Gefährliche Körperverletzung durch Schläge mit bloßer Hand gegen den Kopf; Differenzierung zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit; Kausalitätserfordernis zwischen Hang und Anlasstat
Gesetze: § 20 StGB, § 64 S 1 StGB, § 223 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB
Instanzenzug: Az: 15 KLs 2010 Js 74009/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Gegen das Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mit ihren zu Ungunsten dieses Angeklagten eingelegten und auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen. Der Angeklagte erhebt mit seiner Revision gegen das Urteil die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und dasjenige des Nebenklägers haben im Umfang ihrer Anfechtung weitgehend Erfolg. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Am frühen Morgen des traf der Angeklagte in einer Gaststätte zufällig auf den späteren Geschädigten, gegen den er wegen einer körperlichen Auseinandersetzung einige Jahre zuvor, bei der er unterlegen war, Groll hegte. Nachdem es zu einer seitens des Angeklagten aggressionsgeladen geführten Unterhaltung beider gekommen war, verließ der Geschädigte mit zwei Begleitern das Lokal. Der Angeklagte folgte ihnen. Von Versuchen eines der Begleiter, ihn zu beschwichtigen und von einem körperlichen Übergriff abzuhalten, ließ sich der Angeklagte, der bedingt durch Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, nicht beeindrucken. Als der Geschädigte die Örtlichkeit verließ, rannte er ihm hinterher und schlug ihm von hinten unvermittelt mit der Faust in die rechte Gesichtshälfte, wodurch das Opfer sofort zu Boden ging und dort verteidigungsunfähig liegen blieb. Sodann versetzte der Angeklagte, der Turnschuhe mit weicher Sohle trug, ihm einen von oben nach unten mit der Fußsohle geführten Tritt in die linke Gesichtshälfte. Der Geschädigte verlor hierdurch das Bewusstsein und erlitt mehrere Frakturen im Gesichtsbereich, darunter eine Jochbeinfraktur rechts, sowie eine Gehirnerschütterung und eine Rissquetschwunde am linken Oberlid. Er musste operiert und sieben Tage lang stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.
4Das Landgericht hat diese Tat als gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
52. In der Nacht vom 18. auf den feierten der Angeklagte und der Mitangeklagte gemeinsam mit weiteren Personen, unter anderem in einem Lokal. In den frühen Morgenstunden geriet der Mitangeklagte auf dem Heimweg in Streit mit einer Gruppe um den Nebenkläger. Es kam zu einer Rangelei, nach deren Beendigung der Mitangeklagte beschloss, den mit ihm befreundeten Angeklagten zur Unterstützung herbeizurufen. Dieser hatte zwischenzeitlich ebenfalls das Lokal verlassen.
6Auf den Ruf des Mitangeklagten eilte der Angeklagte, der erneut aufgrund Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, sogleich schnellen Schrittes auf diesen und die Gruppe um den Nebenkläger zu. Er traf zunächst auf die Zeugin G. , die der Gruppe des Nebenklägers angehörte. Da sie in seinem Weg stand, stieß er sie grob zur Seite, wobei er Verletzungen des Opfers für möglich hielt und in Kauf nahm. Der Stoß traf die Zeugin am Kopf, wodurch sie Schmerzen im Gesicht und Kopfweh erlitt.
7Unmittelbar anschließend griff der Angeklagte den Nebenkläger an, obgleich weder dieser noch andere Personen zu dem Zeitpunkt auf den Mitangeklagten einwirkten. Der Angeklagte versetzte dem Nebenkläger einen derart wuchtigen Fausthieb in die rechte obere Gesichtshälfte, dass dieser sofort und auf der Stelle bewusstlos zusammenbrach. Sodann flohen der Angeklagte und der Mitangeklagte vom Tatort. Durch den Faustschlag erlitt der Nebenkläger mehrfache Knochenbrüche im Gesicht. Wegen der Befürchtung einer Hirnblutung wurde er intensivmedizinisch versorgt. Zudem musste er wiederholt operiert werden. Er trug Dauerschäden am rechten Auge davon, aufgrund derer er nicht mehr in der Lage ist, Abstände zutreffend einzuschätzen. Deshalb darf er in seinem Beruf als Straßenbauer keine Maschinen mehr bedienen. Zudem leidet er unter Taubheitsgefühlen in der rechten Gesichtshälfte.
