Lebensgefährliche Körperverletzung und Vergewaltigung: Wiedergabe der Beweiserwägungen bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation
Gesetze: § 261 StPO, § 267 StPO, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 1 KLs 18/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem anderen Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung in fünf Fällen und wegen Bedrohung mit einem Verbrechen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
21. Nach den Feststellungen führten der Angeklagte und die Nebenklägerin eine auch intime Liebesbeziehung, die von Differenzen aufgrund gegenseitiger Eifersucht und häufigen Streitigkeiten geprägt war. Zwischen April 2020 und März 2021 kam es zu neun Taten des Angeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin.
3a) Am entstand in der Wohnung der Nebenklägerin eine verbale Auseinandersetzung über einen Kontakt der Nebenklägerin zu einem männlichen Bekannten. Der Angeklagte zog sie an den Haaren und versetzte ihr mehrere Schläge sowie wuchtige Tritte mit seinen beschuhten Füßen, wodurch sie verletzt wurde. Dann zog er sie an den Haaren in ihr Schlafzimmer. Dort würgte er sie und hielt ihr Mund und Nase zu, so dass sie keine Luft mehr bekam. Anschließend vollzog er mit ihr gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
4b) Im Juni 2020 schlug der Angeklagte der Nebenklägerin im Zuge eines Streits mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht, wodurch sie, wie von ihm billigend in Kauf genommen, Schmerzen erlitt.
5c) Im September 2020 stritten beide erneut aus Eifersuchtsgründen. Der Angeklagte schlug der Nebenklägerin mehrfach mit der flachen Hand und der Faust gegen den Kopf. Außerdem schlug er ihren Kopf gegen den Boden und eine Wand. Als sie die Wohnung verließ, trat er sie mit der Folge, dass sie auf der Treppe stürzte und auf den Boden fiel. Die Nebenklägerin erlitt, wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen, Verletzungen.
6d) Im Oktober 2020 schlug der Angeklagte in seiner Wohnung der Nebenklägerin aus Verärgerung mit der flachen Hand ins Gesicht.
7Am Abend desselben Tages verlangte der Angeklagte „Sex“ von der Nebenklägerin, was diese ablehnte. Er verschloss die Wohnungstür und nahm den Schlüssel an sich. Danach setzte er sich auf die Beine der Nebenklägerin und drückte sie auf eine Matratze, auf der sie zuvor gesessen hatte. Nachdem die Geschädigte sich zunächst befreien und in das Schlafzimmer flüchten konnte, hielt der Angeklagte dort ihre Hände auf ihrem Rücken fest, riss ihre Hose und Unterhose herunter und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss mit ihr. Erst am Mittag des nächsten Tages ließ er die Nebenklägerin aus der Wohnung gehen.
8e) Im selben Monat schlug und trat der Angeklagte die Nebenklägerin abermals im Zuge eines Streits, wodurch sie, wie von ihm billigend in Kauf genommen, verletzt wurde.
9f) Im November 2020 kam es in der Wohnung der Nebenklägerin zu einem weiteren Streit. Nachdem die Geschädigte der Forderung des Angeklagten nach Geschlechtsverkehr nicht nachkommen wollte, zerbrach dieser einen Dekorationsgegenstand, um die Nebenklägerin zu verängstigen. Danach drückte er ihre Beine auseinander und vollzog gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss mit ihr.
10g) Am äußerte der Angeklagte im Zuge eines Streits mit der Nebenklägerin, dass er dafür sorgen werde, dass ihre Familie sie umbringen oder sie selbst sich umbringen werde, wobei er die Veröffentlichung von Fotos ankündigte, die zuvor einvernehmlich entstanden waren und die Nebenklägerin in sexuellen Posen zeigten. Außerdem gab er an, Säure auf ihr Gesicht schütten zu wollen.
