BVerwG Beschluss v. - 2 B 20/23

Berücksichtigung einer Spielsucht im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren; Aberkennung des Ruhegehalts

Gesetze: § 21 StGB

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: 81 D 1/22 Urteilvorgehend Az: 17 K 245/15.OL

Gründe

1Das Verfahren betrifft die Berücksichtigung einer Spielsucht im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren.

21. Der 1968 geborene Beklagte stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A 8 LBesO) im Dienst des klagenden Landes. In den Jahren 2009 und 2011 befand er sich mehrfach wegen seiner Spielsucht in stationärer Behandlung. Ende Februar 2011 räumte der Beklagte ein, den ihm Anfang Januar 2011 übergebenen Verwarnungsgeldblock in Höhe von 545 € entwertet und nicht abgerechnet, sondern das Geld verspielt zu haben. Auch habe er den Verwarnungsgeldblock und die vereinnahmten Beträge vorschriftswidrig zu Hause aufbewahrt. Anfang März 2011 leitete der Kläger gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein und enthob ihn vorläufig des Dienstes. Bei der Anhörung gab der Beklagte an, derzeit nicht in der Lage zu sein, sein Leben und seine Situation zu organisieren. Die vereinnahmten Verwarnungsgelder zahlte der Beklagte Ende April 2011 zurück und räumte den Tatvorwurf umfassend ein. Das wegen Unterschlagung eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Bei einem weiteren Klinikaufenthalt vom September 2011 bis Anfang Januar 2012 wurden als Diagnosen pathologisches Glücksspiel und rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode, gestellt. Ende Januar 2012 wurde die Suspendierung des Beklagten aufgehoben und der Beklagte als "letzte Chance" im Innendienst in einem Polizeirevier verwendet. Anfang Oktober 2012 wurde er jedoch erneut suspendiert, nachdem er teilweise ohne Erfolg versucht hatte, sich bei einem Polizeibeamten und Angehörigen der Feuerwehr Geld zu leihen. Die Rückzahlung des von zwei Feuerwehrleuten geliehenen Betrags in Höhe von 120 € konnte der Beklagte entgegen seiner Zusage nicht nachweisen. Eine vom Amtsgericht in einem Betreuungsverfahren beauftragte Gutachterin kam im Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass bei dem Beklagten eine erheblich beeinträchtigende Verhaltensstörung im Sinne einer abnormen Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle mit pathologischem Spielen vorliege. Auch das der Zurruhesetzung zugrundeliegende polizeiärztliche Gutachten vom April 2013 ging von einer rezidivierenden depressiven Störung und pathologischem Glücksspiel aus.

3Nach Erhebung der auf Aberkennung des Ruhegehalts gerichteten Disziplinarklage wurde der Beklagte wegen des Vorwurfs angeklagt, sich ab in 14 Fällen in betrügerischer Absicht von verschiedenen Personen Geldbeträge ohne Rückzahlungsabsicht und zum Teil unter Hinweis auf seine Eigenschaft als Polizeibeamter geliehen zu haben. Im Hinblick auf § 47 Abs. 2 BeamtStG wurde das Disziplinarverfahren nicht auf diesen Sachverhalt ausgedehnt. Ein vom Strafgericht bestellter Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass beim Beklagten ein pathologisches Glücksspiel im Sinne einer schwerwiegenden Impulskontrollstörung vorliege, die sich im Erleben des Beklagten in den Jahren 2012 bis 2014 wesentlich zugespitzt habe. Ab August 2013 sei davon auszugehen, dass durch die suchtartige Störung der Impulskontrolle die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten im November 2015 wegen Betruges in 14 Fällen unter Berücksichtigung von § 21 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung.