8Das Landgericht hat diese Tat als (vorsätzliche) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen gewertet (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
II.
Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers
91. Die Staatsanwaltschaft beanstandet ausweislich der Begründung ihrer gegen die Verurteilung des Angeklagten H. gerichteten Revision die rechtliche Würdigung von dessen festgestellter Tathandlung im Fall II. 2. der Urteilsgründe zum Nachteil des Nebenklägers als Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB. Sie erstrebt insofern eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Zudem moniert sie, dass das Landgericht hinsichtlich dieser Tat keine weiteren Einwirkungen des Angeklagten auf den Nebenkläger festgestellt hat, die - so das Revisionsvorbringen - ebenfalls zu einer rechtlichen Würdigung des Geschehens als gefährliche Körperverletzung hätten führen müssen.
10Die gebotene Auslegung des Rechtsmittels (§ 300 StPO analog) ergibt, dass es sich gegen den Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe richtet. Dies bedingt die Revisionserstreckung auf die für diese Tat verhängte Einzelstrafe, die Gesamtstrafe und das Absehen von der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB als solche wird demgegenüber von der im vorstehend beschriebenen Umfang wirksam beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft nicht umfasst; denn sie gründet bereits auf der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe, auf die sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht bezieht. Der Adhäsionsausspruch wird, soweit er den Nebenkläger betrifft, von der Revision der Staatsanwaltschaft gleichfalls nicht erfasst, weil diese insofern nicht rechtsmittelbefugt ist (vgl. , StV 2019, 437 Rn. 9; Urteile vom - 5 StR 65/09, juris Rn. 27; vom - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96 Rn. 26 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 406a Rn. 7 f.; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 406a Rn. 3). Schließlich erstreckt sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht auf die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB oder eines Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 StGB, so dass eine solche wegen des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO auch im zweiten Rechtsgang nicht verhängt werden dürfte. Die Ausführungen in der Revisionsbegründung beziehen sich allein auf die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB im Hinblick auf in „nachfolgenden“ Verfahren „zu erwartende Verurteilungen“.
112. Die gegen die Verurteilung des Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers, also des Opfers der Tat dieses Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe, bringt mit ihrer Begründung in der Sache dieselben Beanstandungen vor wie das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Sie ist daher ebenso - wirksam - beschränkt wie jene. Auch die Revision des Neben- und Adhäsionsklägers erfasst die ihn betreffende Adhäsionsentscheidung mangels Rechtsmittelbefugnis (vgl. § 406a Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht.
123. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers haben im Umfang ihrer Anfechtung des Urteils ganz weitgehend Erfolg; unbegründet sind sie lediglich insofern, als mit ihnen - implizit - auch eine Aufhebung den Anfechtungsgegenstand betreffender Urteilsfeststellungen erstrebt wird.
13a) Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat vom ) erweist sich als zu seinem Vorteil durchgreifend rechtsfehlerhaft, soweit es das Tatgeschehen zum Nachteil des Nebenklägers anbelangt. Damit hat als rechtlich notwendige Folge auch die tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin G. keinen Bestand (vgl. , juris Rn. 18; vom - 4 StR 481/22, juris Rn. 11; Beschluss vom - 3 StR 231/11, NJW 2012, 325 Rn. 25; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 353 Rn. 12; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 353 Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 353 Rn. 7a).
14Zwar werden die getroffenen Feststellungen durch die Beweiswürdigung belegt. Auch tragen sie die rechtliche Würdigung der Strafkammer, dass der Angeklagte durch das Wegstoßen der Zeugin G. der (bedingt vorsätzlichen) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB zu ihrem Nachteil schuldig ist. Da die Geschädigte Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft diese Tat als Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB angeklagt hat, womit sie konkludent das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung gemäß § 230 Abs. 1 StGB bejaht hat, liegt kein Verfahrenshindernis vor.
15Jedoch hat die Strafkammer hinsichtlich des wuchtigen Fausthiebes in die rechte obere Gesichtshälfte des Nebenklägers rechtsfehlerhaft lediglich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen „einfacher“ (vorsätzlicher) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB angenommen. Wie die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers zutreffend rügen, hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht tragfähig verneint.