11h) Am suchte die Nebenklägerin den Angeklagten auf, um die Löschung der Fotos zu erreichen. Er schlug ihr mit der flachen Hand gegen den Kopf und zog sie an den Haaren zur Wohnungstür, wodurch sie, wie von ihm billigend in Kauf genommen, Schmerzen erlitt.
122. Die den getroffenen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob diesem bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Erwägungen in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 6; Beschluss vom – 2 StR 311/22 Rn. 9, jew. mwN). Gemäß § 267 StPO hat das Tatgericht die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachvollziehbar und auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl. Rn. 10 mwN). Bei einer schwierigen Beweissituation, wie sie insbesondere ‒ aber nicht nur ‒ in Fällen gegeben ist, in denen Aussage gegen Aussage steht, können sich hieraus gesteigerte Darstellungsanforderungen, namentlich in Bezug auf die Wiedergabe des Inhalts einer Zeugenaussage, ergeben (vgl. Rn. 9; Beschluss vom – 2 StR 311/22 Rn. 9 f., jew. mwN).
14b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Eine schwierige Beweislage bestand hier deshalb, weil der Angeklagte die Taten bestritten hat und das Landgericht seine Überzeugung im Wesentlichen auf die ihn belastenden Angaben der Nebenklägerin gestützt hat. Soweit die Strafkammer diese durch einzelne außerhalb ihrer Aussage liegende Beweisanzeichen – namentlich durch Lichtbilder und Aussagen von Zeugen, darunter ein von der Nebenklägerin aufgesuchter Arzt, dokumentierte Hämatome am Körper der Nebenklägerin sowie akustische Wahrnehmungen einzelner Auseinandersetzungen durch Zeugen – bestätigt gefunden hat, betreffen diese nicht sämtliche Taten und jedenfalls nicht unmittelbar das Kerngeschehen der Vergewaltigungstaten. Rechtlichen Bedenken begegnet unter den gegebenen Umständen bereits die knappe Wiedergabe der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, die neben der pauschalen Mitteilung, dass sie das – aus einer Vielzahl von Taten bestehende – Geschehen „wie festgestellt bekundet“ habe, „soweit es ihrer Wahrnehmung unterlag“, lediglich zu einigen der abgeurteilten Taten weitere Details umfasst.
15Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist, dass die Strafkammer, die einen erheblich für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Gesichtspunkt unter anderem in deren Konstanz „über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren“ sieht, die vorangegangenen Aussagen der Nebenklägerin nicht wiedergegeben hat, so dass dem Senat eine Nachprüfung dieser tatrichterlichen Wertung nicht möglich ist (vgl. Rn. 7 f.; Beschluss vom – 2 StR 152/20 Rn. 8 ff.).
163. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die rechtliche Würdigung hinsichtlich der Tat vom (Fall II.2.a. der Urteilsgründe) von den bisherigen Feststellungen, wonach der Angeklagte die Geschädigte würgte und ihr Mund und Nase zuhielt, so dass sie keine Luft mehr bekam, nicht vollen Umfangs getragen wird. Die vom Landgericht angenommene gefährliche Körperverletzung in der Variante einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) ist hierdurch weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht belegt. Die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB muss zwar nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 17 mwN). Dies kann der knappen Beschreibung des vom Landgericht als tatbestandsmäßig angesehenen Verhaltens nicht entnommen werden. Sie lässt im Unklaren, ob die Nebenklägerin infolge des Würgens oder infolge des Zuhaltens von Mund und Nase „keine Luft mehr bekam“ und wie lange der Angeklagte diesen Zustand aufrechterhielt. Damit sind weder die Überschreitung der bereits für das Grunddelikt des § 223 StGB erforderlichen Erheblichkeitsschwelle (vgl. , NStZ-RR 2014, 11) noch gar die Eignung zur Lebensgefährdung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB sowie ein hierauf bezogener Vorsatz des Angeklagten nachvollziehbar dargelegt.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160124B4STR428.23.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-60573