Instanzenzug: Az: I-27 U 118/21vorgehend LG Essen Az: 4 O 63/21
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
2Der Kläger kaufte am von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 220 CDI Cabriolet, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über ein sogenanntes "Thermofenster", das die temperaturabhängig gesteuerte Abgasrückführung bei kühleren und besonders hohen Temperaturen reduziert, sowie nach Angaben des Klägers über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
3Der Kläger hat, gestützt auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs, den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergebe sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Sein Interesse, nicht zum Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags veranlasst zu werden, sei vom Schutzzweck der Vorschriften der EG-FGV nicht umfasst. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB lägen ebenfalls nicht vor. Es fehle sowohl hinsichtlich des Thermofensters als auch im Fall einer KSR an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Auch bei etwaigem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung habe der Kläger keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Bedatung auf den Prüfstand zugeschnitten sei oder sonstige Umstände für ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten sprächen. Hinsichtlich der KSR stehe der Annahme der Sittenwidrigkeit zudem entgegen, dass das KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung mangels Grenzwertkausalität verneine und die EG-Typgenehmigung deshalb auch erteilt hätte, wenn ihm die Funktion bereits im Typgenehmigungsverfahren bekannt gewesen wäre.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (zur fehlenden Indizierung der Sittenwidrigkeit mangels Grenzwertkausalität vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11). Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIAZR1214.22.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-61150