16aa) Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfordert nicht, dass das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im konkreten Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 267/22, juris Rn. 9; vom - 4 StR 646/19, NStZ 2021, 107 Rn. 6 mwN; Urteil vom - 2 StR 38/13, NStZ-RR 2013, 342; Beschluss vom - 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 42; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 12). Um die gegenüber der „einfachen“ Körperverletzung höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Tathandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an.
17Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 267/22, juris Rn. 9; vom - 6 StR 393/21, juris; Urteile vom - 3 StR 301/14, juris Rn. 6; vom - 2 StR 38/13, NStZ-RR 2013, 342; Beschlüsse vom - 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345, 346; vom - 2 StR 60/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 Werkzeug 8; Urteil vom - 2 StR 105/07, juris Rn. 5; Beschluss vom - 2 StR 101/04, NStZ 2005, 156 Rn. 4; Urteile vom - 2 StR 615/89, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung; vom - 5 StR 182/64, BGHSt 19, 352; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 45). Dies gilt selbst für Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf, sofern Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Opfer vorliegen, die das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung deutlich erhöhen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 267/22, juris Rn. 11; vom - 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345, 346). Insbesondere gilt dies für kräftige Fausthiebe gegen den Kopf, namentlich gegen die Schläfenregion (vgl. , NStZ-RR 2013, 342; Beschlüsse vom - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140 Rn. 18; vom - 5 StR 255/10, juris).
18bb) Zwar hat die Strafkammer im Ausgangspunkt erkannt, dass Schläge mit der Faust gegen den Kopf im Einzelfall eine das Leben gefährdende Behandlung sein können. Zu Unrecht hat sie indes angenommen, die Beweisaufnahme habe hierfür keine Anhaltspunkte ergeben. Mit dieser Wertung hat das Landgericht das Ergebnis der Beweiserhebung nicht ausgeschöpft; in dieser Hinsicht ist die Würdigung der im Urteil dargelegten Beweisergebnisse lückenhaft. Die Urteilsgründe führen insofern lediglich an, zu einer zunächst befürchteten Hirnblutung beim Nebenkläger sei es nicht gekommen. Aus den Verletzungen lasse sich mithin ein erhöhtes Gefahrenpotential des Faustschlages nicht ableiten. Damit hat die Strafkammer den Blick zu Unrecht lediglich auf das Ausbleiben einer tatsächlich lebensbedrohlichen Hirnblutung gerichtet. Sie hat jedenfalls nicht hinreichend berücksichtigt, dass es für die rechtliche Einordnung einer Körperverletzungshandlung als eine das Leben gefährdende Behandlung nicht auf den eingetretenen Verletzungserfolg, sondern auf die grundsätzliche Geeignetheit der Tathandlung ankommt, im konkreten Fall lebensbedrohliche Verletzungen des Opfers zu bewirken. Deshalb hätte die Strafkammer in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Nebenkläger aufgrund eines einzigen Fausthiebes in das Gesicht - und zwar zumindest in Nähe der rechten Schläfe - sogleich bewusstlos wurde und auf der Stelle zu Boden fiel. Dies deutet auf einen mit außergewöhnlich großer Kraft geführten Schlag hin. Ausweislich der Feststellungen der durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen beratenen Strafkammer kann ein derart wuchtiger Fausthieb ohne Weiteres Hirnblutungen und damit eine akut lebensbedrohliche Verletzung bewirken, weshalb das Tatopfer wegen der konkreten Befürchtung einer solchen Tatfolge, also wegen der Besorgnis akuter Lebensgefahr, zunächst intensivmedizinisch behandelt wurde. Die Strafkammer hat zudem die außerordentlich massiven weiteren Verletzungen des Nebenklägers nicht in den Blick genommen. Dieser erlitt durch den Faustschlag Brüche des Kiefers, des Jochbeins und des Nasenbeins. Er musste operiert werden, wobei ihm mehrere Metallplatten in den Kopf eingesetzt wurden. Über Monate konnte er keine feste Nahrung zu sich nehmen. Auch wenn diese schweren Verletzungen für sich genommen nicht lebensbedrohlich waren, so hätte doch ihre Indizwirkung für die Massivität der Einwirkung und damit deren generelle Eignung zur Lebensgefährdung berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommt, dass der Nebenkläger aufgrund des Fausthiebes und der dadurch verursachten sofortigen Bewusstlosigkeit ungeschützt - nach einer Zeugenaussage „wie ein Baumstamm“ - zu Boden fiel und auf das Straßenpflaster aufschlug. Insofern wäre zu erwägen gewesen, ob das Tatgeschehen das Risiko in sich barg, dass der Nebenkläger sturzbedingt konkret lebensbedrohliche Verletzungen hätte erleiden können.
