtskontrolle am Maßstab des neugefassten § 64 Satz 2 StGB stand.

16(1) Nach der gesetzlichen Neuregelung darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für das Eintreten des Behandlungserfolgs (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 48 ff., S. 70 in Anlehnung an vergleichbare Regelungen im Strafgesetzbuch etwa in § 63 Satz 1 StGB). Erforderlich ist, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie zu erkennen sind, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hohen Wahrscheinlichkeit einer konkreten Erfolgsaussicht tragen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70). Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob eine Erfolgsaussicht in diesem nunmehr erhöhten Ausmaß besteht, bedarf es der hinreichenden Darlegung konkreter, durch das Tatgericht als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände in den Urteilsgründen. Bestehen (gewichtige) negative Faktoren, die gegen die Erfolgsaussicht der Behandlung sprechen können, sind diese abzuhandeln und in eine umfassende Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. , juris Rn. 18; vom - 3 StR 225/23, juris Rn. 12; Beschlüsse vom - 6 StR 316/23, juris Rn. 11; vom - 6 StR 452/23, juris Rn. 5).

17(2) Diesem Maßstab werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht. Die Urteilsgründe belegen tatsächliche Anhaltspunkte, aufgrund derer die Strafkammer einen Behandlungserfolg im Sinne des § 64 Satz 2 StGB im Einklang mit dem psychiatrischen Sachverständigen hat bejahen dürfen. Der bislang nicht therapeutisch behandelte Angeklagte sei therapiemotiviert, zeige einen gewissen Leidensdruck, habe ein gutes „Begabungsniveau“, könne sich sprachlich differenziert äußern und sei zur Introspektion fähig. Auch den langjährigen Drogenkonsum hat die Strafkammer als prognoseungünstigen Umstand in den Blick genommen. Soweit das Landgericht im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen die Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bejaht und hierbei insbesondere das junge Alter des Angeklagten sowie seine kognitiven Fähigkeiten gewürdigt hat, ist hiergegen revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

183. Der Ausspruch, dass ein Teil der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen ist, hält als solcher sachlichrechtlicher Prüfung stand. Hinsichtlich der Dauer des Vorwegvollzugs kann die Entscheidung des Landgerichts, bei der es sich im Einklang mit dem damals geltenden Recht am Zeitpunkt einer möglichen Halbstrafenentlassung orientiert hat, indes nicht bestehen bleiben.

19a) Gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz StGB in der Fassung des am in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom (BGBl. I Nr. 203) ist der vor der Maßregel zu vollstreckende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und der anschließenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Erledigung von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Gemäß § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO muss bei Maßregeln der Besserung und Sicherung eine Gesetzesänderung auch vom Revisionsgericht berücksichtigt und grundsätzlich das neue Recht in jeder Lage des Verfahrens angewendet werden (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 390/07, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Maßregelausspruch 1 Rn. 3; vom - 1 StR 354/23, juris Rn. 2; vom - 4 StR 347/23, juris Rn. 14; vom - 3 StR 304/23, juris Rn. 20; Urteil vom - 3 StR 280/23, juris Rn. 44). Allein die bei Inkrafttreten des neuen Maßregelrechts schon rechtskräftigen „Altfälle“ sollen gemäß Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB vom neuen Vollstreckungsregime ausgenommen werden (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 77 f.; s. auch , juris Rn. 3).

20Eine Übergangsregelung ist nicht einschlägig. Die Voraussetzungen des Art. 316o Abs. 1 Satz 2 (neugefasst durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionsrechts vom (BGBl. I Nr. 218) i.V.m. Art. 313 Abs. 2 EGStGB) sind nicht gegeben (, juris Rn. 4).

21b) Da die Strafkammer die Grundlagen für die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs, insbesondere die voraussichtliche Therapiedauer von einem Jahr und sechs Monaten, rechtsfehlerfrei festgestellt hat, kann der Senat die Dauer des Vorwegvollzugs gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog selbst festlegen (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 390/07, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Maßregelausspruch 1 Rn. 6 f.; vom - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171, 172; vom - 3 StR 458/21, NStZ-RR 2022, 139, 140 mwN). Unter Berücksichtigung des Zwei-Drittel-Zeitpunkts gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 StGB nF ist ein Vorwegvollzug von drei Jahren und zwei Monaten veranlasst.

234. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und 4 StPO. Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revision des Angeklagten ist es nicht unbillig, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:121223B3STR343.23.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-61169