BGH Beschluss v. - 5 StR 509/23

Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach der gesetzlichen Neuregelung

Gesetze: § 64 S 2 StGB

Instanzenzug: Az: 626 KLs 12/21

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und sie unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision der Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Dies gilt jedenfalls insoweit, als nach § 64 Satz 2 StGB n.F. eine Anordnung nur ergehen darf, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein hinreichender Therapieerfolg zu erwarten ist.

3a) Das Landgericht hat sich zu dieser Frage der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, wonach aus bisherigen Fehlschlägen – die Angeklagte habe früher bereits eine Therapie und vor anderthalb Jahren ihre Substitutionsbehandlung abgebrochen – nicht auf das Fehlen einer Erfolgsaussicht zu schließen sei, da die Bedingungen im Maßregelvollzug durch den dort hochstrukturierten Tagesablauf in einem stationären Setting gänzlich anders gelagert seien. Bei der Angeklagten müsse zudem ein nachhaltiger Loslösungsprozess von ihrem bisherigen Umfeld initiiert werden, was im Maßregelvollzug am ehesten erreicht werden könne. Problematisch sei jedoch, dass die Angeklagte sich „auf keinen Fall“ im Maßregelvollzug behandeln lassen wolle, was sie bereits im Explorationsgespräch deutlich gemacht und in der Hauptverhandlung bekräftigt habe. Ihr fehle aber nicht grundsätzlich die Therapiemotivation. Die Angeklagte besitze durchaus Krankheitseinsicht und habe sich zuletzt auch eigeninitiativ um einen Therapieplatz in einer Fachklinik bemüht. Es sei „durchaus möglich“, dass sie ihre derzeitig bestehende Abwehrhaltung im Maßregelvollzug aufgeben werde.

4Ergänzend hat die Strafkammer ausgeführt, dass die Angeklagte eine Therapie im Maßregelvollzug lediglich aufgrund ihrer unbegründeten Angst vor einer gemeinsamen Unterbringung mit suchtkranken Männern ablehne. Da die Angeklagte dies offenbar auf Erfahrungsberichte von Bekannten stütze, während sie selbst über keine persönlichen Erfahrungen verfüge, sei jedoch davon auszugehen, dass sich ihre Befürchtungen im Maßregelvollzug nicht realisieren werden. Ihre generelle Therapiewilligkeit schaffe die Aussicht, dass auch ihre Bereitschaft zu einer Behandlung im Maßregelvollzug geweckt werden könne.

5b) Schon nach der Rechtsprechung zu den nach früherem Recht niedrigeren (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 48, 70) prognostischen Anforderungen für die Erfolgsaussicht war im Fehlen eines Therapiewillens ein gewichtiges gegenläufiges Indiz zu sehen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 274/22; vom – 2 StR 172/19, NStZ-RR 2020, 71). Eine Anordnung schied dann zwar nicht schon grundsätzlich aus, da das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug gerade auch darin bestehen kann, die dafür erforderliche Bereitschaft zu wecken (vgl. nur ). Um von einer Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB ausgehen zu können, war es aber schon nach bisheriger Rechtsprechung geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe eines Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine ernsthafte Therapiewilligkeit für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 564/19; vom – 5 StR 460/23).

6Mit der Änderung des § 64 Satz 2 StGB hat der Gesetzgeber zudem eine restriktivere Anwendungspraxis bezweckt, die gewährleistet, dass die Kapazitäten des Maßregelvollzugs zielgerichteter genutzt werden (BT-Drucks. 20/5913, S. 48). Für eine Unterbringung genügt es nun nicht mehr, dass eine „hinreichend konkrete Aussicht“ besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. In der Neufassung setzt § 64 Satz 2 StGB vielmehr voraus, dass ein solcher Effekt „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“. In Anlehnung etwa an die Regelung des § 63 Satz 1 StGB soll dafür eine durch Tatsachen belegte „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ erforderlich sein (BT-Drucks. 20/5913, S. 48). Der Gesetzgeber hat damit bewusst erhöhte prognostische Anforderungen statuiert, wodurch sich der Einfluss ungünstiger Risikofaktoren wie der Therapieunwilligkeit erhöht (BT-Drucks. 20/5913, S. 49). Lehnt ein Angeklagter die Therapie im Maßregelvollzug ab, so folgt aus dem Erfordernis „tatsächlicher Anhaltspunkte“ zudem, dass für eine positive Anordnungsentscheidung im Urteil konkret darzulegen ist, welche Instrumente im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, mit denen diese Haltung überwunden werden kann. Im Falle einer dezidiert geäußerten, nachhaltigen Verweigerungshaltung – insbesondere eines mit dem Spektrum therapeutischer Möglichkeiten bereits vertrauten Angeklagten – bedarf es einer besonders sorgfältigen und eingehenden Begründung für die Annahme hinreichender Einflussmöglichkeiten.

7c) Gemessen an diesen Anforderungen ist eine tatsachenbasierte konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel angesichts der – auf diese bezogenen – dezidiert ablehnenden Haltung der Angeklagten nicht belegt. So bleibt bereits offen, warum nach dem Abbruch einer freiwilligen Entwöhnungstherapie und der Beendigung einer freiwilligen Substitutionsbehandlung ein nachhaltiger Erfolg gerade in einer Unterbringung erreichbar sein soll, zu der die Angeklagte gezwungen werden müsste. Gleiches gilt für die Annahme, dass es ausgerechnet in dieser von ihr abgelehnten Umgebung noch „am ehesten“ gelingen könne, die Angeklagte aus ihrem bisherigen, durch Betäubungsmittelkonsum geprägten sozialen Umfeld herauszulösen.

8Diese Lücke in den Darlegungen wird allein durch den Verweis auf das „stationäre Setting“ des Maßregelvollzugs nicht geschlossen. Der dort gegebene hochstrukturierte Tagesablauf kann gegenüber einem ambulanten Vorgehen zwar tatsächlich eine weitergehende Handhabe eröffnen, zumal die stationäre Behandlung Suchtkranker neben körperlicher Entgiftung regelmäßig mit der Motivierung zur Therapie beginnt (MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 67 mwN). In den Urteilsgründen fehlt jedoch eine konkrete Aussage dazu, inwiefern solche Möglichkeiten auch gegenüber der Angeklagten zum Tragen kommen könnten, obwohl diese sich bislang „auf keinen Fall“ in eine solche Behandlung begeben will.

9Soweit schließlich die negative Haltung der Angeklagten auf deren Vorstellung zurückgeführt wird, in der Entziehungsanstalt gemeinsam mit suchtkranken Männern untergebracht zu werden, werden keine Tatsachen zur Stützung der Annahme mitgeteilt, dass sich diese Befürchtung nicht realisieren werde.

102. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170124B5STR509.23.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-61143