19cc) Eine Schuldspruchänderung durch den Senat dahin, dass der Angeklagte aufgrund der Tat zum Nachteil des Nebenklägers der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB schuldig ist, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Strafkammer keine Feststellungen zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten und damit zum Vorsatz hinsichtlich des Qualifikationsmerkmals einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 300/22, NStZ-RR 2023, 177; vom - 2 StR 267/22, juris Rn. 15) getroffen hat.
20dd) Mit ihrem weiteren auf die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe bezogenen Vorbringen, die Strafkammer habe rechtsfehlerhaft nicht festgestellt, dass der Angeklagte nach dem Fausthieb noch mit Fußtritten auf den bewusstlos auf der Straße liegenden Nebenkläger einwirkte, dringen die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers nicht durch. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das Landgericht zu der Feststellung gelangt ist, eine solche weitere Einwirkung des Angeklagten auf den Nebenkläger lasse sich nicht belegen, weist keinen Rechtsfehler auf.
21b) Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der für diese Tat verhängten Einzelstrafe sowie der Gesamtstrafe nach sich. Die den Nebenkläger betreffende Adhäsionsentscheidung ist dagegen von der Aufhebung auszunehmen (vgl. , StV 2019, 437 Rn. 9; Urteile vom - 5 StR 65/09, juris Rn. 27; vom - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96 Rn. 26 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 406a Rn. 7 f.; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 406a Rn. 3).
22c) Das Tatgericht des zweiten Rechtsgangs wird, sollte wiederum die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet werden, über die Erforderlichkeit und gegebenenfalls Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neu zu befinden haben, und zwar gemäß § 2 Abs. 6 StGB in Anwendung der seit dem geltenden neuen Fassung des § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB. In diesem Fall wird es zu prüfen haben, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Dauer der bis dahin vollzogenen Untersuchungshaft der Dauer des gebotenen Vorwegvollzugs entspricht oder sie übersteigt; dann hätte eine Vorwegvollzugsanordnung zu unterbleiben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 134/21, juris Rn. 4; vom - 2 StR 65/20, NStZ-RR 2020, 242, 243; vom - 3 StR 594/18, juris Rn. 3; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 67 Rn. 9a aE; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 67 Rn. 94 mwN).
23d) Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie haben daher auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
III.
Revision des Angeklagten
241. Die auf die Sachrüge des Angeklagten veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Sie tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall II. 1. der Urteilsgründe; der Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe wegen Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsmangel auf. Soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Nebenklägers verurteilt worden ist, liegt kein Verfahrenshindernis vor, denn die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung gemäß § 230 Abs. 1 StPO in ihrer Revisionsbegründung bejaht. Dies ist ausreichend; die Erklärung kann auch noch im Revisionsverfahren abgegeben werden (vgl. , juris Rn. 16; Beschluss vom - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl., § 230 Rn. 42 mwN).