4Der im gerichtlichen Disziplinarverfahren vom Verwaltungsgericht beauftragte Sachverständige ist in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Beklagten ein qualifiziertes pathologisches Spielen zu diagnostizieren sei. Diese Erkrankung, die der krankhaften seelischen Störung zuzuordnen sei, habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bereits im Januar/Februar 2011 vorgelegen. Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Die Höchstmaßnahme sei bereits im Hinblick auf die Verwendung eingenommener Verwarnungsgelder zu privaten Zwecken geboten. Schuldunfähigkeit sei nach den vorliegenden Gutachten auszuschließen. Auch der anerkannte Milderungsgrund der erheblich verminderten Schuldfähigkeit liege nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

5Wegen der eigennützigen Verwendung von Verwarnungsgeldern in Höhe von insgesamt 545 € sei dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen. Der Beklagte habe durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Der anerkannte Milderungsgrund einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Tatzeitpunkt, die der Höchstmaßnahme regelmäßig entgegenstehe, sei nicht gegeben. Zugunsten des Beklagten sei zwar von einer verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen, die Minderung habe jedoch im Tatzeitpunkt nicht den Grad der Erheblichkeit erreicht. Denn der Beklagte habe eine für einen erfahrenen Polizeibeamten des mittleren Dienstes im Beförderungsamt sehr leicht einsehbare und selbstverständliche Kernpflicht verletzt. Der Beklagte sei zielgerichtet und planvoll vorgegangen. Auch habe der Beklagte während des Tatzeitraums seinen Dienst unauffällig verrichtet.

62. Die allein auf Divergenz gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 70 LDG BB und § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist unbegründet.

7Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 ff. m. w. N.).

8Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das Oberverwaltungsgericht habe in seinem Urteil in Bezug auf den "anerkannten" Milderungsgrund des § 21 StGB einen dem herangezogenen 2 C 59.07 - (Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3) widersprechenden Rechtssatz aufgestellt, ist unrichtig.

9Im Hinblick auf den Milderungsgrund der erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt hat sich das Berufungsgericht an den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts orientiert. Es hat zwar zugunsten des Beklagten eine Minderung der Steuerungsfähigkeit in den Monaten Januar und Februar 2011 angenommen, aber bei der Würdigung der konkreten Umstände des Falles die Erheblichkeit dieser Minderung verneint.

10In Übereinstimmung mit der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es für die Steuerungsfähigkeit darauf ankommt, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Suchtarten, wie die Spielsucht, stehen hinsichtlich des Schweregrades einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB nur gleich, wenn sie entweder zu schwerwiegenden psychischen Persönlichkeitsveränderungen geführt haben oder der Betroffene Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen oder die Tat im akuten Rausch begangen hat. Bei der sich daran anknüpfenden Frage der Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit i. S. v. § 21 StGB handelt es sich um eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung und ohne Bindung an eine sachverständige Einschätzung zu würdigen haben. Hierfür bedarf es einer Gesamtschau der Struktur der Persönlichkeit des Beamten, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Im Disziplinarbereich hängt die Beurteilung der Erheblichkeit danach von der Bedeutung und Einsehbarkeit der vom Beamten verletzten Dienstpflichten ab ( 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 34 ff. und vom - 2 C 59.07 - Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 Rn. 30, Beschlüsse vom - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 8 und vom - 2 B 8.19 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 68 Rn. 11).

11In Anwendung dieser Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzungen mit der Begründung verneint, die verletzten Pflichten seien für den Beklagten auch wegen seiner Dienstzeit von 20 Jahren sehr leicht einsehbar und selbstverständlich gewesen. Zudem habe er zu diesem Zeitpunkt seinen Dienst unauffällig verrichtet und ein im Normbereich liegendes Leistungsverhalten an den Tag gelegt.

12Der Vorwurf der fehlerhaften Anwendung der Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts führt nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz.

133. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Abs. 4 LDG BB i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren gemäß § 79 Abs. 1 LDG BB Festgebühren in entsprechender Anwendung des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu § 78 des Bundesdisziplinargesetzes erhoben werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:121223B2B20.23.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-60215