252. Im Ergebnis ist auch die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zu beanstanden. Allerdings stößt auf Bedenken, dass die Strafkammer in den Feststellungen zu Fall II. 1. der Urteilsgründe ausgeführt hat, der Angeklagte sei bei der Tat erheblich in seiner Fähigkeit eingeschränkt gewesen, „das Unrecht seiner Handlungen zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Entsprechendes gilt für die Formulierung in den Feststellungen zu Fall II. 2. der Urteilsgründe, wonach der Angeklagte bei dieser Tat „erheblich in seiner Fähigkeit eingeschränkt [war], seine Aggressionen zu kontrollieren und mithin das Unrecht seiner Handlungen zu erkennen und nach dieser Einsicht auch zu handeln“. Denn bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung ist zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273; vom - 2 StR 22/08, juris Rn. 4; vom - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 20 Rn. 44b mwN), zumal eine eingeschränkte Unrechtseinsichtsfähigkeit nicht ohne Weiteres eine Verminderung der Schuldfähigkeit zur Folge hat, sondern bei gleichwohl vorhandener Unrechtseinsicht die Schuldfähigkeit nicht tangiert, aber bei nicht vorwerfbar fehlender Unrechtseinsicht zur Straflosigkeit führt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 136/23, juris Rn. 3; vom - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273; vom - 2 StR 22/08, juris Rn. 4; Urteil vom - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 20 Rn. 4, § 21 Rn. 3 f.). Indes lässt der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend erkennen, dass es sich bei den vorgenannten Ausführungen ebenso wie bei weiteren ähnlichen im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich um Formulierungsmängel handelt. Denn nach den Angaben des psychiatrischen Sachverständigen, die in den Urteilsgründen nachvollziehbar referiert werden und denen sich die Strafkammer vollumfänglich angeschlossen hat, war der Angeklagte bei beiden Taten aufgrund einer Mischintoxikation nach jeweils beträchtlichem Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Die Strafkammer hat in den Urteilsgründen dem Sachverständigen folgend die Bewertung vorgenommen, der Angeklagte sei aufgrund seiner Persönlichkeitsdefizite in Kombination mit einer Drogen- und Alkoholintoxikation nur eingeschränkt in der Lage gewesen, „die aus ihm herausbrechenden Aggressionsimpulse wirksam zu steuern oder zu unterdrücken“. Die Gesamtheit der Urteilsgründe lässt mithin die (noch) tragfähig begründete Feststellung einer bei den Taten jeweils erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit bei vorhandener Unrechtseinsicht erkennen.
263. Dagegen weist die Bemessung der Einzelstrafen in beiden urteilsgegenständlichen Fällen einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Denn die Strafkammer hat jeweils die besondere Brutalität der Tathandlungen schulderhöhend gewertet, ohne ausdrücklich zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bei beiden Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Zwar darf die Art der Tatausführung auch bei einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zu Lasten des Angeklagten gewertet werden, indes nur eingeschränkt nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 6 StR 405/23, juris Rn. 3; vom - 6 StR 35/23, NStZ 2023, 673 Rn. 5; vom - 5 StR 186/21, NStZ-RR 2021, 336). Dies hat die Strafkammer nicht bedacht. Auf dem Rechtsfehler beruhen die festgesetzten Einzelstrafen, die daher keinen Bestand haben, weshalb auch die Gesamtstrafe auf die Revision des Angeklagten aufzuheben ist. Denn es ist nicht sicher auszuschließen, dass die Strafkammer mildere Strafen verhängt hätte, wenn sie die Art der Tatausführung - wie geboten - nur nach dem Maß der geminderten Schuld zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hätte.
27Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, dass die zu Lasten des Angeklagten bei der Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 1. der Urteilsgründe angestellte Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe „kein wie auch immer nachvollziehbares Motiv“ für seine Tat anführen können, als strafschärfende Berücksichtigung des Fehlens eines Strafmilderungsgrundes gleichfalls auf rechtliche Bedenken stößt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 208/21, juris Rn. 5; vom - 4 StR 325/18, juris Rn. 5; vom - 3 StR 106/17, juris Rn. 3; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 204).
28Die zugehörigen Feststellungen sind von dem reinen Wertungsfehler nicht betroffen; sie haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).
294. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hält der rechtlichen Überprüfung am Maßstab der am in Kraft getretenen Neufassung des § 64 StGB, auf die gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der revisionsrechtlichen Kontrolle abzustellen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; vom - 6 StR 452/23, juris Rn. 2; Urteil vom - 6 StR 327/23, juris Rn. 8), gleichfalls nicht stand. Sie ist daher - mit den zugehörigen Feststellungen - aufzuheben.
30a) Zwar belegen die insofern vom Landgericht getroffenen Feststellungen einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Alkohol, Cannabisprodukten und Kokain in Gestalt einer Substanzkonsumstörung (vgl. insofern , juris Rn. 10 ff.; Beschluss vom - 6 StR 346/23, juris Rn. 11; Urteil vom - 4 StR 136/23, NStZ-RR 2024, 13, 14; BT-Drucks. 20/5913, S. 44, 69). Die Strafkammer hat - dem psychiatrischen Sachverständigen folgend - einen langjährigen und erheblichen Alkohol-, Cannabis-, Kokain- und Amphetaminkonsum festgestellt, der in eine polytoxikomane Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten (ICD 10: F19.2) mündete. Diese bewirkte eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB. Denn sie führte dazu, dass er keinen Beruf erlernte und keine reguläre Erwerbstätigkeit ausübte.
31b) Jedoch ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass die urteilsgegenständlichen Taten - wie es nach der Neuregelung des § 64 StGB nunmehr erforderlich ist - überwiegend auf dem Hang des Angeklagten beruhten.
32aa) Gemäß § 64 Satz 1 Halbsatz 1 StGB nF muss die Anlasstat überwiegend auf den Hang des Angeklagten zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Mit der Ergänzung der Vorschrift um den Begriff „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das Kausalitätserfordernis zwischen dem Hang und der Anlasstat konkretisiert und - gegenüber der vormaligen Rechtslage - verschärft (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26, 46). Nach der Neuregelung muss die Substanzkonsumstörung mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend gewesen sein. Demgegenüber genügt nach dem Willen des Gesetzgebers eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46, 69 f.; BR-Drucks. 687/22, S. 50 ff., 79; s. auch BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 347/23, juris Rn. 8; vom - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; vom - 5 StR 345/23, juris Rn. 2; vom - 6 StR 316/23, juris Rn. 8; vom - 5 StR 246/23, juris Rn. 3).
33bb) Das Vorliegen dieser besonderen Kausalität zeigt das Urteil, das noch unter der alten Rechtslage ergangen ist und daher die Novellierung des § 64 StGB nicht hat berücksichtigen können, nicht auf. Vielmehr führen die Urteilsgründe aus, die beim Angeklagten diagnostizierte Störung des Sozialverhaltens (ICD 10: F91) habe die Tatbegehungen ebenfalls begünstigt; sie sei gleichfalls wirksam geworden. Die Intoxikation des Angeklagten habe neben der Störung des Sozialverhaltens einen „konstellativen Einfluss“ auf die Tatbegehungen gehabt. Diese Feststellungen belegen allein eine - nach der gesetzlichen Neuregelung nicht mehr genügende - Mitursächlichkeit des Hangs für die Taten.
34c) Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Strafkammer gemessen an der Neufassung des § 64 Satz 2 StGB die Erfolgsaussicht einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt tragfähig bejaht hat. Danach darf die Unterbringung nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, dass die betreffende Person durch die Behandlung geheilt oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten, die auf ihren Hang zurückgehen, abgehalten wird. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für einen Behandlungserfolg verlangt wird (vgl. , juris Rn. 5; BT-Drucks. 20/5913, S. 70). Wie schon nach früherer Rechtslage genügt die bloße Möglichkeit eines Behandlungserfolges oder Hoffnung auf einen solchen nicht (vgl. , juris Rn. 5).
35Zwar hat das Landgericht Anhaltspunkte für einen Therapieerfolg benannt, und zwar eine - ihm vom Sachverständigen attestierte - ausreichende Therapiefähigkeit des Angeklagten sowie seine ernsthafte Therapiebereitschaft und -motivation. Indes hat sie unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe im Jahr 2017 eine Drogentherapie gegen den Rat der Therapieeinrichtung nicht fortsetzte und 2021 eine weitere Therapie nicht regulär beendet wurde. Damit hat sie gewichtige prognoseungünstige Faktoren nicht in die notwendige Gesamtwürdigung aller Umstände (vgl. , juris Rn. 6) einbezogen.
36d) Auch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss daher erneut verhandelt und entschieden werden.
375. Die Adhäsionsentscheidungen lassen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250124U3STR157.23.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-60571